…von Wotan und Brünnhilde übers Geld (G–>G‘) zum NSU
Knapper und eindeutiger kann ein Plot nicht aufgerufen werden. Der Titel ‚Rein Gold‘ – ohne h – verweist als Vorabend von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nieblungen“ auch auf Wotan, der sich von den zwei Riesen Fasolt und Fafner die Götterburg Walhall bzw. – so die aktualisierte Fassung Elfriede Jelineks – ein Eigenheim bauen lässt und – entgegen der kanonisierten Deutung, dass Wotans Herrschaft auf Vertragstreue gegründet sei – durch Vertragsbruch und Niedriglohnarbeit im Kontext der Finanz- und Immobilienkrise Schuld auf sich läd, die er nie wird ausgleichen können, auch nicht durch den titelgebenden Ring, der zugleich die Macht besäße, die herrschende Ordnung zu stürzen:
„Also. Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie. […] Papa! Weisst du überhaupt noch, wenigstens ungefähr, wem du was schuldest und wieviel? Kennst du dich noch aus? […] Obwohl du es eigens aufgeschrieben hast, wolltest du nichts davon halten, keine Verträge, keine Lohnabsprachen, keine Leihverträge, keinen Leasingvertrag, keinen Ehevertrag, da fängts schon mal an. […] Papa. Das hast du geschafft, dass du allen was schuldest, sogar dir selbst, und dennoch kein Schuldgefühl hast. Du hast einfach kein Gefühl für deine Schulden. Du wirst noch herabgestuft werden, aber ich wüßte nicht, von wem! […] Diebstahl am Anfang, Diebstahl am Ende, dazwischen Betrug. Eigentum – Diebstahl. Eine endlose Kette der Enteigung, nur damit wir unser neues Haus kriegen! […]“
In ausufernden Sturzbächen von Assoziationsketten lässt Jelinek einen Disput zwischen Lieblingstochter Brünnhilde und Vater Wotan entwickeln, der auf dem Themenhintergrund von Helden, Versprechungen, Schuld und Schulden, Zukunftsaussichten und Rettungen direkt zum Triumph des Geldes führt:
„Du kannst das alles doch einfach anordnen, was dir Nutzen bringt, und aus. Wieso überhaupt bezahlen? Was kümmert es dich, ob der Wert deines neuen Einfamilienhauses nun durch den Arbeitsprozess seiner Errichtung geschaffen wurde, durch seine schöne Lage auf dem Berg oder durch Zauberei? An die hat nicht einmal Marx gedacht, und der hat an alles gedacht! […]“
Jelinek aktualisiert Wagner vor dem Hintergrund der Finanzkrise und liest ihn mit Marx gegen – genau genommen, nimmt sie mit ihrem „Bühnenessay“, so der Untertitel, von 2012, der im Münchener Prinzregentheater in einer einmaligen Urlesung im gleichen Jahr vorgetragen wurde, den aktuell stark diskutierten Titel von Thomas Piketty „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ aus dem Jahr 2013 (frz: „Le Capital au XXIe Siècle“) vorweg. Hierin legt Piketty dar, dass die aus der Vergangenheit stammenden Reichtümer sich im 21. Jahrhundert dank Renditen, Mieteinnahmen und Zinsen schneller vermehren als diejenigen, die durch Arbeit geschaffen und angespart werden können. Die Ungleichverteilung ererbten Kapitals, die Kapitalrenditen und die Lohnungleichheit seien die fundamentale Triebkraft einer Divergenz, so Piketty, die dazu führe, dass Kapitalquoten zu- und Lohnquoten weiter abnehmen werden. Gewinner dieses historischen Prozesses seien einzig die Kapitaleigner.
„Früher, als für Geld noch für einzelne Menschen gearbeitet wurde, da war es einfacher. Jezt arbeitet das Geld allein, ohne jede Aufsicht. […] Das Geld heißt jetzt Kapital. Seiner toten Gegenständlichkeit wird nicht länger mehr lebendige Arbeitskraft einverleibt. Den Gütern wird nicht mehr Güte einverleibt. Die Kraft tut nichts mehr, sie wird nicht mehr gebraucht; was auch immer erscheint, schön wird es nicht sein, gut, dass es verwandelt wird, ganz ohne Menschen, es wird verwandelt, ohne Waren, ohne Güter, es wird verwandelt, ohne Güte, ohne Eifer, ohne Zorn. Es wird verwandelt in Wert. […]“
In baldiger Aussicht würde das Geld, so Jelineks kapitalismuskritische Dystopie in der Rhetorik einer Utopie, in ganzer Freiheit zirkulieren: „Geld – es lebe hoch!!!“ – und Jelinek landet in ihren Suaden geradewegs beim NSU. Hierfür bedarf es nur des Wortes ‚Zwickau‘ und dreier Fahrradfahrer auf der Bühne. Pink Panther ist eines nur informativen Bildverweises schon zu viel, die Szene verpoppt, eröffnet dadurch aber das mittels eines projizierten Videos (Claudia Lehmann) gedankliche Angebot Jelineks, dass Beate Zschäpe am 4.11.2011 nicht nur ihre konspirative Wohnung in Zwickau-Weißenborn, sondern auch wenige Stunden zuvor das Wohnmobil der „beiden Uwes“ in Eisenach in Brand gesetzt haben könnte – denn wie bei Wagner geht auch beim NSU alles in Flammen auf. Ein gruseliger Kurzschluss in doppelter Bedeutung, der den Atem stocken und das Publikum nur verhalten applaudieren lässt – ein Publikum, das Wagner erhoffte und den NSU bekommt.
‚Taten sagen mehr als Worte‘ – Pappschilder werden von einem schweigenden Trio über die Bühne getragen (hat eigentlich schon jemand daran gedacht, den NSU-Prozess am Münchener Oberlandesgericht als ein Fortsetzungs- statt eines Aufklärungskapitels zu betrachten?) ‚Taten sagen mehr als Worte‘ – die gesprochene Sprache wird verweigert, sie verstummt wie bei und durch Zschäpe – und verweist auf ein sprachloses, schweigendes, geschlossenes, in Europa eingeschlossenes Deutschland, das Revolution nennt, wenn sich nichts ändert, so Jelinek.
Großartig, wie sich Jelinek in die Textvorlage einklinkt, Zwiegespräche mit Wagners Helden führt, Themen- und Gesprächsflüsse anhält, vertieft, problematisiert, wieder-holt und noch einmal wieder-holt, aktualisiert, im Text fortsetzt und erneut ein Motiv aufgreift, dieses nach gleichem Verfahren mäandern lässt und so ihre thematischen Bögen in die Textflächen spannt. Die Textgrundlage funktioniert hier wie ein Teppich, der an bestimmten Stellen aufgeknüpft wird, um in ihn neue Fäden einzuspinnen, einzuweben, um Leerstellen herzustellen oder aufzufüllen, das Vergangene zu aktualisieren, das bereits Erzählte zu absurdisieren oder das Bekannte zu verfremden. Wagners Werk wird zu einem ‚work in progress‘, der Text (Dramaturgie: Benjamin von Blomberg) wird gesprochen, gesungen, geschrien, gerappt, geflüstert, gezischt, gekreischt… und mit entsprechenden musikalischen Verfahren verdichtet: live über ein Synthesizer-System (Thomas Kürstner, Sebastian Vogel), das Module loopt, sampelt, remixt, aber Wagners Oper (Musiküberschreibung: David Robert Coleman) im Grundsatz belässt.
Großartig, wie Jelinek bzw. Regisseur Nicolas Stemann bzw. der musikalische Leiter Markus Poschner die Themen, Zeiten, Räume, Personen, aber auch die Genre miteinander verweben: Oper, Sprechtheater, Musiktheater, Schauspiel, aber auch Video, Licht, Raum bzw. Bühne (Katrin Nottrodt) – alles kulminiert in einem Duett zwischen Operngesang und Schauspiel bzw. Rebecca Teem und Philipp Hauß – Hauß liefert sich dem Gesangspart aus und wird von Teem und der Staatskapelle Berlin zur Partitur des Siegfried geführt…
Übrigens: All‘ das findet auf der Bühne des Berliner Schillertheaters inmitten von Betonmischern und Kabeltrommeln vor dem Hintergrund der plakatierten Baustelle der generalsanierten Staatsoper Unter den Linden statt, die seit 2013 fertiggestellt sein soll und deren Umbaubudget sich, so der aktuelle Stand von 239 auf 300 Millionen vergrößert hat. Gemutmaßt wird, dass das Haus nicht vor 2018 öffnet und sich die Kosten um ein Drittel auf 350 Millionen Euro erhöhen werden.
„Papa! Wir wissen alle, dass du das Darlehen, das nebenbei nie ausgezahlt, nur versprochen wurde, nie zurückzahlen kannst. Du wirst dir von deinen reichen Freunden helfen lassen müssen. Niedrigere Zinsen. Aber dass du eine solche Linke machst, so eine dicke Lippe riskierst, Papa, das hätte ich nicht gedacht. Dass du in die Krediklemme kommst, nur weil du dich mit den Falschen eingelassen hast und inzwischen gar nicht mehr weisst, wer die Falschen überhaupt sind. Egal, du hast ohnedies nicht vor, etwas zu zahlen, und als Schulder trifft man dich nicht an, weil du immer wandern musst, auf Reisen bist…“
Gesang: Rebecca Teem, Jürgen Linn, Narine Yeghiyan, Katharina Kammerloher, Marina Prudenskaya
Schauspiel: Katharina Lorenz, Philipp Hauß, Sebastian Rudolph
Foto: Jürgen Linn (Sänger | Wotan), Sebastian Rudolph, Katharina Lorenz, Philipp Hauß und Rebecca Teem (Sängerin | Brünnhilde), (c) Arno Declair
Video: http://staatsoper-berlin.de/de_DE/videos#repertoire/rein-gold/1009590
Zitate aus: Rein Gold, Ein Bühnenessay von Elfriede Jelinek, 2012, Rowohlt Verlag.