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Das ist (k)eine Botschaft. Taiwan inmitten repräsentativer Zeichenspiele.

„Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ lautet der Titel der neuesten Rimini-Protokoll-Produktion (Stefan Kaegi) im Rahmen der Performing Arts Season der Berliner Festspiele 2023/24. Dieser Satz ist inmitten der Repräsentationsmaschine Theater und des Performanzformats so wahr, wie er falsch ist, so wenig wahr, wie er wenig falsch ist. Das hatte bereits René Magrittes Ölgemälde „Ceci n’est pas une pipe“ bildnerisch belegt, indem Magritte unter die plakativ-realistische Abbildung einer Pfeife auf einer Leinwand schrieb: „Ceci n’est pas une pipe.“, das ist keine Pfeife, obgleich es sich doch um eine Pfeife handelte. Darstellung (Signifikat), Bezeichnung (Signifikant) und tatsächliches „Ding“ sind zu unterscheiden.

C’est une embassade. Ceci n’est pas une embassade.

Für zwei Stunden entstand auf der großen Bühne des Berliner Festspielhauses die Botschaft Taiwans. Die Musikerin Debby Szu-Ya Wang, die Digitalaktivistin Chiayo Kuo und der ehemalige Diplomat David Chienkuo Wu – alle drei auf ihre je eigene Art Botschafter*innen ihres Landes – riefen mit ihrer Performance und damit mit einer performativen Äußerung auf der Theaterbühne im Schutz der Kunstfreiheit die von ihnen vermisste diplomatische Vertretung ihres Heimatlandes in Deutschland aus. Nicht nur hier würde eine Botschaft fehlen, in nur zwölf Ländern würden Taiwans diplomatische Vertretungen den Status einer Botschaft haben, in Europa nur in Vatikanstadt – und das, obwohl Taiwan zu den zwanzig größten Wirtschaftsregionen der Welt zähle. Aber keine Nation könne es sich leisten, die Beziehungen zur Wirtschaftsmacht China zu gefährden. Selbst seinen Sitz in den Vereinten Nationen musste Taiwan 1971 aufgeben, als der US-amerikanische Präsident Richard Nixon entschied, die politischen Beziehungen zu China zu intensivieren. Auch bei den Olympischen Spielen tritt Taiwan seit 1984 unter dem Namen Chinesisch Taipeh an und darf auf den Zeremonien weder seine Flagge zeigen, noch darf  die Nationalhymne gespielt werden. Seither kämpft Taiwan um diplomatische Anerkennung und damit auch um seine politische Repräsentanz. 

Diese wurde nun an drei Abenden im Berliner Festspielhaus temporär performiert: unter anderem mit der Flagge Taiwans und einem am Bühnenhaus fixierten goldglänzenden Messingschild ausgewiesen, mit der Nationalhymne in Karaokeversion zu Gehör gebracht und mit dem Publikum als Besucher*innen eines Botschaftsempfangs in Szene gesetzt. Hierbei handelte es sich um die Bestandteile, die in performativer Funktion einen konkreten Handlungsvollzug von Botschaft als Botschaft praktizierten – und dies in doppelt semantischem Sinne: Hier wurde nicht nur eine Botschaft (als embassy) performiert, hier wurde auch eine Botschaft (als message) kundgetan. „Bitte vergesst uns nicht!“ Performative Äußerungen vollziehen die Wirklichkeit, die sie beschreiben, selbst mit – und bringen sie so erst hervor. Diese Äußerungen tun durch die Äußerung selbst etwas; etwas, das nicht wahr oder falsch ist, sondern das glücken kann oder eben nicht (J.L. Austin 1986: Performative Äusserungen). „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ ist geglückt.

© Claudia Ndebele

C’est un message. Ceci n’est pas un message.

Die Theaterbühne und das künstlerische Format der Performance konnte das Defizit fehlender Repräsentanz für zwei Stunden aufheben: Mit Mitteln der erzählerischen und bildlichen Montage und Collage entstand im ausverkauften Haus der Berliner Festspiele eine Erzählung Taiwans, die historische, politische, soziale und wirtschaftliche Dimensionen des Landes mit persönlichen Biografien verwob. Debby Szu-Ya Wang, Chiayo Kuo und David Chienkuo Wu erzählten von sich, ihren Lebenswegen und Familien. Sie verknüpften ihre mikropolitischen Geschichten mit soziopolitischen Ereignissen Taiwans, etwa mit der Gründung Taiwans durch Rückzug der Unterlegenen der Kommunistischen Partei aus der Volksrepublik China 1949, mit dem Personenkult um den Gründer Chiang Kai-shek und der Ende der 1980er Jahre beginnenden Demokratisierung. Sie erzählten von sozioökonomischen Entwicklungen als Halbleiterproduzent oder als Bubble-Tea-Erfinder, von Landesbezeichnungsdebatten (Taiwan vs. Republik China), von Religions- und Sprachenvielfalt der Inseln. Die umstrittene völkerrechtliche Stellung Taiwans würde sich in den tektonischen Erschütterungen zwischen unterschiedlichen Politiksystemen wiederfinden, aber auch durch Taiwans geologische Lage innerhalb des pazifischen Feuerrings, die immer wieder zu starken Erdbeben führen.

Die sprachlichen Erzählungen wurden zusätzlich ins Bild gesetzt: mittels Miniaturmodellen von Architekturen und Personen, die wiederum durch Videoprojektionen auf der Bühne großformatig sichtbar gemacht wurden, mittels auf der Bühne von Debby produzierter Klänge und Kompositionen, aber auch mittels projizierter Privatfotografien von Debby, Chiayo und David. Selbst ihr performiertes Demokratiekonzept machten sie ansichtig: Konträre Einschätzungen ihrer jeweilig erzählten Perspektiven wurden durch Widerspruchsschilder kommentiert: „I disagree“, hieß es durch Chiayo, wenn David von einer Wiedervereinigung mit dem Festland China schwärmte oder durch David, wenn Chiayo den Staatsgründer Chiang Kai-shek als Militärdiktator bezeichnete.

Dass es sich bei den Berliner Festspielen um eine direkt vom Bund getragene und finanzierte Einrichtung handelt, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien als Aufsichtsratsvorsitzende zumindest geschäftlich unmittelbare Vorgesetzte des Intendanten des Hauses ist, reicherte die Doppelbödigkeit, dass hier keine Botschaft performiert würde, obwohl hier eine Botschaft i.S. einer embassy und einer message performiert wurde, um eine nächste, um eine politisch-infrastrukturelle Bedeutungsebene an. Im Zeichen der Kunstfreiheit und mit der Kraft der performativen Äußerung wurde die künstlerische Performance zu einer politischen, das Theater temporär zu einer „Bühne der Weltpolitik“. Im Gewirr der Mehrfachbedeutungskonstruktionen und -zuschreibungen konnten daraufhin im Publikum unter den Gästen des performierten Botschaftsempfangs auch die aktuelle Aussenministerin und der CEO der Volkswagen AG ausfindig gemacht werden. Somit fand auch das Publikum inmitten von Struktur, Zeichen und Spiel (Derrida 1972) seine Rolle/n und ließ sich auf das Spiel zwischen Abwesenheit und Präsenz des Zeichens ein.

© Claudia Ndebele

Das ist (k)eine Botschaft. 

Zum Ende des Abends blinkte auf der Rückseite des Bühnenhauses ein taiwanesisches Schriftzeichen, eine Kombination von ‚Nation‘ und ‚vielleicht‘, von ‚nation‘ und ‚maybe‘: Das Schriftzeichen wurde als Leuchtzeichen nur in einen der beiden Zustände versetzt: entweder als ‚Nation‘ oder als ‚vielleicht‘. Dabei belegte „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ in just dem Moment des Vollzugs, dass mehrere Zustände gleichzeitig funktionieren, sowohl eine Botschaft zu sein, als auch keine, sowohl eine Botschaft zu haben, als auch keine. Das goldglänzende Messingschild wurde nach zwei Stunden, unter großem Applaus des Publikums für die drei Erzähler*innen des Abends und „Experten des Alltags“, demontiert.

© Claudia Ndebele

24., 26., 27.01.2024, Uraufführung Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne

Eine Produktion von Théâtre Vidy-Lausanne und National Theater & Concert Hall Taipei in Koproduktion mit Rimini Apparat, Berliner Festspiele, Volkstheater Wien, Centro Dramático Nacional Madrid, Zürcher Theater Spektakel, Festival d’Automne à Paris, National Theatre Drama / Prague Crossroads Festival mit Unterstützung von Centre Culturel de Taiwan à Paris und Prix Tremplin Leenaards / La Manufacture.

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Kapelle der Schmerzen

Steven Cohen: Put your heart under your feet… and walk! To Elu

https://www.berlinerfestspiele.de/performing-arts-season/programm/2023/spielplan/put-your-heart-under-your-feet-and-walk

Die Hinterbühne des Berliner Festspielhauses klappt sich auf wie ein Notebook: Auf dem Boden liegt ein symmetrisch sortiertes Raster aus etwa zweihundert hellrosa farbenen Spitzenschuhen mit ihren Satinbändern, paarweise geordnet, manche mit Davidsternen kombiniert, mit Kruzifixen oder mit Voodoo Puppen, andere mit Amuletten, Spielzeugautos oder Sexspielzeugen. Links auf der Bühne sind vier Grammophone in eine Runde gehängt, rechts auf der Bühne ist eine Gruppe verschiedener Art déco Kerzenständer, inklusive hochgestreckter Kerzen, zusammen mit einem Tisch zu einem Altar angeordnet. Die Rückwand der Bühne wird im Verlauf der einstündigen Performance zu einer Projektionsfläche für vorproduzierte Videos an „anderen Orten“. Der gesamte Raum ist in den Geruch von Weihrauch gehüllt. 

© Pierre Planchenault

Steven Cohen, bildender und darstellender Künstler, Performancekünstler und Choreograf, 1962 in Südafrika geboren, weiss, jüdisch, männlich, homosexuell, hat seit den 1990er Jahren einen alterslosen, haarlosen, artifiziell geschminkten und geschmückten, weiß gepuderten, beinahe nackten, queeren Archetyp entwickelt, der mittels seines Körpers als Mittler oder auch Médiateur die auf der Bühne installierten und figurierten Objekte „zum Leben erwecken wird“: Hier wird der material-semiotische Ansatz z. B. Bruno Latours, der die Handlungs- und Wirkvollmächtigkeit (Agency) nichtmenschlicher Entitäten oder auch der Dinge in einem interaktiven Netzwerk von Akteur*innen betont, oder auch der neo-materialistische Ansatz Karen Barads der Intra-Aktion, der die wechselseitige Hervorbringung miteinander verschränkter Agenzien herausstellt, aus denen sich prozesshaft Materie performiert und damit auch erst materialisiert, zur Ansicht gebracht. Die installative Collage auf der Bühne, bestehend aus hunderten Einzelteile, über Licht bedeutungsvoll als Reliquien ins Szene gesetzt, sind daher bereits Mitspieler. Damit liegt schon in der Installation das Performative, schon bevor Cohen die Bühne betritt.

Cohen wird sich über etwa 60 Minuten in langsamen und würdevollen Schritten, manchmal hilflos, manchmal ungleichgewichtig, durch diese intra-performative Installation bewegen. Sein weißer Körper wird in weißen Corsagen oder kunstvollen Art déco-Kleidern gezwängt sein. Er wird sich auf glitzernden, überhohen High Heels, in Spitzentechnik bewegen, deren Absätze anfänglich Kindersärge sein werden. Verlängerte Unterarmgehstützen werden ihm dabei behilflich sein, mit den Kindersärgen unter seinen Füßen über den drapierten Spitzenschuhen zu balancieren und die Installation zu durchschreiten. Die vier Grammophone werden durch eine Kurbel von ihm aktiviert, an seinen Körper geschnallt über die Bühne getragen und damit zu tanzenden Lautsprechern. Er wird als Trauerritual die Kerzen entzünden, ein Gebet flüstern, mit einer Kamera eine Schatulle inspizieren, aber auch seinen weiß geschminkten und mit Ornamenten geschmückten Körper, seine glitzernden Augen und seine kunstvoll nachgezogenen Lippen, um mit der Kamera dann auch in seinen Rachen zu gleiten. Er wird über das „Theater als Tempel“ referieren, aus der Schatulle einen Löffel Asche seines 2016 verstorbenen Partners Elu Johann Kieser zu sich nehmen und aus einem Kelch trinken. Dazu wird leise Leonard Cohen singen. Und er wird sich über die auf der Rückwand projizierten Videos selbst begegnen, in einem Palmengarten, aus „Muttererde“ auftauchend, in einem Schlachthof: Hier wird das Publikum die Tötung von Rindern sehen, Cohen wird sich in seinem weißen Spitzentutu unter die bluttropfenden, langsam sterbenden Rinderkörper legen, er wird seinen weißen Körper mit dem roten Rinderblut waschen. Im Schlachthof angestellte People of Color werden sich wundern und 17 Zuschauer*innen werden sich diesen Bildern entziehen. Damit wird die performative Installation, durch Cohen als Médiateur performiert, kinematografisch angereichert.

© Pierre Planchenault

Cohen bzw. sein kreierter Archetypus wird dem Publikum (s)ein geheimnisvolles, phantastisches (oder auch phantasmatisches), verschlüsseltes Universum für einen Moment öffnen: ein Universum, das mit Symbolen, Metaphern, Chiffren und Zeichen ausgestattet ist, das mit Ritualen, Licht, Sound, Bewegungen, Weihrauch und künstlichem Nebel als geheimnisvoll und intim inszeniert wird, das aber auch ohne die Hermeneutik als Methode zugänglich und attraktiv ist: Wie Alice im Wunderland durchschreitet und zelebriert Cohens Kunstfigur eine Kapelle der Schmerzen – Schmerzen, die durch Tod, Verlust oder Misshandlung, durch körperliche Züchtigungen, Trauer oder Religionen, durch Nichtwissen, Angst und Liebe entstehen. Aber Cohens Kapelle tröstet über überwältigende Trauer hinweg: „Put your heart under your feet… and walk!“ Sein Universum lässt, obwohl übercodiert und chiffriert, Platz für eigene Projektionen. Bei Projektionen wird es bleiben, denn das Publikum wird die collagierte Bodeninstallation nach 60 Minuten nicht noch selbst durchwandern können. Die Kapelle bleibt damit ansichtige Zeremonie und Bild/Leinwand. Sie ist Elu gewidmet. 

© Pierre Planchenault

Auftakt der Performing Arts Season der Berliner Festspiele. Ein Panorama internationaler Tanz-, Theater- und Performanceaufführungen, 13.10.2023 bis 8.3.2024: https://www.berlinerfestspiele.de/performing-arts-season