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Mehr installativ als performativ

Bis 2013 produzierte Thomas Bo Nilson noch gemeinsam mit dem Performance-Kollektiv SIGNA die performativen Installationen wie „Die Hundsprozesse“ 2011 im Schauspiel Köln, für die er von Theater heute als bester Bühnenbildner des
Jahres nominiert war. In diesem Frühjahr nun inszeniert er in eigener Regie die 240-Stunden-Produktion MEAT (3.4. bis 13.4.2014) im Rahmen des diesjährigen Festivals Internationale Neue Dramatik F.I.N.D. an der Berliner Schaubühne und agiert selbst als Performer der Hauptfigur.

Thematischer, performativer und installativer Aufhänger ist die filmreife Lebensgeschichte des kanadischen Pornodarstellers und Strippers Luka Rocco Magnotta (a.k.a. Vladimir Romanov, a.k.a. Mattia Del Santo), dessen Festnahme als mutmaßlicher Täter in einem Mordfall (der Prozess soll im September 2014 beginnen) in einem Internetcafé in Berlin-Neukölln am 4.6.2012 vielleicht der Anlass für die Berliner Produktion gewesen sein mag, im mindesten aber für die Berichterstattung und mediale Vermittlung der Produktion MEAT von Vorteil ist:
Das Feuilleton ist fasziniert von Magnottas Lebensgeschichte, dem gefilmten Mord mit einem Eispickel an seinem Lebenspartner (es wird vermutet, dass Magnotta Urheber des elfminütigen Videos „1 Lunatic, 1 Ice Pick“ ist, das den Mord und die Verstümmelung eines jungen Mannes zeigt) und dessen zerstückelter, geschändeter und wohl auch verzehrter Leiche – Teile davon wurden per Post an Parteien und Schulen in Kanada versandt. Konzentriert auf die Erlebnisberichte vor Ort schreibt das Feuilleton konsequent an einer kunstkritischen Betrachtung vorbei.

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Die Schlingensief-Maschine

Wenn es noch je Zweifel gab, ob und wie ästhetische Moderne und Kapitalismus miteinander strukturell gekoppelt sind, die Ausstellung „Christoph Schlingensief“ liefert hierfür die Anschauung.

Den drei Kuratoren der Ausstellung in den Kunst-Werken Berlin, Klaus Biesenbach (Mitgründer der Kunst-Werke, jetzt MoMA PS1, New York), Anna-Catharina Gebbers (freie Kuratorin Berlin) und Susanne Pfeffer (ehemalig Kunst-Werke, jetzt Fridericianum Kassel), ist es gelungen, aus dem opulenten und situationistischen Gesamtwerk Schlingensiefs eine Auswahl ausstellbarer Objekte zu extrahieren.

Die monographische Werkschau posthum, die strikt auf die Bedürfnisse einer Ausstellbarkeit, Präsentierbarkeit, Sammelbarkeit und Handelbarkeit ausgerichtet ist, ist als eine Nachlassschau konzipiert, die sich voll und ganz auf die Marke Schlingensief konzentriert. Trotz und obwohl jede, für die Ausstellung ausgewählte Arbeit belegt, dass mit einer Vielzahl von Kollegen Teamarbeit stattgefunden hat und noch immer stattfindet und auch die Rezipienten stets Co-Produzenten sind, wird eine modernistische Helden- bzw. Geniegeschichte erzählt, in deren Zentrum Christoph Schlingensief – so auch der Titel der Ausstellung – steht. Auf die Präsentation von Kooperationen wie z.B. mit Alexander Kluge oder Heavy Girls Lighten Wien wurde zugunsten dieses Konzepts ganz verzichtet.

Die Deterritorialisierung und Dezentrierungen, die Fragmentierungen und Entgrenzungen, die allein im Prozesshaften, Experimentellen und Umschreibbaren von Schlingensiefs Produktionen stattfinden und auf die auch der Ankündigungstext der Kunst-Werke noch einmal explizit aufmerksam macht, sind zurückgenommen bis maximal reduziert, auch, indem statt einer archivischen, kontextuellen oder dokumentarischen Präsentation seiner künstlerischen Praxis lediglich das modernistische Werk als attraktives und begehrliches Endprodukt gezeigt wird, das wiederum klaren Medialitätsgrenzen folgend in den einzelnen Etagen des Hauses präsentiert wird.

Lediglich das „Operndorf Afrika“ in Burkina Faso (seit 2008, Grundsteinlegung 2010) wird in seinem prozessualen und offenen Charakter ausgestellt, eine Timeline der Ereignisse belegt den experimentellen und noch immer unkaren Fort- und Ausgang der Arbeit.

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SIGNA for doc14: Die Bestimmung des „Realen“

Unfreiwillig eröffnete das Hamburger Schauspielhaus seine erste Spielzeit unter der neuen Intendantin Karin Beier mit einer SIGNA-Produktion. Programmatisch hätte dem Haus nichts Besseres passieren koennen.

Für Uneingeweihte des SIGNA-Konzepts mag es eigenwillig oder paradox klingen:
Alle Beteiligten des „Theaterstücks“, und hierbei handelt es sich sowohl um die Darstellenden als auch um die Besucher, vereinbaren sich auf ein „Theaterstück“, indem sie das „Theaterstück“ unsichtbar einvernehmlich negieren und diese gemeinsame Täuschung in Form einer scheinbaren Spontaneität genießen und verstärken.

In der aktuellen Produktion „Schwarze Augen, Maria“ werden aus den Darstellern Bewohner des „Hauses Lebensbaum“, die zum ersten Mal ihr Haus für einen „Tag der offenen Tür“ öffnen und sich den Fragen einer interessierten Öffentlichkeit stellen.

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Das kuratorische Framing Kapoors durch Rosenthal

Im Berliner Martin Gropius Bau ist derzeit eine Werkschau von Anish Kapoor zu sehen, dem Turner-Preisträger aus London indischer Herkunft (Jhg. 1954). Kapoor wurde nach seinem Studium am Londoner Chelsea College of Art and Design bekannt mit seinen Skulpturen aus Vaseline, Wachs und Farbpigmenten, aber auch mit seinen Stahlkonstruktionen etwa für die Olympischen Spiele 2012 in London oder zuvor 2008 für die Deutsche Guggenheim.

Norman Rosenthal, Jhg. 1944, britischer Kunsthistoriker, kuratierte 30 Jahre Aussstellungen in der Royal Academy of Arts in London, nachdem sich die RA 2004 von ihm trennte, er aber 2009 noch eine Anish Kapoor Werkschau zusammenstellte. Diese Kooperation ist nun nach Berlin in den Gropius Bau gewandert, hier werden im Erdgeschoss ganze Werkgruppen seiner Pigment-, Wachs-, Harz-, Vaseline-, Spiegel-, PVC-, Stein-, Zementskulpturen gezeigt.

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Einsichten infolge kuratorischer Behandlung: Archiv vrs. Betrieb

Zwei Ausstellungen im Münchner Haus der Kunst sind derzeit anzuschauen, die zunächst recht different wirken, auf den zweiten Blick aber konzeptuelle Gemeinsamkeiten im Umgang mit Welt, Kunst, Konzeption, Raum und White Cube offenbaren:

Im Erdgeschoss ist Ivan Kozaric ausgestellt, 1921 in Kroatien geboren, im Obergeschoss Joelle Tuerlinckx, Jahrgang 1958 aus Brüssel.

Ivan Kozaric, der in der (westeuropäisch orientierten) Kunstgeschichte ohne Zweifel als Konzeptkünstler mit Anleihen zur Land art und Minimal art eingeordnet werden kann.

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Joelle Tuerlinckx, die neokonzeptuell auf den Spuren Marcel Brooodthaers die Kraft, Materialität und Formalität des Mediums Ausstellung untersucht.

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Der Neue Realismus?

Während vor etwa 100 Jahren im Rahmen sogenannter Völkerschauen auf Europas und Nordamerikas Jahrmärkten, Volksfesten, Varietees oder Gewerbe- und Kolonialausstellungen sog. „Lippenneger“, „Kanaken der Südsee“ (Münchner Oktoberfest, 1931) oder „Eingeborene“ im Düsseldorfer Zoo (1937) gezeigt wurden, nimmt nun in Hamburg, “dem Ort der Gründung des Tierpark Hagenbeck durch den Völkerschauausrichter Carl Hagenbeck (1907)“ die Wiener Künstlergruppe God’s Entertainment die Technik des Zurschaustellens auf und präsentiert im Rahmen des Live Art Festivals Zoo 300 auf Kampnagel „sechs bis neun Randgruppen-Menschenarten“ (O-Ton):

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Freispruch für die Kunst

Milo Raus dreitägiges Theaterprojekt vom 1. bis 3. Maerz 2013 im Moskauer Sacharow-ZentrumDie Moskauer Prozesse„, in denen der Schweizer Regisseur drei spektakuläre Gerichtsprozesse der letzten 10 Jahre, nämlich das Verfahren gegen die Kuratoren von „Vorsicht Religion“ 2005 und „Verbotene Kunst“ 2007 im Sacharow-Zentrum sowie das gegen Pussy Riot 2012 durch Künstler, Anwälte, Aktivisten und Kunstkritiker nachspielen ließ, wurde umfangreich im deutschsprachigen Feuilleton besprochen:

Julia Smimova weist in der WELT darauf hin, dass hier endlich, anders als bei den echten Prozessen wirklich verhandelt wurde. Per Video wurde beispielsweise der Kurator Andrej Jerofejew zugeschaltet, der 2006 im Sacharow-Zentrum mit Exponaten, die etwa aus Ausstellungen der staatlichen Tretjakow-Galerie entfernt wurden, die Schau „Verbotene Kunst“ kuratierte. Jerofejew wurde seinerzeit gemeinsam mit dem Direktor des Sacharow-Zentrums Juri Samodurow zu einer Geldstrafe verurteilt. Währenddessen in den russischen Gerichten, so Smimova, eine eigene Theatralitaet inklusiver absurder Dialoge und grotesker Stand-Ups stattfänden, konnten im Sacharow-Zentrum inhaltliche Debatten über politische Kunst und politisch ambitionierte Künstler geführt werden. Beteiligt waren auch Gegner der künstlerischen Aktivitäten, sowohl als Beteiligte der Prozesse als auch als externe Interventionen, die die Prozesse immer wieder zu stören versuchten. Das Urteil fiel im Übrigen unter den nach Zufallsprinzip ausgewÄhlten sieben Schöffen unentschieden aus (einer enthielt sich der Stimme), das Gericht hätte allerdings einen Freispruch für die Kunst gesprochen.
http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article114129105/Frei-gesprochen.html

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Lulu still-gestellt

Die angekündigte Kontextverschiebung Alban Bergs Oper „Lulu“ in Raum, Zeit und Musik des Südstaaten-New-Orleans der 50er Jahre und ins New York der 70er Jahre erscheint zunächst als ein interessantes Gedankenexperiment. Was mag passieren, wenn Lulu, die junge Protagonistin in Bergs unvollendeter Oper von 1937 (nach literarischer Vorlage von zwei Tragödien von Frank Wedekind 1895 bzw. 1902) und ihr sozialer Auf- und Abstieg in ein gesellschaftliches Setting von Rassismus und Black Power Movement eingepasst würde? Was mag darüber hinaus passieren, wenn die Hautfarbe zum zentralen Thema und als Ursache für den Auf- und Abstieg der jungen Frau indiziert, wenn ihre Biografie als eine doppelte Emanzipation, sowohl von Geschlecht als auch von Ethnie erzählt und wenn lesbische Liebe als Moment widerständiger Selbstverwirklichung vorgeschlagen würde? Und was mag passieren, wenn Bergs ersten zwei Akte für ein 27-köpfiges Jazz-Ensembles neuinstrumentiert und der dritte neu geschrieben würde (die Rechte sind seit 2005 frei) und nun Blech- und Holzbläser, ein elektrisches Klavier, E-Gitarre, ein paar Streicher und eine Mississippi-Orgel den Klang des Geschehens bestimmen?

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Alfredo Jaar wird in Berlin zum Klassiker…

3 plus 1 monografische Ausstellungen machen Alfredo Jaar nun endgültig zum Klassiker der Kunstgeschichte:

Die Ausstellung mit dem Titel „The way it is. Eine Ãsthetik des Widerstands“ gibt einen retrospektiven Überblick über 4 Jahrzehnte künstlerischer Arbeit – zeitgleich in den drei Berliner Institutionen Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK – RealismusStudio), Berlinische Galerie und Alte Nationalgalerie, gerahmt durch Vorträge und Screenings.

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Zwei Schwergewichte…

Gleich mit zwei schwergewichtigen Ausstellungen setzt Okwui Enwezor seine Direktorenschaft am Münchner Haus der Kunst fort:

Bild-Gegen-Bild (noch bis 16.9.2012)

Und punktgenau zum 75. Jahrestag der Eröffnung:
Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937-1955 (noch bis 13.1.2013),
hieran angebunden das Symposium 75/20 (9./10.6.2012) unter Beteiligung illustrer Gäste wie Mike Bal, Hans Haacke, Alfredo Jarr, W.J.T. Michell oder Georges Didi-Huberman (Videos der Tagung hier)

Bild-Gegen-Bild untersucht die Interrelation von Bild und Krieg in dem Zeitraum nach 1990/1991, wie sie Mitchell 1994 in seiner Picture Theory hinsichtlich veränderter Bildpolitiken seit 1991 diagnostizierte. Mitchell verdeutlicht seine Bildtheorien eindrucksvoll mittels der Gegenüberstellung zweier medialer Ereignisse im Jahr 1991. Dieses Jahr startete mit dem kriegspopularisierenden CNN-Spektakel von ‚Desert-Storm‘ im Irak und endete mit einem kinematografischen Re-enactment der Ermordung Kennedys, dem Blockbuster ‚JFK‘ von Oliver Stone: 2 Ereignisse, die Mitchell als „America’s Culture Wars“ bezeichnet: „In short, for Americans who watch television news, 1991, was a year of war and publicity, not just the publicizing or representing of war, but the waging of war by means of publicity and representation.“

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NOT OUR MUSEUM … YOUR ACTION SPACE…

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…versprechen die Initiatoren (Artur Zmijewski zusammen mit Joanna Warsza) der 7. Berlin Biennale am Eingang der Kunstwerke und legen klare visuelle Spuren, in welchem Bedeutungsrahmen sie sich verorten wollen:

Zitiert wird aus Stephan Hessels Empört Euch! (2010), Revolutionsparolen sind auf die Wände aufgebracht, Julian Assange und Anonymous bild- und namentlich vermerkt, „Das Ende des Kapitalismus“ wird prognostiziert.

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Kunst in Verteidigung der Demokratie – Art in defence of democracy

„Ich will nicht innerhalb einer so genannten Demokratie Kunst herstellen. Ich will dazu beitragen, die Demokratie selbst zu gestalten“ sagt Jonas Staal und lädt im Rahmen der 7. Berlin Biennale zum „New World Summit“, einem zweitägigen Kongress am 4. und 5. Mai 2012 in die Berliner Sophiensäle ein.

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Das Parlament des „New World Summit“ soll, so Staal, eine demokratische Ergänzung der bestehenden politischen Ordnung bilden und einen öffentlichen politischen Raum schaffen, in dem das demokratische System selbst und zwar zugunsten der Idee einer fundamentalen Demokratie, des Ideals einer dauerhaften Bewegung, eines offenen Prozesses zur Diskussion steht.

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Murmel Murmel: Herbert Fritsch iszeniert Dieter Roth an der Berliner Volksbühne

Murmel Murmel schweizer Dichter, Grafiker, Aktions- und Objektkünstler Dieter Roth Murmel Murmel Murmel Murmel Gewürz-, Schimmel- und Schokoladenobjekte die als Eat-Art Murmel Murmel Murmel Murmel konkrete Poesie Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Theaterstück von 1974 für 11 Personen Murmel Murmel 176 Seiten auf gebräuntem Papier Murmel Murmel Herbert Fritschs Körpertheater Murmel Murmel Murmel Murmel Musik Ingo Günther und seine Percussioninstrumente Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel 11 Schauspieler Murmel Murmel Murmel Murmel Kostüme Victoria Behr Murmel Murmel Intertextualität zu Roths konkreten, monochromen Farbfeldmalereien in rot, gelb und grün Murmel Murmel Murmel Murmel surrealistische Referenzen Murmel Murmel Intermedialität bildende Kunst Murmel Murmel.

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Die Psychoanalyse muss für Louise Bourgeois erfunden worden sein…

Durchsichtige Glaskugeln auf Stühlen und Hockern, eine hängende Stuhlsammlung, inmitten eine Beinprothese, ein Folterstuhl, eine Kinderschaukel, von einem Gobelin umrahmt, ein liegender Mamorblock mit Ohren (?), immer wieder Spiegel und dadurch Blickachsen, Parfümfläschchen und Glasfiguren, das alles hinter Gittern in käfigartigen Zellen:
„Passage dangereux“, von 1997.

Daneben:
Auf vertikalen Knochen hängende Kleidchen („Untitled“, 1996),
sich krümmende Stoffpuppen in Glaskästen mit Gitterrückwand („Cell XXII, Portrait“, 2000),

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Im Moment des Agierens und Einnehmens erfolgt(e) der Moment der Missachtung und des Zerstörens.

Cyprien Gaillard, „the recovery of discovery, Kunst-Werke Berlin, 27.3. – 22.5.2011

Zu Beginn der Vernissage, Samstag, 26.3.2011, gegen 17h, war eine 7 Meter breite, 7 Meter lange, 7 Meter hohe Stufenpyramide in gleissendem Neonlicht zu sehen. Konstruiert aus blau-weissen EFES-Kartons, die die Stufen der Pyramide bildeten und als Behältnis von 72.000 Bierflaschen dienten.

Am Ende der Vernissage, Sonntag, 27.3.2011, gegen 1h war der große Saal der Berliner Kunst-Werke im Erdgeschoss eine Massenansammlung von Youngstern, die im Verlauf des Abends die Pyramide kaperten und sich über die verschiedenen Höhenniveaus mit Bierflasche in der Hand bis unter die Decke der kw schraubten – eingehüllt in Tabakwolken und Biergerüchen, als Highlight dokumentiert durch die eigenen, blitzenden Handys.
Von den EFES-Pappkartons waren noch zerfleddderte Reste zu sehen, einige empfingen bereits im Eingangs- bzw. besser gesagt im Ausgangsbereich der Kunst-Werke.

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Re-Designing the World…

Zeitgleich zur gelebten Demokratie im Rahmen von Stuttgart 21 eröffnete der Württembergische Kunstverein Stuttgart am Schlossplatz, wenige Minuten vom Stuttgarter Hauptbahnhof entfernt, die Ausstellung „Re-Designing the East. Politisches Design in Asien und Europa“ (bis 9.1.2011).

In 6 räumlich fokussierten und thematisch ausgerichteten Sektionen, sortiert nach 6 Ländern, 3 osteuropäische (Ungarn, Polen, Tschechien) und 2 (süd-ost-)asiatische (Thailand und Südkorea) sowie Indien wird die Beteiligung von Designpraktiken an den Prozessen politischer Bedeutungsproduktion seit den 80er Jahren sichtbar gemacht.

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„Zur Nachahmung empfohlen!“…

…überschreibt Adrienne Goehler die von ihr kuratierte Ausstellung mit dem Untertitel „Expeditionen in Ãsthetik und Nachhaltigkeit“. Wunderbar, den (kunsthistorischen und überwunden geglaubten) Aspekt des ‚Nachahmens‘ im Titel anklingen zu lassen und mit ‚Expeditionen‘ den prozessualen, experimentellen und betriebsamen Status zu betonen; Schade, dass auch Goehler keinen Alternativbegriff zu dem vernutzten der Nachhaltigkeit gefunden hat…

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Knapp 50 Künstler zeigen bis zum 10.10.2010 auf großzügigem Raum in den Uferhallen Berlin ihre künstlerischen Arbeiten und Praktiken, die im weitesten Sinne im Bereich der Ökologie angesiedelt sind, technische Erfindungen oder Politprojekte vorstellen (u.a. Jae Rhim Lees alternatives Begräbnissystem, Christoph Kellers Sonnenlicht-Reflektions-System fuer urbane, sonnenlose Räume), sich zum Klimawandel positionieren (u.a. Superflex‘ Apokalypse-Inszenierung in einem McDonald’s), ökologische Veränderungen dokumentieren (u.a. Cornelia Hesse-Honeggers Recherchen und Dokumentationen von radioaktiv verseuchten und mutierten Wanzen), partizipatorisch-aktionistisch intervenieren (u.a. Christin Lahrs 1-Cent-pro-Tag-Onlinebanking und Marx‘-Kapitaltransfer an die Bundesbank) oder alternative Handlungsansaetze anbieten (u.a. the Yes Men’s kapitalismuskritischen Neoaktivistenmethoden, Zwischenberichts ‚Berliner Schöpfung‘, einem Wasser aus der Berliner Panke, Gudrun F. Windloks Adoptionsservice für Europäer mit Bindungsängsten nach Afrika).

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Das große John-Bock-Wunderkammer-Imperium

…bis zum 31.08.2010 in der Temporären Kunsthalle Berlin mit dem Titel FischGrätenMelkStand.

In einem viergeschossigem Gerüstbau-Labyrinth zeigt die Ausstellung in Einzelkabinetten aus Stoffen, Sperrholz, Plexiglas, Campinganhängern oder Autoreifen mit so wundersamen Namen wie „Bonjour Tristess in der Kunstwohlfahrt“ oder „im Schatten der Made“, aber auch in Gerüstgängen und -auskragungen in die Höhe und Breite insgesamt etwa 150 Werke von über 60 Bock-Freunden und -kollegen wie Schlingensief, Kippenberger, Zobernig, Ackermann, Slominski oder Tiravanija.

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„Die Stadt gehört doch eigentlich uns allen…“

Letzter Termin ist vorerst der 16.4.2010 und zwar „mittendrin“ im praktizierten „Recht auf Stadt“ in Hamburg, das hier seit 2008 in Anspruch genommen wird. Christoph Schäfer, in Hamburg lebender Künstler, wird seine Publikation „Die Stadt ist unsere Fabrik“, ein Bildessay in 158 Zeichnungen (verlegt bei Spector Books Leipzig), im Hamburger Gängeviertel präsentieren, das seit August 2009 von 200 Künstlern besetzt wird.

In sechs Kapiteln erzählt Schäfer in unterschiedlichen Dichten und Geschwindigkeiten die Geschichte des Urbanen: Beginnend vor 60.000 jahren – vor 5.000 jahren dann die Erfindung der Stadt (als verdichtete Unterschiedlichkeit), Uchisar und Ischtar Tempel in Assur, über London, Paris und Kowoloon walled City… Angelehnt an Henri Lefebvres Theorie der Revolution der Städte (frz. 1970, dt. 1990), nach der Raum ein soziales Produkt sei und erst durch soziales Handeln entstehen würde, sich hieraus zwingend etwa das Recht der Anwesenheit oder das des Zugangs ergebe (Holm), zeichnet sich Schäfer mit Aquarellstiften vom Ur-Schlamm bis in die Hamburger „Recht auf Stadt“ Bewegung und versteckt nicht seine Abneigung der „glitschigen postfordistischen Verhältnisse“.

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