Schlagwort-Archive: München

Das Unbehagen der Geschichte(n), künstlerisch-investigativ er- und vermittelt

1950 beschrieb Hannah Arendt die Eindrücke ihres ersten Nachkriegsbesuches von Deutschland in ihrem Essay „Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes“: Die Verwandlung von Tatsachen in Meinungen sei wohl der erschreckendste Aspekt einer deutschen Realitätsflucht, hier insbesondere die Haltung, „mit Tatsachen so umzugehen, als handle es sich um bloße Meinungen“. Eine Hinterlassenschaft des Naziregimes sei, so Arendt, „die Realität nicht mehr als Gesamtsumme harter, unausweichlicher Fakten wahrzunehmen, sondern als Konglomerat ständig wechselnder Ereignisse“.

Diese Verantwortungsflucht, dieses Empathievakuum, diese Erinnerungs- oder auch Moralleerstelle, kurz diese „Gleichgültigkeit“ und „Apathie“ (Hannah Arendt) mögen seither und zwar bis heute ursächlich für diejenigen Geschehnisse sein, die die Regisseurin, Schauspielerin und Politikwissenschaftlerin Christiane Mudra recherchiert, montiert und in einen szenischen Text überführt hat und dessen nüchtern-klarer Titel „Kein Kläger. NS-Juristen und ihre Nachkriegskarrieren“ unzweifelhaft die Stoßrichtung vorgibt.

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Operation Bio-Macht – unentrinnbar in 3 Schritten

Playtime bezeichnete das Münchener Lenbachhaus ihre beginnende (und auf 3 Jahre ausgerichtete) Kooperation mit der Rückversicherungs-Gesellschaft Munich Re, startend mit dem Thema „Arbeit“ im Format einer Kunstausstellung und nimmt damit titelgebend Bezug auf den französisch-italienischen Filmklassiker von Jacques Tati, der 1967 für die Zukunft uniforme, konforme, sterile, unpersönliche Arbeitswelten inmitten von Glas- und Stahlkonstruktionen prognostizierte.

Playtime thematisiert die Normativitäten und Imperative aktueller (Arbeits-) Welten und macht sie ansichtig mit
– Charles Chaplin, Modern Times, 1936
– Jacques Tati, Playtime, 1967
– Martha Rosler, Flower Fields, 1974
– KP Brehmer, Seele und Gefühl eines Arbeiters, 1978
– Allan Sekula, School is a Factory, 1978/80 und Untitled Slide Sequences, 1972
– Fischli&Weiss, How to Work Better, 1991
– Beate Engel, Burnout Machine, 2014
– Harun Faroki, Ein neues Produkt, 2012
– Darren Almond, Perfect Time, 2012
– Andreas Siekmann, die ökonomische Macht der öffentlichen Meinung & die öffentliche Macht der ökonomischen Meinung. Denkfabriken, Think Tanks und die Privatisierung der Macht, 2013.

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Barney-Extensions

Ankündigung, Pressekonferenz und Katalog zur Ausstellung verzichten – wie gehabt – nicht auf Superlative: „Das Werk verdichtet sich zu einem der komplexesten und ehrgeizigsten in Barneys Schaffen. Im Film ‚River of Fundament‘ kulminieren sieben Jahre intensiver Beschäftigung mit den Themen Tod, Wiedergeburt, Transformation und Transzendenz.“

Das Haus der Kunst München präsentiert in diesem Sommer Matthew Barneys neueste Produktion „River of Fundament“ (2006-2014) und zeigt neben der Europapremiere der sechsstündigen Film-Oper in der Bayerischen Staatsoper 14 großformatige Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien, Storyboards – eine Materialschlacht im Ausstellungstrakt des Erdgeschosses aus Bronze, Holz, Gusseisen, Graphit, Zink, Gold, Messing, Bronze, Sterlingsilber…

Wie schon seinerzeit, als Barney mit seinem 5-teiligen Cremaster-Zyklus zwischen 1994 und 2002 ein opulentes Werk bestehend aus knapp 400 Filmminuten, aus Fotos, Zeichnungen, Installationen und Objekten, vorwiegend aus Vaseline, Wachs und Silikon ablieferte, wartet er auch mit „River of Fundament“ mit einer hermetischen, zum Teil unentschlüsselbaren Ikonografie auf, die ihrerseits die Produktion von Deutungen, Bedeutungen und Ausdeutungen in Gang setzen wird.

Barney-Anbau2

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