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Eine Übung des Vertrauens. Zu Adrian Pipers „The Probable Trust Registry“

„Ich werde immer zu teuer sein, um gekauft zu werden.“ „Ich werde immer meinen, was ich sage.“ „Ich werde immer das tun, was ich sage.“ Der Vertrag ergänzt: „(Eintritt höherer Gewalt ausgenommen)“. Könnten und/oder würden Sie diese drei Axiome, im Futur I verfasst, unterzeichen und damit eine Vertragsverpflichtung mit sich selbst eingehen (können), künftig „immer zu teuer sein, um gekauf zu werden“, immer zu „meinen, was ich sage“ und immer das zu „tun, was ich sage“? Das Futur I – im Englischen heißt es im Vertrag „I will…“ und setzt damit das Future Simple für Vorhersagen, Versprechungen und spontane Entscheidungen ein – weist Sie darauf hin, dass der Sachverhalt zum Sprechzeitpunkt schon aktuell ist. Ein Kalkül, das es in sich hat: Ein spontanes Versprechen in Form eines Axioms, also eines beweislos vorausgesetzten Satzes, der zum Redezeitpunkt, besser zur schriftlichen Vertragsunterzeichnung schon aktuell ist und mit der Vertragsunterzeichnung fortan für immer selbstverpflichtend wirkt.

Diese Selbstverpflichtungen abverlangte, besser gesagt ermöglichte die US-amerikanische Konzeptkünstlerin und analytische Philosophin Adrian Piper, die 1981 bei John Rawls promoviert wurde und zuvor an der Uni Heidelberg zu Kant und Hegel forschte, den BesucherInnen des Berliner Hamburger Bahnhofs in diesem Sommer. Zuvor wurde sie 2015 für diese Arbeit, die bereits 2013 in New York zu sehen war, auf der Biennale in Venedig im Arsenale mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. In der historischen Lichthalle des Museums waren nun für gut sechs Monate in klarer Formensprache drei identische, goldfarben runde Empfangstresen zentriert vor drei deckenhohen, grauen Wänden plaziert, die sich nach an der Form der gebogenen Eisenträger orientierten. An der Wand hinter dem jeweiligen Tresen war in goldfarbenen Buchstaben ein einzeiliger Wandtext angebracht, bei dem es sich um eben einen dieser drei Axiome handelte. Je ein/e Rezeptionist/in hinter dem Tresen, dunkel und seriös gekleidet, meist jugendlichen Alters und temporär für die Dauer der Ausstellung beim Hamburger Bahnhof angestellt, stand für Nachfragen, Gespräche und die Aushändigung des unterzeichneten Vertrags auf Papier zur Verfügung. Auf dem Tresen ermöglichte ein Screen, den Vor- und Nachnamen einzugeben, eine digitale Unterschrift zu leisten und qua Berührung mit dem resistiven Touchscreen die Vertragsbindung einzugehen, die durch einen Drucker hinter dem Tresen sofort als zweiseitiges Papier ausgehändigt wurde. Neben dem Tresen hielt ein aufgestelltes Stehpult ein Papier, das die BesucherInnen auf deutsch und englisch über die 11 „Handlungsanweisungen“ bzw. „Spielregeln“ aufklärte, und zwar, dass alle UnterzeichnerInnen des Vertrags nach Ende der Ausstellung ein Verzeichnis der alphabetisch geordneteten Nachnamen aller UnterzeichnerInnen desselben Vertrags zugesandt bekämen, eine Kontaktaufnahme dann untereinander möglich wäre, indem die Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin kontaktiert würde, die nach der Einwilligung zur Adressweitergabe die Daten weitergebe. Das Verzeichnis selbst würde für 100 Jahre nach Ende der Ausstellung für die Öffentlichkeit unzugänglich aufgewahrt.

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Julian Rosefeldts „Manifesto“ als illokutionärer Akt: Ich offenbare (Verb), offenkundig (Adj.), unbestreitbar (Adv.)

In seiner neuesten Filmarbeit „Manifesto“ verschreibt sich Julian Rosefeldt (Jhg. 1965) dem Inhalt nach der Gattung und Textsorte Manifest, wie sie eng verbunden mit der künstlerischen Avantgarde und deren Proklamationen von Traditionsab- und Neuaufbrüchen auftritt (allein für die Zeit zwischen 1900 und 1947 zählen Asholt/Fähnders in „Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde“ von 1995 über 250 künstlerische Manifeste). Rosefeldt, Professor für digitale und zeitbasierte Medien an der Münchener Akademie der Bildenden Künste, hat für diese Filmarbeit eine Auswahl von 54 Manifesten getroffen, deren Quellen er im Eingangsbereich seiner aktuellen Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin mittels eines papier-gestapelten Handouts auf Hochglanzpapier offen legt und zur Mitnahme ermöglicht: vom Kommunistischen Manifest von 1848 über Manifeste des Dada, Futurismus, Surrealismus, Suprematismus, Kreationismus (aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts) bis hin zu Situationismus, Conceptual Art, Fluxus, No Manifesto und Dogma 95 (in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts). Durch das Montieren historischer Originaltexte von Künstlern, Architekten, Choreografen und Filmemachern (wie Filippo Tommaso Marinetti, Kasimir Malewitsch, André Breton, Claes Oldenburg, Yvonne Reiner, Adrian Piper, Sol LeWitt, Robert Venturi, Lars von Trier und Werner Herzog) sind im Ergebnis 13 themen-komprimierte Monologe entstanden, die die Hybridität ihrer Ausgangstexte aus realistischer Spekulation, politischer Propaganda, theoretischer Programmatik, sprunghafter Argumentationsstrenge, literarischer Poetik und ästhetischer Agitation, immer mit einem oppositionellen Gestus ausgestattet, beibehalten.

Rosefeldt hat diese Texte zum Teil ins Englische übersetzen lassen und, indem er sie verschiedenen Arbeits- und Lebenswelten unserer Gegenwart und mit ihnen zugehörigen ProtagonistInnen zugeordnet hat, typologisiert: So spricht eine „tätowierte Punkerin“ zum Kreationismus/Estridentismus, eine „Börsenmaklerin“ zum Futurismus, ein „Obdachloser“ zum Situationismus, eine „konservative Mutter mit Familie“ zu Pop Art, eine „Puppenspielerin“ zum Surrealismus und eine „Nachrichtensprecherin“ mit ihrer „Außenreporterin“ zur Konzeptkunst. Im dunklen Raum des Hamburger Bahnhofs sind diese Text-Bild-Positionen nun als Projektionen auf 13 Leinwänden in Form einer multikanalen Installation plaziert, die sich zueinander räumlich und inhaltlich in Beziehung setzt. (Es existiert außerdem eine 90 minütige, lineare Filmversion, die auf Festivals und 2018 im Bayrischen Rundfunk gezeigt werden soll). Jede einzelne Filmszene ist dabei zunächst für sich geschlossen und erzählt mittels ihrer Bilder aus der jeweiligen Lebenswelt der in dieser Lebenswelt situierten Person. D. h. die Manifeste werden nicht nur als Text rezitiert, sondern sie sind transponierter Bestandteil einer Szenerie, wenn beispielsweise die russische Choreografin ihren TänzerInnen die Forderungen des Fluxus und der Performance auf einer Tanzprobe nahezu einpeitscht, eine Lehrerin ihren GrundschülerInnen Forderungen zum Film in ihre Hefte diktiert oder eine Galeristin die Gäste eines Empfangs Kandiskys und Marcs Forderungen der Blauen Reiter (1912) als Rede verliest. Die verbildlichten Texte werden über einen sensiblen Kameraeinsatz ins Bewegtbild gebracht: die Räume werden schleichend, gleitend, verzögernd abgetastet, die Kamera nähert sich dem weiteren Geschehen meist aus der Vogelperspektive und fährt skulptural über die Oberflächen des Sicht- und Wahrnehmbaren, der Architekturen, der Requisiten und weiter der Körperhaltungen, der Gesichtshaut, der Mund- und Halspartien, der Fingernägel der Protagonistin – wie ein Körperscanner, der das zugehörige Subface unter dem Surface zu erfassen versucht.

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Julian Rosefeldt, Manifesto, 2014/2015, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Prototyp Black Mountain College

„Unser zentrales und konsequentes Bestreben is es, Methoden zu lehren, nicht Inhalte; den Prozesse gegenüber den Ergebnissen zu betonen; den Studenten zur Erkenntnis zu bringen, dass die Anwendung des Wissens […] für uns wichtiger ist als die Fakten selbst.“ (John Andrew Rice, Gründer Black Mountain College, 1933)

Eine kunsthistorische Ausleuchtung des wohl einmaligen kunst- und lebenspädagogischen Experiments des Black Mountain College von 1933 bis 1957 in der Nähe von Asheville, in den Blue Ridge Mountains im US-Bundesstaat North Carolina, am See Eden gelegen, stand seit längerem an (siehe auch den nur schmalen Eintrag in der deutschen Wikipedia). Nun sind zahlreiche Leihgaben der Josef und Anni Albers Foundation in Connecticut im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen, angereichert um einen Blog sowie um ein Symposium am 25. und 26.9.2015 zum Thema Education.

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Nicht zufällig fällt der Beginn des Experiment, das heute als ein „inter- und trans-disziplinäres sowie multimediales“ bezeichnet wird, mit der erzwungenden und im Kollegium beschlossenen Selbstauflösung des Bauhauses zusammen – und wohl auch nicht zufällig endet das Experiment 1957 in der McCarthy-Ära aufgrund eines kommunistischen Generalverdachts unter nicht unähnlichen Umständen wie das Bauhaus in Deutschland unter den Nationalsozialisten. Einige der damaligen Bauhaus-Beteiligten wie Josef und Anni Albers wechselten übergangslos – wenn auch nicht unproblematisch, hatten doch Regierung, Kultusministerium, Devisenamt und das amerikanische Konsulat ein Mitspracherecht – zum 26.11.1933 in den Lehrbetrieb in North Carolina. Ein ausgestellter Briefwechsel zwischen Albers und einem der beiden Gründer Theodore Dreier zwischen dem 28. September 1933 und dem 31. Oktober 1933 gibt eindrucksvoll Auskunft nicht nur über die damaligen Kommunikationswege, die Geschäftssprache, die Verhandlungsformen, die Geschlechterhierarchien und Bezahlungen (1000,- Dollar plus „room and board for yourself and your wife“), sondern auch über die damaligen politischen Verhältnisse in Deutschland wie auch über die finanziellen Möglichkeiten und den Gründergeist für „Methoden“, „Prozess“ und „Wissensanwendung“ statt „Inhalte“, „Ergebnisse“ und „Fakten“. Dreier stellt „a progressive education“, „an adventurous and a pioneering one“, „an experiment“ und „no restrictions on the teaching methods“ in Aussicht, er genrefiziert Black Mountain als „college of liberal arts“ und als „educational organism“ und konstatiert: „we feel that the arts should play an important part both in our communitylife and in the educational process“ – Formulierungen, die 2015 für die Aquise von Spenden für eine Institutsgründung taugen würden. Auch andere Emigranten kamen: der Architekt und Bauhausgründer Walter Gropius, die Psychiater Fritz und Anna Moellenhoff, der Schönberg-Schüler Heinrich Jalowetz, die Musikerin Johanna Jalowetz, Xanti Schawinsky, Cellist und Saxofonist der Bauhaus-Jazz-Kapelle und ehemaliger Mitarbeiter von Oskar Schlemmer.

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