Zur Zukunft des Tanztheaters Pina Bausch
Schon 1978 hatte Pina Bausch die Idee, ihre Produktion „Kontakthof“ 30 Jahre später noch einmal mit der Originalbesetzung aufzuführen. In diesen 30 Jahren wurde „Kontakthof“ zu einem ihrer Schlüsselwerke, ausdifferenziert in drei Versionen: für die Tänzer*innen ihres Tanztheaters, für Schüler*innen und für Rentner*innen Wuppertals. 46 Jahre später sollte nun die Idee auf Anregung ihres Sohnes Salomon realisiert werden, jedoch nicht als Re-Produktion, wie ursprünglich angedacht, sondern als eine cineastische Montage. Meryl Tankard, damalige Tänzerin des „Kontakthof“s, mittlerweile diplomierte Filmregisseurin, nahm sich der 24 Archivbänder der Videodokumentationen an, die seinerzeit Bauschs enger Mitstreiter und Lebensgefährte Rolf Borzik aufgenommen hatte, kürzte die drei Stunden des Originalstücks auf eineinhalb Stunden und behandelte „das Werk wie ein Drehbuch“. (Quelle: Programmheft). Diese auf eineinhalb Stunden gekürzte und neu geschnittene Version von „Kontakthof“ wurde nun als „Kontakthof – Echos of ’78“ im Rahmen des Berliner Theatertreffens aufgeführt. Von den damaligen 20 Tänzer*innen standen neun auf der Bühne und begegneten ihren 46 Jahre jüngeren Videobildern.

Pina Bausch, Meryl Tankard, Kontakthof – Echos of ’78, Foto: Oliver Look.
Die neugeschnittenen Schwarz-Weiss-Archivbilder wurden auf eine Gaze projiziert, die zwischen Bühne und Publikum und damit als die vierte Wand des Theaterhauses gespannt war. Dahinter öffnete sich das Originalbühnenbild, ein in Grautönen gehaltener, fensterloser Ballsaal mit einer großräumigen, grauen Tanzfläche, mittig eine Kinoleinwand, zunächst von einem schwarzen Vorhang verdeckt, flankiert von Stühlen, Mikrofonen und einem Klavier in der hintersten Ecke. Borzik hatte dieses Bühnenbild 1978 als Zitat der Lichtburg entworfen, ein ehemaliges Kino in Wuppertal-Barmen, in dem Bausch und ihre Company damals probten. Eine Lichtquelle links tauchte den Tanzsaal/die Bühne in entsprechende Farben – anfänglich in das kontrastreiche, gedämpfte Schwarz-Weiss oder Grau der Filmaufnahmen, später in warme Lichttöne, als sich die Farben und mit ihnen die Live-Ereignisse auf der Bühne immer stärker durchsetzen sollten. Doch bis es dazu kommen sollte, bestimmten die Archivbilder das Geschehen auf der Bühne. Denn meist fielen die Projektionen der Tänzer*innen, die diese ja ohnehin überblendeten, weitaus größer aus als die Personen in realita; die Tänzer*innen orientierten sich für ihre Bewegungen an den Kamerabildern und Kameraperspektiven Borziks, sie wurden damit zu (asynchronen) Echos ihrer 46 Jahre jüngeren Videobilder; auch die O-Töne der Archivbilder waren maßgeblich und wurden hin und wieder um weitere Live-Töne angereichert, die sich dann zeitversetzt, daneben, darüber, dazu mischten. Der Film wurde damit zu der bestimmenden Matrix, das Theaterhaus zu einem Filmhaus im Theater, in dem das intermediäre Geschehen stattfand: Live-Bewegungen und Video, Live-Klänge und O-Töne des Archivmaterials stellten ein ästhetisch multisensorisches Medien-Crossover dar, sie blieben in ihren Differenzen und spezifischen Merkmalen bestehen, hin und wieder fusionierten sie konzeptionell, wenn sich wechselseitige Interaktionen zwischen dem Material oder Variationen in den Wiederholungen andeuteten. Doch die Kontextbestimmung, die bei Intermediärem durch den Text erfolgt, blieb in diesem Teil der Aufführung uneindeutig.

Pina Bausch, Meryl Tankard, Kontakthof – Echos of ’78, Foto: Ursula Kaufmann.
Im typischen Pina-Bausch-Repertoire der Bewegungen kombinierten die Tänzer*innen Pantomime, Alltagsgesten, manchmal auch Sprache, Klänge und Gesang, sie durchschritten den Bühnenraum, sie koordinierten sich in der Gruppe oder in Gruppen, sie tanzten ein Spektrum an raumgreifenden Gesellschaftstänzen als Solo-, Paar- und Gruppentanz (Walzer, Jive, Tango, Swing, Disco) – selbst dann, wenn der frühere Partner, die frühere Partnerin fehlte. Dieses Fehlen wurde durch offensichtliche Lücken sicht- und fühlbar gemacht: manchmal fehlte das Gegenüber im Paartanz, manchmal blieb ein Stuhl leer, manchmal fing niemand beim Hinuntergleiten auf den Boden auf. So formte sich eine berührende Wehmut, die das Publikum mit einer überwältigenden Offenherzigkeit gegenüber dem Ensemble, das hier vermutlich ein letztes Mal zusammen performen dürfte, auszugleichen versuchte. Denn selbst die Verdoppelungen der Figuren, manchmal sogar Verdrei- und Vervierfachungen durch weitere Projektionen und Schattenbildungen an der rechten Bühnenwand vermochten nicht, die Lücken auszugleichen – zumindest nicht in der ersten Hälfte des Stücks … Diese endete mit einer Zäsur, die ab dem Moment auch den Kontext eindeutig bestimmen sollte: Die neun Tänzer*innen platzierten sich an der Bühnenrampe, mit direktem Blick in das nun nicht mehr abgedunkelte Publikum, in einer Reihe und mit Lücken zwischen sich. Eine nach der dem anderen stellten sich persönlich vor, nannten ihren Namen, ihr Alter (zwischen 69 und 81), ihre aktuellen Hauptbeschäftigungen und ihre vordringlichen Befindlichkeiten: Elisabeth Clarke, Arthur Rosenfeld, Josephine Ann Endicott, Meryl Tankard, John Giffin, Beatrice Libonati, Ed Kortlandt, Anne Martin, Lutz Förster.

Pina Bausch, Meryl Tankard, Kontakthof – Echos of ’78, Foto: Ursula Kaufmann.
Nach der Pause war Schluss mit den farbschluckenden, auf Abstand bringenden, verschattenden Überblendungen. Das Reenactment, das sich bis dahin am Film als bestimmender Matrix orientierte, indem die Tänzer*innen für ihre Bewegungen sogar die Kameraperspektiven übernahmen, emanzipierte sich. Das Theater eroberte sich seinen Raum zurück und bot sich als eindeutiger Kontext an, in dem eine Medienemergenz stattfinden konnte. Die Archivbilder wurden nun auf der Kinoleinwand hinter den Tänzer*innen, deren Vorhang zwischenzeitlich geöffnet wurde, gezeigt. Teilweise wurden sie durch eine zweite, gleiche Projektion neben der Leinwand, direkt auf der Wand des Tanzsaals gedoppelt. Hierfür wurde ein Filmprojektor ins Bild geschoben, der in seiner überdimensionierten Behäbigkeit auf Rollen wie ein weiterer Zeitzeuge, nun des Technisch-Apparativen wirkte. Die Kostüme wurden farbig, das Licht strahlte, nun überblendete nicht „1978“ „2025“, nun orientierte sich nicht „2025“ an den Bildern von „1978“, sondern „2025“ setzte im Kontext Theater Motive, die manchmal nur an den Rändern der Videoaufnahmen oder sogar außerhalb ihres Rahmens zu erahnen waren, fort, nahm hierauf neu interpretierend Bezug oder interagierte mit dem Archivmaterial. Darüber wurden die bisherigen Lücken zu Spuren, Spuren, die durch einen komparatistischen Blick 1978 mit 2025 zu vergleichen in der Lage waren und bemerken ließen, dass zum Beispiel geschlechterhierarchisch angelegte anzügliche Blicke und Bewegungen im Alter abschwächen und nachlassen (können), dass geschlechterunterwerfende Requisiten, Kostüme. Gesten und Schlager („süßes Fräulein“) inhaltslos und banal und damit auch ungefährlich werden (können), dass Meryl Tankard, 1978 von einer Gruppe männlicher Tänzer in schwarzen Herrenanzügen belästigt, 2025 dieser bedrängenden Filmszene gegenüber stehen, sich mit diesen Bildern konfrontieren und schlussendlich die Rezeption dieser frühen Bilder verweigern konnte, indem sie die Bühne verließ. Die anfänglichen Zweifel, ob das stark ausgedünnte Stück, medial durch den Film überblendet, dramaturgisch gehalten werden könne, wurden durch sich allmählich herausbildende Bedeutungsebenen aufgefangen: Es bildeten sich verschränkte Zeitschichten, Alterungsprozesse wurden sichtbar, unterschiedlichste „Kontakte“ hergestellt, Körperpolitiken thematisiert, Lücken fühlbar und Schmerz aushaltbar. Durch Interaktion, Reaktion und Resonanz entstand währenddessen ein theaterhistorisch und tanzgeschichtlich magisches Gewebe, das eine Ahnung gab, wie die Zukunft von Pina Bauschs Tanztheater aussehen könnte: genau dann, wenn das Reenactment zu einem Preenactment wird.

Pina Bausch, Meryl Tankard, Kontakthof – Echos of ’78, Foto: Uwe Stratmann.
Kontakthof – Echoes of ’78 ist eine Produktion von Sadler’s Wells, Pina Bausch Foundation und Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Sie wird koproduziert mit Amare-The Hague, LAC Lugano Arte e Cultura, Festspielhaus St. Pölten, Seongnam Arts Center und China Shanghai International Arts Festival und wird als Beitrag zur Vorbereitung des Pina Bausch Zentrums aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Wuppertal gefördert.
Zum Auftakt des Berliner Theatertreffens 2025 Der so einfach wie brutale Plot des Dramas ist schnell erzählt: zehn Frauen – drei Generationen eines Familienverbunds und ihr Personal – drehen sich um einen Mann, der als (beinahe) Einziger überleben wird, ohne dass er zur Handlung auch nur eine einzige Textzeile beigetragen oder erkennbar Zutritt in das Frauenhaus (außer als begehrtes Foto) gehabt hätte. Die Frauen werden in einem kollektiven Feminicidio Täter-und-Opfer-zugleich eines, ja ihres perfiden Macht- und Unterdrückungssystems in einem, ja ihrem verschlossenen Familiensystem. Hier können also nicht die Gründe liegen, dass die Inszenierung von Federico García Lorcas Dreiakter „Bernarda Albas Haus“ durch Katie Mitchell am Hamburger SchauSpielHaus zum 62. Berliner Theatertreffen als eine der zehn besten Theaterinszenierungen der Saison aus dem deutschsprachigen Raum eingeladen wurde. Bernarda Albas Haus © Deutsches SchauSpielHaus Hamburg, Screenshot aus: https://www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen/programm/2025/10-inszenierungen/bernarda-albas-haus Das Herausragende dieser Inszenierung ist die kinematografisch-theatrische Experimentalität der Aufführung des Dramas, das Lorca 1936 zwei Monate vor seinem Tod fertig stellte und mit dem er als Teil einer Trilogie, so die dominierende Lesweise, gegen die Unterdrückung der Frauen im faschistischen Spanien der 1930er Jahre anschrieb. Das Drama spielt sich über 90 Minuten in dem quergeschnittenen zwei-etagigen Wohnhaus ab, das als Breitbild angelegt ist (Bühne Alex Eales): in der unteren Etage mittig ein größerer Gemeinschaftsraum mit einem gemeinsamen Esstisch, rechts flankiert von einer Küche, durch deren Fenster gleißendes Licht einer Außenwelt dringt, links versperrt ein massives Gittertor den Weg in dieses sich dahinter andeutende Außen. Bernarda, titelgebende Schlüsselfigur des Stücks, hat eben diese Schlüsselgewalt über das Frauenhaus, in dem „Peter“ als Projektionsfläche für Begehren, Lust, Eifersucht, Neid, Schmerz, Sehnsüchte … aller Bewohnerinnen dient. In der zweiten Etage des Hauses reihen sich der Breite nach einzelne Schlafzellen der Frauen aneinander, der fünf Töchter und der so ver-rückten, wie wahr-sprechenden Großmutter, die als Kassandra monologisch durch die Stockwerke, Zeitsphären und Bedeutungsebenen irrt. Beide Etagen sind durch eine Treppe miteinander verbunden. Das Geschehen wird als eine Totale inszeniert, das Publikum hat einen freien Blick auf das gesamte einsehbare Geschehen. Bernarda Albas Haus © Deutsches SchauSpielHaus Hamburg, Screenshot aus: https://www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen/programm/2025/10-inszenierungen/bernarda-albas-haus Wie in einem Splitt Screen finden nun in den zehn Räumen auf zwei Etagen und dazwischen parallele Einzelhandlungen statt, die zu Mise en Scènes choreografiert sind. Hin und wieder synchronisieren sie sich durch gemeinsame Sprechanteile der ineinander montierten Dialoge. Diese Technik der parallelmontierten, über- oder auch einschneidenden dezentralen Konversationen verlangt entweder maximale Aufmerksamkeit oder aber Selektionstechniken der Wahrnehmung, um im Plot zu bleiben – oder aber die Gewissheit, dass der Plot auch beiläufig begriffen werden kann. Hin und wieder zentralisieren sich die Einzelhandlungen auch zu einer einzigen Handlung im Gemeinschaftsraum, aus der die Beteiligten aber wieder herausdrängen oder herausgedrängt werden und in die um- und anliegenden Räume und Zwischenräume flüchten. Die Totale des Bühnenbildes wird so zu einzelnen Szenenbildern, in dem in Zusammenarbeit mit Lichteffekten (James Farncombe) das filmische Repertoire von Einstellungsgrößen (von Panorama über Halbtotale und Halbnahe bis hin zu Großaufnahmen) eingesetzt wird, ohne dass je ein technischer Einsatz, zum Beispiel einer Videokamera stattfände. Kombiniert wird diese Splitt Screen-Technik mit Tempi-Änderungen in Form von geschwindigkeitsverlangsamenden Zeitlupen von Bewegungsstudien der Schauspieler*innen. Denn Mise en Scène bedeutet im Film nicht nur einen Raum, sondern auch eine Zeit zu organisieren. Diese Tempi-Änderungen schaffen zusammen mit einem starken Sound (Melanie Wilson) einen gestreckten Platz für dramatische Momente, die in dieser Medialität verfasst sprachlos bleiben und ihre rezeptive Wirkung entfalten können. In ihrer Montage ähnelt Mitchells „Bernarda Albas Haus“ daher einem filmischen In-Szene-Setzen im Theaterraum. Bernarda Albas Haus, © Thomas Aurin Denn menschliche Dramen entwickeln sich nicht nacheinander, proportional oder kausal begründbar. Sie passieren, ohne dass ihr Verlauf von einem Fluchtpunkt einer perspektivischen Ab-Bildung als ein Brennpunkt gesteuert, choreografiert, kontrolliert, vorhergesagt oder arrangiert werden könnte. Vielmehr überlagern, dynamisieren und kreuzen sich die Emotionen, Ereignisse, Stimmungen, Vorhaltungen und Projektionen. Und so synästhetisieren sich die Kräfteverhältnisse der Ereignisse in ihren Sicht- und auch Nichtsichtbarkeiten, ohne das inszenatorische Schwerpunkte betont werden müssten. Genauso mergen die Texte (Alice Birch, übersetzt von Ulrike Syha) in- und übereinander zu einem verstörenden Rauschen und potenzieren sich zusammen mit einem anschwellenden Elektroniksound, der mal funktional extradiegetisch als verbindender Soundteppich eingesetzt wird, mal intra- genauer autodiegetisch sich mit dem Plot verbündet und dessen Dichte und damit seine Dringlichkeit erhöht. So entsteht eine multisensorische Polyphonie vieler Bilder und Stimmen, die dem Ton selbst eine Plastizität inmitten des Theaterraums verleiht. Bei „Bernarda Albas Haus“ in der Inszenierung des Hamburger SchauSpielHauses handelt es sich um eine Variante postdramatischen Theaters, bei der allerdings nicht nur, wie hinlänglich erprobt, die Personen multipliziert und hinsichtlich ihrer Autorschaft, Identität oder Authentizität dekonstruiert werden. Hier werden auch die installativen Orte Teil eines szenischen Netzwerks und mit einer Handlungsmacht ausgestattet, so dass auch sie zu Mitakteuren innerhalb des (titelgebenden) Frauenhauses werden. Dieses Theater wird kinematografisch konstruiert, ohne dass wie bisher bekannt, eine Videokamera zum Einsatz käme. „Postdramatisch“ – vielleicht hier sogar spezifischer „dramatischpostdramatisch“– wird damit einmal mehr (statt einer Gattung) zu einem Verfahren, Theater zu machen. Interessant dürfte sein, wie die TV-Produktion von 3sat das Filmische dieser Theaterinszenierung aufgreifen und sich wiederum in deren Medialität niederschlagen wird: Samstag, 3.5.2025, 20:15 Uhr auf 3sat oder für ein Jahr in der Mediathek der Berliner Festspiele zu sehen. I. Sprechtheater Noch bevor die 10 Stunden Antike „Dionysos Stadt“ in der Regie von Christopher Rüping auf der Bühne des Berliner Festspielhauses starten, entfaltet Nils Kahnwald im Prolog der Stückmontage ein zu befürchtendes Ausmaß der nächsten 10 Stunden: In den hell erleuchteten Zuschauerraum, die 4. Wand durchbrechend, referiert er über den zu erwartenden Ablauf, die 3 einkalkulierten Pausen, die englischen Untertitel an den Wänden, die zwingend anzuratende Toilettennutzung in der 2. Pause, sein bald stattfindendes Stagediving, für das er die Beteiligung des Publikums benötige, die zu antizipierenden Körperbeschwerden in Rücken, Augen und Gelenken, die Raucherampel, die bei grün Raucher auf die Bühne einlädt, szenisch zu rauchen, die zwei Tauben, die gegen das Scheinwerferlicht fliegen werden und damit ihrem Leben selbst ein Ende setzen, den Verdienstausfall eines angesprochenen Studierenden im Publikum, den er mit euro 50,- ausgleichen will, wenn dieser durchhält. Nach 10 Stunden sei dann alles vorbei, das Publikum hätte Demut gelernt, um zu überleben, in jedem Fall war im Prolog ein wohlwollendes Publikum kreiert – und so landet Kahnwald übergangslos inmitten des ersten Teils des Antikenprojekts, das von den Münchner Kammerspielen zum Theatertreffen 2019 nach Berlin eingeladen wurde und analog der antiken Aufführungspraxis mehrere Einzelstücke, drei Tragödien und ein Satyrspiel über mehrere Stunden hinweg kombiniert: 7+3 Stunden Antikenplot in installativer Gattungsmontage weiterlesen Zu Elfriede Jelineks Umgang mit Trump und Falk Richters Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus. Auch nach 15 Monaten Donald Trump ist die Frage, wie mit ihm umzugehen ist, noch immer nicht geklärt. HistorikerInnen, PolitikwissenschaftlerInnen und PhilosophInnen beissen sich die Zähne aus, Trumps Wahlerfolg entweder in eine Verbindung mit dem Brexit, den Erfolgen des FN in Frankreich, der FPÖ in Österreich und der AfD in Deutschland oder aber mit dem Erstarken der Kakistokratie (Masha Gessen) bzw. von Tyranneien (Timothy Snyder: On Tyranny. Twenty Lessons from the 20th Century, 2017) zu bringen. Oder, eine nächste Variante: die Gründe werden in identitätspolitischem Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus und LGBTQ und ihren Niederschlägen in Form von Gendertheorie, Postmigration und Political Correctness gesehen (Mark Lilla, u. a. im New Yorker). Oder, ein weiterer Umgang: die Ereignisse von 1968 werden auf die Anwesenheit von Brutalität und Tragödie (Morde an Martin Luther King und Robert F. Kennedy) untersucht, um mit Trump nun die historische Linie eines Backlachs seit 1968 zu zeichnen. Und noch eine Erzählung: Clinton (sowohl Bill als auch Hillary) und Obama werden als Repräsentanten eines progressiven Neoliberalismus gedeutet, deren Bündnis von Emanzipationsbewegungen mit dem globalen Finanzkapitalismus (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie) für den Wahlerfolg Trumps 2016 verantwortlich sei (Nancy Fraser: Vom Regen des progressiven Neoliberalismus in die Traufe des reaktionären Populismus, 2017). Und so wird Trump wahlweise auch als Geburtshelfer von #MeToo (Hedwig Richter), des Populismus (Bernd Stegemann) oder einer neuen erstarkten Linken (Eva Illouz) gedeutet. Realpolitik als Theater – Theater als Realpolitik weiterlesen Rimini Protokoll, mit „Situation Rooms“ zum Theatertreffen 2014 eingeladen, präsentierte sich aus terminlichen Gründen zum einen mit einer Dokumentationsbox im Foyer des Berliner Festspielhauses, zum anderen am 5.5.2014 mit einer Kinoprojektion ihres eingeladenen „Multi Player Video-Stücks“ und einer anschließenden Gesprächsrunde, an der (selten genug) die drei Rimini-Gründer Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel teilnahmen: Die gezimmerte Doku-Box gibt einen Überblick über die 20 Erzählstränge in Form von 20 sprechenden und (durch Point of View- und Over the Shoulder-Einstellungen) ins Bild gesetzten Experten des hier fokussierten Themenkomplexes „Waffen“: ein Feinmechaniker aus der Schweiz, ein Arzt aus Deutschland, ein Flüchtling aus Syrien, ein Kriegsfotograf aus Deutschland, ein Kindersoldat, ein Hacker, ein Friedensaktivist… Sie alle haben jeweils 7 Minuten Zeit, ihre Lebengeschichten auf das Thema zu pointieren, die den Rezipienten erstens in einem Set bestehend aus gebauten Räumen des Plots (Operationssaal, Konferenzsaal, Werkstatt…) und zweitens über tragbare iPads und Kopfhörer vermittelt werden. Sowohl die 20 Sieben-Minüter als auch ein Modell des Sets in den Ufer-Hallen Berlin sind in der Dokumentationsbox aufgebaut, eine Excel-Übersicht verdeutlicht die protokollierende Organisation der installativen Performance mit dem Einsatz neuer Medien. Grenzwertbestimmungen des Theatertreffens 2014: Situation Rooms von Rimini Protokoll weiterlesen Vor der Pause wirkt „Zement“, Heiner Müllers Theaterstück von 1972 (uraufgeführt am Berliner Ensemble 1973 von Ruth Berghaus) in der Inszenierung von Dimiter Gotscheff wie aus der Welt gefallen: klassisches Sprechtheater, unspektakuläre Bühne und Kostüme, in skulpturalen Posen verhärtete Schauspieler, zäh und anstrengend für das Publikum – vielleicht auch, weil konzentrative Hörarbeit dem Theaterbesucher gegenwärtig nicht häufig abverlangt wird, Text zum Soundteppich umfunktioniert wird. Nach der Pause ist klar: Das inszenatorische Prinzip ist inhaltliches Programm. Wir stecken, mit Müller formuliert, „bis zum Hals“ in Ideologien (Sozialismus, Kapitalismus, Demokratie) – Beweglichkeit ist ausgeschlossen. Selbst der Theaterboden versucht, Raum zu schließen, Raum zu nehmen und das Publikum zu erdrücken, indem er sich zur 4. Wand aufstellt. Einhergehend wird der Blick in den imaginären Raum (der Theaterbühne, der Utopie, der Zukunft) verstellt. Ein großartiger Einfall für die weiss-grau verstaubte Bühne Ezio Toffuluttis, denn dem Publikum werden gleichzeitig auch die Spuren des Geschehens als Leinwand gegenüber gestellt und ansichtig. Grenzwertbestimmungen des Theatertreffens 2014: Zement von Dimiter Gotscheff weiterlesen KontakthofKontakthof - Echos of '78Meryl TankardPina BauschPina Bausch TanztheaterRolf BorzikTheatertreffenWuppertal
Kinematografisch-theatrische Experimentalität





Bernarda Albas HausFederico García LorcaHamburger SchauSpielHausKatie MitchellTheatertreffenTheatertreffen 2025
7+3 Stunden Antikenplot in installativer Gattungsmontage
Realpolitik als Theater – Theater als Realpolitik

© Arno Declair.Grenzwertbestimmungen des Theatertreffens 2014: Situation Rooms von Rimini Protokoll
Grenzwertbestimmungen des Theatertreffens 2014: Zement von Dimiter Gotscheff
Zur Kommunikation zeitgenössischer Kunst | For communication of Contemporary Art

