Vermutlich hätte ich meinen Text anders begonnen. Ich hätte über die acht Einzelkapitel der Ausstellung geschrieben, die in einer der früheren Abfertigungshallen des Flughafenhauptgebäudes Berlin Tempelhof, direkt am Platz der Luftbrücke, installiert und inszeniert wurden. Ich hätte die Aufteilung der Räume, die Choreografie und Dramaturgie der Abläufe, die Inhalte und Materialien und das kuratorische Konzept in der ca. 100 Meter langen, ca. 50 Meter breiten Halle und ca. 20 Meter hohen Halle analysiert. Ich hätte mich gewundert, dass in dieser historisch monumentalen Naziarchitektur, gebaut ab 1936, ein so sensibles, empfindliches und sensitives Thema eingebettet und performiert wurde. Ich wäre auf die Initiatoren und weitere Kontextfaktoren, wie die Finanzierung eingegangen und hätte machtkritisch die Motive der Ausstellung und die Vermittlungsdimension dekonstruiert. Aber das Thema verlangt Empathie ab, sowohl als affizierte Forderung der Ausstellungsmacher und Initiator*innen, als auch als perzeptive Emotion durch die Ausstellung und ihre kuratorische Inszenierung selbst – und es dehnt die Grenzen dessen, was eine Ausstellung „ist“.
Daher setze ich früher an, über die Ausstellung „The Nova Exhibition Tempelhof“ in Berlin, die keine Ausstellung ist, zu schreiben. Ich starte mit der Polizeipräsenz vor den Türen des Flughafenhauptgebäudes am Platz der Luftbrücke. Ich erwähne die Sicherheitsprüfungen am Eingang, die den Checks in deutschen Gerichtsgebäuden und auf internationalen Flughäfen ähneln: das Prüfen von Taschen und Kleidung und die Frage, ob man Getränke, Feuerzeug oder Aufkleber dabei hätte – das alles eingebettet in eine Lichtinstallation, die mit ihren auf den Boden projizierten Schlüsselbegriffen erste Per- und Rezeptionskriterien setzt: „Community, Compassion, Recovery, Freedom, Strength, Support, Faith“. Und ich setze fort mit dem Entree, in dem ein raumhohes Textplakat weiß auf schwarz darüber informiert, das hier eine Public-Private-Partnerschaft stattfindet: zwischen der Berliner Landes- und Bundespolitik, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin und der Kultursenatorin, zusammen mit dem Staatsminister für Kultur und Medien, der Bundesministerin für Bildung etc., unter anderem der Botschaft des Staates Israel, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, der Bayer AG, der GEMA, der Axel Springer Freedom Foundation und anderen, in Zusammenarbeit mit vielen namentlich genannten Familien, Privatpersonen und Stiftungen. Als Vorspann erzählt die Informationstafel im Eingangsbereich, dass „The Nova Exhibition“ den getöteten Liebsten am 7. Oktober gewidmet sei und die Nova Community (und dazu zählen laut Infotafel unter anderem das Nova Exhibition Board, die Tribe of Nova Foundation und die Nova Exhibition Berlin) allen Beteiligten an dieser Ausstellung dankt. Die Tribe of Nova Foundation wurde unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 als Reaktion auf den Unterstützungsbedarf der 3.500 Überlebenden des Massakers und ihrer Angehörigen gegründet und kümmert sich nach Eigenaussagen nun um deren „Begleitung, um Resilienzaufbau und Unterstützung bei der Vernetzung mit anderen Betroffenen“. Mit Logo und Slogan der Foundation wird die Handschrift des Narrativs gesetzt: „Der Rhythmus is unsere Wurzel. Die Bewegung unser Gebet. Die Erinnerung pulsiert durch unseren Körper. Verpflichtung lebt in unseren Händen und Licht geht auf mit jedem Schritt […].“
Die Nova Exhibition, die seit 2023, von den Gründern des Nova Music Festivals produziert, als Wanderausstellung unterwegs ist und bisher in New York City, Los Angeles, Buenos Aires, Miami, Toronto und Washington D.C. gezeigt wurde, ist nun in Berlin zu sehen, bevor sie voraussichtlich nach London weiterziehen wird. „Oct 7, 06:29 a.m. – The moment music stood still“ thematisiert den Terrorangriff der Hamas und ihrer Unterstützer und das Massaker während des Open Air-Trance-Musikfestivals am 7. Oktober 2023 im Gebiet Eschkol, zwischen Re’im und Be’eri, im Grenzgebiet Israels zum Gazastreifen (Gaza Envelope), bei dem 411 Menschen getötet und 43 Festivalbesucher*innen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Um den Plot vorweg zu nehmen: Die Ausstellung startet in einem für die Besucher*innen verpflichtenden Videovorführraum mit dem Prolog eines fünf-minütigen Films, in dem Festivalbesucher*innen Auskunft zur programmatischen Schönheit, Kollektivität und Solidarität des Nova-Festivals geben und in ihren Erzählungen auf den unfassbaren Moment des Wendepunktes am 7. Oktober, um 6:29 Uhr, „als die Musik still stand“, zusteuern. Die Ausstellung endet mit Zuversicht: „We Will Dance Again“. Wir werden wieder tanzen.
Doch bevor die chronologisch linear erzählte Ausstellung zu einem Gedenk- und später zu einem Ort der Zusammenkunft mit infrastruktureller Sorgearbeit wird, werden die Besucher*innen mit den Ereignissen am Morgen des 7. Oktobers 2023 konfrontiert, als der „Rote Alarm“ startete. Gut ein Drittel der abgedunkelten Halle ist mit einzelnen, in Orange ausgeleuchteten Inseln des Grauens konzipiert. Unterhalb von Eukalyptusbäumen aus Plastik sind, so wird informiert, eine Auswahl der rund 20.000 Originalutensilien versammelt, die auf dem Festivalgelände aufgefunden wurden: umgeworfene Klappstühle und Campingliegen, einzelne Badelatschen, zurückgelassene Bücher, Sonnenmilch, aufgerissene Zelte, überrannte Kuscheltiere, zerfetzte Kleidung und Schlafsäcke, Volleybälle, Chipstüten, Abfälle … In diese einzelnen dezentralen Inseln sind Screens unterschiedlicher Größe, zusammen mit je eigenen Lautsprechern, platziert, deren Videos in Endlosschleife in anonymer Urheberschaft und unbenannter Autorperspektive Auskunft geben über die Raketenangriffe, die Durchbrüche der Sperranlagen mit Baggern, die Angriffe der Terroristen auf Motorrädern, die rennenden Menschen über die Felder Richtung Osten, die brennenden Autos entlang der Nationalstraße, aber auch konkret über das Festivalgelände, das hier nachempfunden wird. Diese Bewegtbilder stellen automatisch eine Relation zu der hier ausgestellten und kuratierten Situativität her und informieren über den Vergleich, dass hier näherungsweise eine Originalität in situ kuratiert und inszeniert ist, die zusätzlich durch die eingesetzten Medialitäten virtualisiert und hyperrealisiert wird. Skelette ausgebrannter Autos in der Ausstellung sind weitere (originale?) Zeugen des Grauens, das die etwa 3.500 internationalen Partygäste aus 17 Ländern an diesem Morgen erlebt haben. Nachbauten (?) von Bunkern, von Kugeln durchlöcherten mobilen Toilettenanlagen und einer Getränkebar zeigen, wo und wie die Fliehenden versuchten, sich zu verstecken und doch keinen Schutz fanden. Audioaufnahmen bezeugen die letzten Telefonate, die Ermordete mit ihren Familien geführt haben.

Das Ergebnis des knapp neun-stündigen Massakers ist erschütternd: 411 Menschen, darunter Zivilisten und Sicherheitskräfte, wurden getötet und 43 Besucher*innen des Trance-Festivals als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt; 3.710 Überlebende wurden seither als zivile Opfer von Terroranschlägen anerkannt, davon sind 76% junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, 14 der verschleppten Geiseln wurden freigelassen, 15 ermordet. Die ersten israelischen Soldaten trafen zur Mittagszeit ein, das Festivalgelände wurde gegen 15 Uhr final durch das israelische Militär gesichert, so heißt es in dem Wikipedia-Eintrag zum Thema.


In diesem polyphonen Stimmen- und Bildergewirr bahnen sich die Besucher*innen ihren je individuellen Weg, sie bücken sich, um unter den Eukalyptusbüschen in die geöffneten Zelte zu schauen oder Handys in die Hand zu nehmen (hierzu wird offensiv durch ein Textplakat am Eingang aufgefordert), auf denen nächste Zeitzeugenvideos zu sehen sind. Informationstafeln geben punktuell Auskunft zum Beispiel zu den Bunkeranlagen entlang der Nationalstraße, zu geschlechtsspezifisch und sexuell eingesetzter Gewalt oder zu einzelnen Personen, die Opfer des Massakers wurden, wie zum Beispiel die Barkeeperin Liron Barba, die Verletzten half, bevor sie selbst getötet wurde. So entsteht im vorderen Teil der Halle eine immersiv-theatral-interaktive Ausstellung, die forensisches Material mit multimedialen Installationen, persönlichen Augenzeugenberichten, künstlicher Vegetation und Memorabilia kombiniert und in orangene Scheinwerferspots taucht.


In der Mitte der Halle treffen die Besucher*innen unter einem farbigem Festivalzelt auf die Originalbühne und die Originallautsprecheranlagen (von Function One) des Festivals, vor denen nun nicht mehr die Festivalbesucher tanzen, sondern statt ihrer stellvertretend ein kreisrunder, strahlend angeleuchteter „Alter Code des Lebens“ von Roee Aminof installiert ist. Eine Texttafel informiert, das hier drei Heiltraditionen – der jüdischen Kabbala, der mexikanischen Curanderos und der internationalen Kunst – genutzt würden, „um Wunder und Heilung hervorzurufen“. Aus den Boxen dringen Trance-Klänge, auf herabhängenden wehenden Stofffahnen werden Animationen fliegender Vögel projiziert, dahinter sind Bewegtbilder im Sonnenaufgang tanzender Menschen zu sehen – und damit wird eine In-situ-Situation zu kreieren versucht, für die Originalgegenstände transloziert wurden, sowie Abwesenheiten kultisch und medial kompensiert werden.


Wie durch ein Nadelöhr der Trance-Kultur und deren psychedelischen, kultischen und mystischen Effekten gelangen die Besucher in den hinteren Teil der Halle, der im Unterschied zu dem nachgestellten Chaos des Terrors eine klare, strikte, strenge Ordnung praktiziert:
Neben der Ansprache an die Besucher*innen, ihre Gedanken und Gefühle auf weißen Kärtchen zu notieren und im Raum zu verteilen, informiert eine 40 Meter lange Gedenktafel, in vier Reihen übereinander, über jeden einzelnen der 411 ermordeten Festivalbesucher*innen mit einem Porträtfoto und einem kurzen Text. Zu diesem Raum der Erinnerung gehört eine ebenso lange Tafel, auf der Kerzen und die handschriftlichen Erinnerungen der Besucher*innen platziert sind. Auf daneben singulär positionierten Tischen sind die auf dem Festivalgelände gefundenen Originalgegenstände nach ikonischem Vorbild der musealisierten Holocaust-Erinnerung geordnet: ein Tisch mit Taschen, einer mit Oberbekleidung, einer mit Technikutensilien wie Uhren, Fotoapparate, Handys und Brillen, einer mit Schuhen, einer mit Kopfbedeckungen, einer mit Tüchern, einer mit Trinkflaschen. Eine interaktive Karte sortiert die gesammelten Daten, Zahlen und Zeugenaussagen und rekonstruiert sie als Ereignisse des 7. Oktobers, zusammen mit den anderen Massakern des Tages entlang der Route 232, in den Schutzräumen und auf den angrenzenden Feldern. Ein Board fordert „Bring Them Home“, bevor die Abbildung eines Lebensbaumes verspricht: „We Will Dance Again“. Wir werden wieder tanzen.




Aus dem Raum des Horrors und dem Raum der mystisch-kultischen Heilung wurde ein Raum des Requiems, der mit seinen Tropen unter anderem die Erinnerungskultur der Gedenkstätten des Holocaust aufruft – bevor in den finalen, vier kleineren Räumen ausserhalb der großen Halle der Epilog stattfindet. Dieser Epilog denkt das Geschehen in Form von Infrastrukturen und Institutionen: Zunächst informieren Texttafeln über die Aktivitäten der Tribe of Nova Foundation, über ihre Überlebens- und Heilungskonzepte. In einem anschließenden Ruheraum mit Kissen, Teppichen und Stühlen in braun-beige finden terminierte Gespräche mit Überlebenden im Wechsel mit musikalischen Einlagen statt. Es folgt ein Raum, in dem in einem Film die selben Protagonisten aus dem Film zu Beginn der Ausstellung über ihre Zukunft und über die Zukunft der Festivalkultur sprechen. Abschließend können die Ausstellungsbesucher*innen spenden oder kaufen: T-Shirts, Ketten, Kappen, Kunst.
So entsteht statt einer Ausstellung eine Kapelle, die den 7. Oktober als Unschuld, Trauma, Schmerzen, Heilung und Gedenken erzählt und synästhetisch vereint. In dieser Kapelle werden liturgische Zeremonien und Riten im Parcour bereit gehalten, mit deren Hilfe ein Umgang mit dem Ausgangsereignis gefunden werden kann. In diesen Parcour sind die Besucher*innen der Nova Exhibition einbezogen, sie durchlaufen die Etappen der Ereignisse und Gefühlslagen, ausgehend von einer Welt vor dem 7. Oktober, 6:29 Uhr, die in eine Welt danach kippt. Die historische Zäsur wird im Zeitraffer erzählt, die Geschichte des Nova-Festivals steht pars pro toto für die des 7. Oktobers als eine Schmerz- und Heil(ung)sgeschichte, die die Welt grundlegend verändert (hat). Wenn in der Ausstellung geschrieben steht, dass das Massaker das „Leben Zehntausender für immer verändert hat“, dürften in diesem Rahmen diejenigen gemeint sein, für die sich die Tribe of Nova Foundation verantwortlich fühlen und für die bisher 130 Gedenkveranstaltungen und 71 Workshops organisiert wurden. Dabei sind es weitaus mehr Menschen, deren Leben sich für immer verändert hat – denn wessen Leben hat sich direkt oder indirekt nicht verändert, sei es im Gazastreifen, in Israel, Westjordanland, Libanon, Syrien, Iran, Ägypten, durch die israelische, die US-amerikanische oder die deutsche Politik …
NOVA EXHIBITION BERLIN, 7. Oktober bis 16. November 2025, Platz der Luftbrücke 5, Di.–Do. 11–20 Uhr, Freitag 11–18 Uhr, Samstag und Sonntag 11–20 Uhr
Weitere Veröffentlichungen zum Thema:
Lea Wolters: Zwischen Trauma und Hoffnung, in: taz, 06.10.2025, https://taz.de/Ausstellung-ueber-das-Nova-Musik-Festival/!6115240
Ben Ratskoff: Prosthetic Trauma at the Nova Exhibition: Holocaust Memory, Reenactment, and the Affective Reproduction of Genocidal Nightmares, in: Journal of Genocide Research, 02.10.2025, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2025.2551946
Naomi Klein: How Israel has made trauma a weapon of war, in: The Guardian, 05.09.2024, https://www.theguardian.com/us-news/ng-interactive/2024/oct/05/israel-gaza-october-7-memorials
Tom Holert: Die Nova Ausstellung – immersives Entertainment und trügerische Eindeutigkeit, in: krisol, 11.09.2025, https://debatte.krisol-wissenschaft.org/die-nova-ausstellung-immersives-entertainment-und-truegerische-eindeutigkeit/
Julian Daum: Nova-Ausstellung: Noch mehr politische Einflussnahme durch Senat, in: nd, 17.11.2025, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195528.berlin-nova-ausstellung-bildungssenat-koennte-neutralitaet-verletzt-haben.html
Ein allegorisches Schiff bricht in einer der dunkelsten Stunden Europas, vor annähernd einhundert Jahren, auf und „segelt“ der sogenannten schönen neuen Welt entgegen, die aber schon damals auf Sklaverei, Kolonialisierung und ethnischen Säuberungen gebaut war. Von ihr wird annähernd einhundert Jahre später mit Hetzjagden auf Migranten und ihren rechtswidrigen Inhaftierungen in Gefängnissen in Florida, Guantánamo Bay und El Salvador nichts übrig geblieben sein. „WARUM IST DIESES JAHRHUNDERT SCHLIMMER ALS DIE ANDEREN?“* Ist diese Reise umkehrbar? Ist sie umkehrbar angesichts des Rechtsdrifts, der Waldbrände und des verfassungswidrigen Abbaus von Grundrechten in Europa? Wohin segelte die „Capitaine Paul-Lemerle“ heute? Wo wäre heute der Fluchtpunkt, die Fluchtroute intellektueller, künstlerischer und politischer Passagiere, die das Schiff auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung durch Vichy, Nazideutschland, Francos Spanien und dem faschistischen Italien ab 1940 evakuierte? Kein Sehnsuchtsort in Sicht? Zumindest kein realer, aber William Kentridge und sein Team öffnen in der Oper „The Great Yes, The Great No“ einen poetisch politischen Horizont, der im Künstlerischen im Allgemeinen, im Surrealistischen im Besonderen liegt … „ES SINGT NICHT NUR DER MUND.“* In „Tristes Tropiques“ berichtete der französische Ethnologe Claude Lévy-Strauss 1955 , wie er im März 1941 auf der „Capitaine Paul-Lemerle“ vor dem Vichy-Regime flüchte. Das Schiff brachte ihn und weitere 200 Fliehende von Marseille auf die karibische Insel Martinique – heute französisches Überseegebiet, das als Region Frankreichs zur Europäischen Union, nicht aber zum Schengen-Raum gehört –, von hier aus weiter in das ersehnte New York. Mit an Bord waren historisch gesichert unter anderen die deutsche Schriftstellerin Anna Seghers, der französische Dichter und Surrealismustheoretiker André Breton und seine Frau und französische Malerin Jacqueline Lamba, der russische Poet Victor Serge, die deutsch-niederländische Fotografin Germaine Krull, der kubanische Maler Wifredo Lam, der deutsche Satiriker Walter Mehring und der deutsche expressionistische Maler Carl Heidenreich. Ihnen allen sollte die Emigration gelingen. „EIN VON SCHREIEN VERKRAMPFTES EUROPA“* Kentridge reichert diese Gemeinschaft um weitere Personen aus anderen Zeitepochen an und lässt sie an Bord der „Capitaine Paul-Lemerle“ gemeinsam zweifeln, streiten, debattieren, tanzen und singen: Mit dabei sind die Tänzerin, Sängerin und Bürgerrechtlerin Josephine Baker (1906-1975), Napoleons Ehefrau Joséphine Bonaparte (1763-1814), als Mitbegründer der antikolonialistischen Négritude-Bewegung Aimé Césaire (1913-2008) und die Feministin Suzanne Césaire (1915-1966) – beide aus Martinique stammend, der französische Schrifsteller Léon-Gontran Damas (1912-1978), der Vordenker der Entkolonialisierung Frantz Fanon (1925-1961), die Schwestern Paulette und Jane Nardal, ebenfalls aus Martinique und Mitbegründerinnen der Négritude. Später tanzen auch Lenin, Trotzki und Stalin zu den Klängen des Kampfliedes der sozialistischen Arbeiterbewegung „Völker hört die Signale“. „ICH GLAUBE MEHR DARAN ZU KÄMPFEN, ALS ZU WEINEN.“ Damit macht Kentridge deutlich: Das Verlorene können wir nicht wiederherstellen. Es ist nicht repräsentierbar. Wir können höchstens ein Porträt des Verlusts zeichnen, dessen, was passiert ist, und damit die Erfahrung des Verlusts gewinnen, um eine Verbindung zum Vergangenen und Verlorenen herzustellen. Daher mischen sich in Kentridges Oper Klänge eines Oratoriums, eines Requiems, einer Kammermusik, einer politisch proletarischen Kampfmusik, eines Songspiels und eines Arbeiterchors. Das Libretto von „The Great Yes, The Great No“ enthält Auszüge aus den Schriften von André Breton, Aimé Césaire, Suzanne Césaire, Léon-Gontran Damas, Frantz Fanon und auch von Bertolt Brecht, dem die Flucht 1941 aus dem skandinavischen Exil über Moskau und Wladiwostok nach Santa Monica gelang. „ICH WILL ES WISSEN, ICH WILL ES NICHT WISSEN, ICH WILL ES WISSEN, SAG MIR NICHTS.“* Doch nicht nur das Personal der Oper und das Textmaterial des Librettos stammt vornehmlich aus dem surrealistischen Zirkel, der sich selbst als eine revolutionäre und internationalistische Bewegung verstand und deren Verbindung zum Antifaschismus jüngst die Ausstellung „Aber hier leben? Nein danke“ im Münchner Lenbachhaus herausarbeitete. Schon mit Gründungsbeginn in den 1920er Jahren kritisierten die Surrealist*innen die europäische Kolonialpolitik, organisierten sich gegen den Faschismus, kämpften im Spanischen Bürgerkrieg, wurden interniert, verfolgt, fielen im Krieg und flohen aus Europa. Parallel zu dem größtenteils entpolitisierten Kunstgeschichtskanon zum Surrealismus, der sich auf das harmlos Traumhafte, Absurde, Unwirkliche und Phantastische kapriziert und dafür das Anarchistische und Revolutionäre opfert, fokussiert sich Kentridge sowohl auf die bedrohten Lebenswelten und Schriften der Künstler*innen, als auch auf die von ihnen angewendete ästhetische Methode: „Die Welt zerschneiden und neu entstehen lassen“, zitiert das Libretto Breton, der sich unter anderem in dem Manifesto for an Independent Revolutionary Art (1938/39) festlegte: „true art is unable not to be revolutionary, not to aspire to a complete and radical reconstruction of society.“ „DIE WELT IST UNDICHT. DIE TOTEN MELDEN SICH ZUM DIENST. DIE FRAUEN SAMMELN DIE SCHERBEN AUF. “* Kentridge lässt auf der Bühne ein Spektakel an dynamischen Cut-ups auf verschiedenen Ebenen stattfinden und fügt sein Opus aus vielen Vielheiten zusammen, ohne sie passend zu montieren: Die Textpassagen sind in den Sprachen der Darsteller*innen auf Englisch, Französisch, isiSwati, isiZulu, isiXhosa, Setswana, Xitsonga und Sepedi verfasst. Multimedial entsteht aus Kentridges unnachahmlichen Zeichnungen und ihren Animationen, aus Fotografien, Found footages und Filmen, aus Gesang, Tanz und Literatur, aus mimischer Darstellung, Musik und Gesang ein Universum, das sich aus Schichtungen und Überblendungen von Live-Handlungen auf der Bühne und Projektionen auf die Bühnenwand zusammensetzt. Während auf der Bühne der „Chor der Sieben Frauen“ das Geschehen mit Gesang, Rhythmus und Sprechgesang klanglich begleitet, wechseln die Darsteller*innen und Tänzer*innen ihre Rollen, indem sie ihre Gesichter mit übergroßen, schwarz-weißen Pappmasken der historischen Personen überdecken und damit entweder die Geflüchteten und Gefeierten von Surrealismus und Négritude verkörpern oder aber ihre Köpfe gegen perspektivisch zu große, surrealistisch anmutende Fisch- und Vogelköpfe, Espressokocher, Telefone und Schreibmaschinen austauschen. Diese collagierten Zusammenfügungen korrelieren mit den filmischen Projektionen auf der Bühnenwand, wenn Tortenstücke und Zylinder tanzen und in den Sternenhimmel rutschen, Land- und Schifffahrtskarten zerreissen und sich neu zusammensetzen, Man-Rays Lee-Miller-Auge auf Figuren aus dem Triadischen Ballett von Oskar Schlemmer auftauchen, zerstückelte Gliedmaßen sich auf einem Kuchenteller gegen ihre Zurichtung durch Messer und Gabel wehren, vitalisierte Schlingpflanzen sich über die Hinterbühne rekeln … Damit füllt sich die Bühne zu einem Kosmos von Absurditäten und Überdehnungen, übervoll mit Assoziationen und Sehnsüchten – ein Fest für Ikonograf*innen, die die verrätselten symbolischen Motive dechiffrieren können, die Kentridge seit über vier Jahrzehnten mit hohem Wiedererkennungswert in seine Werke einbaut. „WIR KÖNNEN DOMINIERT WERDEN, ABER NICHT DOMESTIZIERT.“* Während Fanon in seinem 1952 erschienenen Band „Schwarze Haut, weiße Masken“ das kolonisierte Subjekt psychoanalytisch untersucht und einen psychopathologischen Bruch zwischen der Eigen- und Fremdwahrnehmung diagnostiziert – denn Schwarze Menschen müssten eine weiße Maske tragen, sich die kolonialisierende Kultur aneignen und nachahmen, um durch die Blicke in einer kolonialisierten Welt sichtbar werden zu können –, stattet Kentridge 2025 seine vornehmlich Schwarzen und wenigen weißen Darsteller*innen und Tänzer*innen beliebig mit den schwarz-weißen Porträtmasken des Personals aus Surrealismus und Négritude aus und könnte damit zu einer Neuperspektivierung auch des Themas Blackfacing beitragen: Mit Bretons Methode „Die Welt zerschneiden und neu entstehen lassen“ bilden sich auf der Bühne Körpercollagen aus Menschen und Tieren, Schwarzen und Weißen, Frauen und Männern, heutigen und früheren Zeitgenoss*innen … Damit wird die surrealistische Collagemethode zu einem politischen und epistemologischen Emanzipationstool, das umso stärker zu vibrieren beginnt, wenn es in Europa, in Deutschland, in Berlin auf ein Publikum trifft, das zu den Ereignissen auf der Bühne, zu Kolonialisierung, Flucht und Migration, zu Rechtsradikalität und Faschisierung damals wie heute in einem Verhältnis steht und sich zu verhalten hat. Schade deshalb, dass der Zuschauerraum abgedunkelt oder nicht zumindest leicht beleuchtet war – so oder durch eine Auflösung der distanzierenden vierten Wand hätten Selbstwahrnehmungen und Blicke sichtbar stattfinden können. Der Beifall war euphorisch. * Quelle: Libretto von „The Great Yes, The Great No“ Chor: Anathi Conjwa, Asanda Hanabe, Zandile Hlatshwayo, Khokho Madlala, Nokuthula Magubane, Mapule Moloi, Nomathamsanqa Ngoma Darsteller*innen: Xolisile Bongwana, Hamilton Dhlamini, William Harding, Tony Miyambo, Nancy Nkusi, Neil McCarthy Tänzer*innen: Thulani Chauke, Teresa Phuti Mojela Musiker*innen: Marika Hughes (Violoncello), Liam Robinson (Akkordeon, Banjo), Tlale Makhene (Perkussion), Dana Lyn (Klavier) William Kentridge – Konzept, Regie Eine Produktion von THE OFFICE performing arts + film Der Dramaturg und Intendant Matthias Lilienthal formulierte 2010 in der Akademie der Künste, für ihn sei Theater, wenn Menschen davorstünden und glaubten, es sei Theater. Friedman im Gespräch mit Barrie Kosky und Christian Schertz zum Thema Kunstfreiheit lässt das Dargebotene in diesem Sinn auch als ein Theaterstück einordnen. Am 13.06.2024 wurde Friedman im Gespräch mit Barrie Kosky und Christian Schertz zum Thema Kunstfreiheit im Großen Haus des Berliner Ensembles uraufgeführt. Bei diesem Stück sitzt der Gastgeber Michel Friedman (gespielt von Michel Friedman) in der Mitte der Bühne auf einem Sesselstuhl und ist als Einziger frontal zum Publikum ausgerichtet. Die beiden Gesprächspartner, Christian Schertz in der Rolle des Medienanwalts Christian Schertz und Barrie Kosky in der Rolle des Opern- und Theaterregisseurs sowie ehemaligen Intendanten der Berliner Komischen Oper Barrie Kosky, sitzen im rechten Winkel zu ihm und richten ihren Blick dadurch zumeist vom Publikum abgewendet in Richtung Friedman aus. Am Ende des knapp 90-minütigen Einakters erheben sich die drei Darsteller und stehen dem Publikum zugewandt zwischen den Sesselstühlen und der Bühnenrampe. Das Publikum applaudiert. Kosky und Scherz stehen für diesen Applaus auf gleicher Höhe wenige Schritte vor der Rampe, Friedman etwas dahinter zwischen ihnen. Näherungsweise verneigen sich Kosky und Schertz, Friedman breitet seine Arme aus. Fragen oder Anmerkungen aus dem Publikum sind in einem One-to-many-Format nicht eingeplant. Ob es weitere Aufführungen geben wird, ist nicht bekannt. Soweit zum theatralen Setting dieses prozessualen Theaterstücks und der hier aufgerufenen Theaternomenklatur. Auch wenn, wie in diesem Rahmen zu erwarten war, nicht alle aktuellen Fragen um das Thema Kunstfreiheit thematisiert oder sogar beantwortet wurden, war der Abend ein interessanter Auftakt, ein paar blinde Flecke deutscher Gegenwartsauseinandersetzungen anzugehen bzw. den medial und politisch dargebotenen Ver(w)irrungen im- und explizit etwas zu entgegnen. Fortsetzungen sind daher auch in anderer Personenkonstellation erwünscht. Einiges blieb dennoch unscharf oder auch unpräzise oder hatte – wie etwa die Passagen über geforderte Wortbereinigungen bei Pippi Langstrumpf oder Karl May – mit der Kunstfreiheit nicht direkt zu tun. Denn hierbei geht es um aus heutiger Sicht kritisierbare Textpassagen im Konflikt mit den Wünschen von zumeist Rechtsnachfolger:innen, ihre bisher bestehenden Auswertungsmaschinen fortbestehen zu lassen. Zwar ist sowohl der Werkbereich als auch der Wirkbereich künstlerischen Schaffens durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt, wie das Bundesverfassungsgericht 2019 verdeutlichte (1 BvR 1738/16). Künstler:innen steht aber kein Recht zu, in einem bestimmten Medium, auf einem bestimmten Sendeplatz oder in einer bestimmten Ausstellung gezeigt, gehört oder präsentiert zu werden. Sollte den Rechteinhaber:innen die Bearbeitung eines historischen Werkes also missfallen oder sogar testamentarisch untersagt worden sein, darf das Werk dennoch in seiner bisherigen Form fortbestehen und auch dargeboten werden. Wenn aber zum Beispiel ein TV-Sender eine nicht überarbeitete Ausstrahlung ablehnt, können die Rechteinhaber:innen andere Verbreitungsformen für das Original suchen. Genauso wenig, wie die Verbreitung eines Kunstwerkes der bildenden Kunst im Rahmen einer bestimmten Ausstellung verlangt werden kann, haben Radio- und Fernsehsender das Recht, ihre Inhalte weitgehend selbst auszuwählen. Dies gewährleistet Art. 5 Abs. 1 GG. Die Kunstfreiheit wird hier genauso wenig eingeschränkt, wie Werke durch ihre Nichtberücksichtigung eingeschränkt worden sind, die zur Zeit der Entscheidung von Fernsehsendern für das Ausstrahlen von Pippi Langstrumpf, von Winnetou und Old Shatterhand nicht zum Zuge gekommen sind. Christian Schertz plädierte entschieden für eine Trennung von Autor und Werk, wie er am Beispiel von Richard Wagner oder Michael Jackson und deren musikalischen Werken festzumachen suchte. Ein Rausschneiden einzelner Sequenzen wäre aus seiner Sicht in keiner künstlerischen Gattung angebracht, weder in bildenden oder darstellenden noch satirischen Kunstformen. Still wurde es im Saal, als Friedman überleitete: „Gut, dann sind wir bei der documenta, dann schauen wir uns das eine Bild an [Anm.: Gemeint war wohl das Bild People’s Justice von Taring Padi] …und dann schneide ich diese zwei, drei Teile raus?“ Schertz, der sich zu dem Bild an diesem Abend nicht final äußern wollte, weil er den documenta-Fall zu wenig kenne, fügte an, dass ein Rausschneiden für ihn nicht in Frage käme. Man hätte aber sagen müssen, dass dieses Bild nicht gezeigt würde. Ob man dann aber das Ganze abbauen und weghängen muss, weil es in Teilen bestimmte Bevölkerungsgruppen verletze, schätzte er im Sinne einer Bilderstürmerei als schwierig ein. Barrie Kosky wies in diesem Zusammenhang auf die problematische, tief widersprüchliche und komplexe Geschichte Deutschlands mit den Juden und Jüdinnen hin. Das Thema würde ihn nicht nur bereits sein gesamtes Leben beschäftigen, sondern für ihn auch nie enden. Er hätte das inkriminierte Bild vor Ort gesehen und sei, wie er formulierte, „ein bisschen unbequem“ damit. Wenn aber in Deutschland irgendetwas mit Kultur verboten werden soll, erfasse ihn immer „ein Zittern“. Wäre er documenta-Intendant gewesen, hätte er erstens vor allem kein schwarzes Tuch über das Bild gehängt und wäre er zweitens mit den Menschen in einen konstruktiven Dialog eingetreten. Es darf nicht heißen: „Du blöder, furchtbarer, indonesischer, muslimischer Künstler, geh zurück nach Jakarta, geh raus aus unserem Land.“ Geradezu lächerlich war für Kosky die Debatte, weil in Kassel parallel in einem Museum eine Porzellan-Figur, die eine antisemitische Repräsentation darstellt, völlig ohne Kontextualisierung gezeigt wurde und niemand darüber sprach. Auf die Mohammed-Karikaturen angesprochen, wies Schertz darauf hin, dass Satire dann einschränkbar ist, wenn sie einen anderen Menschen in seiner Menschenwürde verletzt. Die Karikaturen waren demnach zulässig, weil sie keinen konkreten Menschen verletzt haben. Implizit trug Schertz damit auch eine Antwort auf die Frage bei, ob die Arbeit von Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel von der Kunstfreiheit geschützt ist. Diese Einschätzung verstärkte Schertz über Bande noch einmal, als er darauf aufmerksam machte, dass die Kunst viel mehr als alle anderen dürfe, auch viel mehr als die Bild-Zeitung. Wenn nämlich Zeitungen das inkriminierte Bild abdruckten, um zur Berichterstattung über Zeitgeschehnisse beizutragen oder um zuweilen auch ihre Empörungen zu veranschaulichen, dann ließe sich ergänzen: Was im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit zu zeigen erlaubt ist, ist es im Rahmen der Kunstfreiheit allemal. Wo genau Christian Schertz, als einer der zwei Juristen in der Runde, die Grenzen für die Kunst sieht, wurde nicht ganz deutlich und ließ sich auch durch eine anschließende Nachfrage per Mail nicht aufklären. Zunächst merkte er an: „Die Kunstfreiheit wird begrenzt durch die Rechte des Individums, durch die Menschenwürde.“ Und etwas später: „Wenn ein Kunstwerk im Einzelfall aufgrund der konkreten Gestaltung entweder die Würde eines bestimmten Menschen verletzt, wo die Menschenwürde überwiegt oder auch Straftaten erfüllt sind, die etwa den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, dann darf es ausnahmsweise verboten werden.“ Empirisch mag dies so einzuordnen sein, wie verschiedene Verfahren in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gezeigt haben. Wie die Entscheidung zum Werk Esra von 2003 zeigt, sind gleichwohl auch hier wiederum enge Grenzen für die Menschenwürde zu berücksichtigen. Rechtsdogmatisch könnten aber wohl auch andere Verfassungsnormen, mindestens die Grundrechte in Konkurrenz zur Kunstfreiheit treten. Boykott-Aufrufe gegenüber Künstler:innen, zum einen durch die BDS-Bewegung, zum anderen gegenüber in Russland lebenden oder aus Russland stammenden Künstler:innen, die sich nicht offen von etwas distanzieren oder für etwas aussprechen, sahen sowohl Kosky als auch Schertz problematisch. Kosky machte hier auf die besondere Rolle von Kunst aufmerksam. Auch wenn das Theaterstück in seiner Inszenierung unvollständige Passagen trug oder wie Kosky an anderer Stelle anmerkte, sich das Publikum vielleicht mit manchem unwohl oder unbequem fühlen könnte: Es war in dieser Zeit richtig, es zur Aufführung zu bringen. Vielleicht ließen sich künftig aber auch ein paar Fesseln des Theaters neu interpretieren. https://www.berliner-ensemble.de/friedman Zu Tania Brugueras „Where Your Ideas Become Civic Actions (100 Hours Reading The Origins of Totalitarianism“ in einer Berliner Kunstinstitution. Der Ausstellungsflyer trägt eine goldgelbe Vintage Patina. Auf einem Foto sitzt Tania Bruguera in einem korbgeflochtenen Schaukelstuhl, inmitten eines Lichtkegels, sie hält in der linken Hand ein Mikrofon mit angeschlossenem Kabel, das nach links aus dem Bild führt. In einer Detailaufnahme ist das Mikrofonkabel in den Fokus genommen, in einer anderen sind notdürftig gekittete Wandrisse angedeutet. Die Patina erzählt, dass die hier porträtierte Szene aus einer Zeit stammt, in der die gesundheitsschädlichen, chemisch hergestellten Daguerreotypien Goldtonungen hervorbrachten. Dabei fand sie vor knapp neun Jahren, Ende Mai 2015, in Havanna statt, zeitgleich mit der Eröffnung der 12. Havanna Biennale und der Gründungsfeier der Republik Kuba. Bruguera stand unter Hausarrest und wartete auf die Rückgabe ihres Passes, der ihr auf dem Weg zu einer ihrer Performances im öffentlichen Raum Havannas Ende Dezember 2014 abgenommen wurde. Sie wurde wegen Widerstand gegen die Festnahme und Anstiftung zu öffentlichem Fehlverhalten und Kriminalität angeklagt. Während ihres insgesamt acht monatigen Hausarrests initiierte Bruguera im Mai 2015 eine 100-stündige öffentliche kollektive Lesung von „The Origins of Totalitarianism“ von Hannah Arendt, das als Arendts politisches Hauptwerk gilt. 1955 unter dem Titel „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ auf Deutsch erschienen, führt Ahrendt hierin zu der historischen Entstehung und den gemeinsamen politischen Merkmalen von Nationalsozialismus und Stalinismus aus. Es gilt als Standardwerk der Totalitarismusforschung, dessen Lesung vor neun Jahren durch Bruguera mit ihrer mehrstündiger Festnahme endete, bevor sie im Juni 2015 erneut verhaftet wurde, als sie an einer Demonstration teilnahm. Bruguera setzt damit Arendts Totalitarismusstudie und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in Kuba in eins, Ursachen und Folgen gehen ineinander über: sie liest gegen den Totalitarismus in Kuba an, der Totalitarismus Kubas schlägt zu, weil sie liest. 100 Stunden lang lasen und diskutierten die Teilnehmer:innen, darunter die Kunsthistorikerin Judith Rodenbeck und der Kurator des Guggenheim UBS MAP Latin America, Pablo Leon de la Barra, Arendts Studie über totalitäre Systeme, die in Kuba bis heute von großer Bedeutung ist. Diese Aktion bildete den Höhepunkt der Kampagne #YoTambiénExijo (I also demand), die Bruguera mit einer Gruppe kubanischer Kolleg:innen in den Jahren 2014/15 initiierte. Die Ereignisse dieser Zeit sind detailliert auf Brugueras Webseite dokumentiert. Diese Aktion gilt auch als Start des Gründungsprozesses des Hannah Arendt International Institute of Artivism (INSTAR). INSTAR ist ein Akronym, bedeutet aber auch „ermutigen“ und „anstiften“, engagiert sich als Institution für Bildung und soziale Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, gerechte Löhne und Arbeitszeiten, bessere Arbeitsbedingungen für Alleinerziehende und gegen Diskriminierung. Knapp neun Jahre später liest Bruguera aus Arendts Werk in der historischen Halle des Hamburger Bahnhofs in Berlin. Für 100* ununterbrochene* Stunden vom 7.2.24, 19 Uhr bis 11.2.24, 23 Uhr* liest sie und lesen Aktivist:innen, Theoretiker:innen, Autor:innen, Schauspieler*innen, unter ihnen Masha Gessen, Juliane Rebentisch, Jörg Heiser, Stefan Römer und Thomas Lindenberger, Direktor des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (an der TU Dresden). Im Stundentakt übergeben sie sich das Mikrofon mit angeschlossenem Kabel, das nach links aus dem Bild führt, sie sitzen in einem korbgeflochtenen Schaukelstuhl, inmitten eines Lichtkegels. Vor ihnen sitzen Zuhörer:innen, die rund um die Uhr, ohne Anmeldung und kostenfrei an der Performance teilnehmen können, die nun „Where Your Ideas Become Civic Actions (100 Hours Reading The Origins of Totalitarianism“ heisst. Im Eingangsbereich informiert ein unübersehbarer „Verhaltenskodex“, dass sich hier mit Toleranz und gegenseitigem Respekt begegnet wird. Hier würde sich gegen jede Form von Hass und Diskriminierung etwa in Form von Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ausgesprochen. Brugueras Reenactment ihrer Lesung in ihrem Wohnhaus in Havanna findet nun als eine Performance in einer Berliner Kunstinstitution statt. Sie wieder-holt wesentlich konstitutive Elemente, selbst der Lautsprecher, der in Havana ausserhalb des Gebäudes installiert war, ist hier an der Invalidenstraße positioniert und sendet die Lesung in den Berliner Raum. Auf die weiße Taube wurde verzichtet, die schon bei Brugueras früheren Performances wie „Tatlin’s Whisper #6 (Havana Version)“ 2009 eingesetzt wurde. Sie zitiert die Tauben, die Fidel Castro während seiner erster Rede 1959 nach der Kubanischen Revolution umflatterten. Doch das Reenactment suspendiert noch einiges mehr und zahlt damit einen hohen Preis: Statt das Werk Arendts zu entverschließen, verhinderte die Akustik der Halle und die Mediatisierung der Stimmen durch das Mikrofon genau dieses Anliegen. Statt eine gemeinsame Situation des „Nachdenkens und Redens“ (Zitat aus dem Ausstellungsflyer) zu kreieren, saßen die sich abwechselnd Lesenden frontal, vereinzelt und vereinsamt dem Publikum gegenüber. Statt eine „Pluralität von Perspektiven und Welten“ (Zitat aus dem Ausstellungsflyer) zu generieren, wurde eine One-to-Many-Kommunikation hergestellt, die Pluralität einhegte. Statt „die Aktualität von Arendts Analysen von Totalitarismus, Antisemitismus, Vertreibung und Staatenlosigkeit“ (Zitat aus dem Ausstellungsflyer) auf eine Öffentlichkeit treffen zu lassen oder eine Öffentlichkeit zu generieren, verschloss die Institution Kunstmuseum performativ und verengte zu einer Milieubegegnung. Auf ästhetischer, politischer und erkenntnistheoretischer Ebene fanden damit Verluste statt. Im Gegenzug dazu wurde die Lesung als reenactete Performance nun in den kunsthistorischen Kanon aufgenommen beziehungsweise ihre Anwesenheit im Kanon verbrieft. Sie wurde mit einem Titel ausgestattet, der an Harald Szeemans legendären „When Attitudes Become Form“ (1969 in Basel) anschließt. Sie fand in einer westeuropäischen Kunstinstitution statt, die Teil der Staatlichen Museen zu Berlin ist und an der öffentliche und institutionalisierte Personen des Kunstbetriebs teilnahmen. Und sie wurde genrefiziert mit der Gattung sowohl der Performance als auch des künstlerischen Reenactments. Damit wird, und das ist ein wichtiger Gewinn dieses Mediatisierungs- und Institutionalisierungsprozesses, Brugueras Arbeit fortgesetzt legitimiert und geschützt*. Schon auf der documenta 15 wurden (kunst-) institutionalisierende Maßnahmen eingesetzt, als Bruguera und INSTAR in der documenta-Halle eine Gegenerzählung zur offiziellen kubanischen Kultur- und Kunstgeschichte erzählten, mit der sie von der kubanischen Regierung zensierte Künstler:innen und Intellektuelle Gehör verschafften. Hierfür wurden viele kubanische Kolleg:innen nach Deutschland eingeladen, einige von ihnen sagten ab, aus Sorge, nicht nach Kuba zurückkehren zu dürfen. Die Kunstinstitution wird so zu einem Ort des Schutzes* und einer infrastrukturellen Ermöglichungsbedingung* für zivilgesellschaftliche Gemeinsamkeiten*, zu einem Raum des kollektiven und kunsthistorischen Gedächtnisses und ein Öffentlichkeitstool für Gegenerzählungen. Gleichzeitig gelingt aber auch der Kunstinstitution mit diesem Reenactment, ihre Ablehnung von Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu bekunden – eine Haltung, die spätestens seit der documenta 15 zunehmend in Zweifel gezogen wird und in der Berliner Antisemitismusklausel mündete. Aber das wäre eine andere Geschichte – oder doch nicht* …? Weitere Informationen hier: Spiegel Online, 12.2.2024: https://archive.is/YIDKi Jüdisches Museum Frankfurt @jmfrankfurt.bsky.social, 14.2.2024: https://bsky.app/profile/jmfrankfurt.bsky.social/post/3klf7aovw7t24 Journal Frankfurt, 15.2.2024: https://www.journal-frankfurt.de/journal_news/Politik-10/Antisemitischer-Angriff-bei-Lesung-Solidaritaetslesung-fuer-Mirjam-Wenzel-in-Frankfurt-41969.html Commentary, 13.2.2024: https://www.commentary.org/seth-mandel/the-israel-obsessed-art-world-devours-itself/ Frankfurter Allgemeine, 19.2.2024: https://archive.ph/2024.02.19-172054/https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/mirjam-wenzel-ueber-hassreden-im-hamburger-bahnhof-19530908.html „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ lautet der Titel der neuesten Rimini-Protokoll-Produktion (Stefan Kaegi) im Rahmen der Performing Arts Season der Berliner Festspiele 2023/24. Dieser Satz ist inmitten der Repräsentationsmaschine Theater und des Performanzformats so wahr, wie er falsch ist, so wenig wahr, wie er wenig falsch ist. Das hatte bereits René Magrittes Ölgemälde „Ceci n’est pas une pipe“ bildnerisch belegt, indem Magritte unter die plakativ-realistische Abbildung einer Pfeife auf einer Leinwand schrieb: „Ceci n’est pas une pipe.“, das ist keine Pfeife, obgleich es sich doch um eine Pfeife handelte. Darstellung (Signifikat), Bezeichnung (Signifikant) und tatsächliches „Ding“ sind zu unterscheiden. C’est une embassade. Ceci n’est pas une embassade. Für zwei Stunden entstand auf der großen Bühne des Berliner Festspielhauses die Botschaft Taiwans. Die Musikerin Debby Szu-Ya Wang, die Digitalaktivistin Chiayo Kuo und der ehemalige Diplomat David Chienkuo Wu – alle drei auf ihre je eigene Art Botschafter*innen ihres Landes – riefen mit ihrer Performance und damit mit einer performativen Äußerung auf der Theaterbühne im Schutz der Kunstfreiheit die von ihnen vermisste diplomatische Vertretung ihres Heimatlandes in Deutschland aus. Nicht nur hier würde eine Botschaft fehlen, in nur zwölf Ländern würden Taiwans diplomatische Vertretungen den Status einer Botschaft haben, in Europa nur in Vatikanstadt – und das, obwohl Taiwan zu den zwanzig größten Wirtschaftsregionen der Welt zähle. Aber keine Nation könne es sich leisten, die Beziehungen zur Wirtschaftsmacht China zu gefährden. Selbst seinen Sitz in den Vereinten Nationen musste Taiwan 1971 aufgeben, als der US-amerikanische Präsident Richard Nixon entschied, die politischen Beziehungen zu China zu intensivieren. Auch bei den Olympischen Spielen tritt Taiwan seit 1984 unter dem Namen Chinesisch Taipeh an und darf auf den Zeremonien weder seine Flagge zeigen, noch darf die Nationalhymne gespielt werden. Seither kämpft Taiwan um diplomatische Anerkennung und damit auch um seine politische Repräsentanz. Diese wurde nun an drei Abenden im Berliner Festspielhaus temporär performiert: unter anderem mit der Flagge Taiwans und einem am Bühnenhaus fixierten goldglänzenden Messingschild ausgewiesen, mit der Nationalhymne in Karaokeversion zu Gehör gebracht und mit dem Publikum als Besucher*innen eines Botschaftsempfangs in Szene gesetzt. Hierbei handelte es sich um die Bestandteile, die in performativer Funktion einen konkreten Handlungsvollzug von Botschaft als Botschaft praktizierten – und dies in doppelt semantischem Sinne: Hier wurde nicht nur eine Botschaft (als embassy) performiert, hier wurde auch eine Botschaft (als message) kundgetan. „Bitte vergesst uns nicht!“ Performative Äußerungen vollziehen die Wirklichkeit, die sie beschreiben, selbst mit – und bringen sie so erst hervor. Diese Äußerungen tun durch die Äußerung selbst etwas; etwas, das nicht wahr oder falsch ist, sondern das glücken kann oder eben nicht (J.L. Austin 1986: Performative Äusserungen). „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ ist geglückt. © Claudia Ndebele C’est un message. Ceci n’est pas un message. Die Theaterbühne und das künstlerische Format der Performance konnte das Defizit fehlender Repräsentanz für zwei Stunden aufheben: Mit Mitteln der erzählerischen und bildlichen Montage und Collage entstand im ausverkauften Haus der Berliner Festspiele eine Erzählung Taiwans, die historische, politische, soziale und wirtschaftliche Dimensionen des Landes mit persönlichen Biografien verwob. Debby Szu-Ya Wang, Chiayo Kuo und David Chienkuo Wu erzählten von sich, ihren Lebenswegen und Familien. Sie verknüpften ihre mikropolitischen Geschichten mit soziopolitischen Ereignissen Taiwans, etwa mit der Gründung Taiwans durch Rückzug der Unterlegenen der Kommunistischen Partei aus der Volksrepublik China 1949, mit dem Personenkult um den Gründer Chiang Kai-shek und der Ende der 1980er Jahre beginnenden Demokratisierung. Sie erzählten von sozioökonomischen Entwicklungen als Halbleiterproduzent oder als Bubble-Tea-Erfinder, von Landesbezeichnungsdebatten (Taiwan vs. Republik China), von Religions- und Sprachenvielfalt der Inseln. Die umstrittene völkerrechtliche Stellung Taiwans würde sich in den tektonischen Erschütterungen zwischen unterschiedlichen Politiksystemen wiederfinden, aber auch durch Taiwans geologische Lage innerhalb des pazifischen Feuerrings, die immer wieder zu starken Erdbeben führen. Die sprachlichen Erzählungen wurden zusätzlich ins Bild gesetzt: mittels Miniaturmodellen von Architekturen und Personen, die wiederum durch Videoprojektionen auf der Bühne großformatig sichtbar gemacht wurden, mittels auf der Bühne von Debby produzierter Klänge und Kompositionen, aber auch mittels projizierter Privatfotografien von Debby, Chiayo und David. Selbst ihr performiertes Demokratiekonzept machten sie ansichtig: Konträre Einschätzungen ihrer jeweilig erzählten Perspektiven wurden durch Widerspruchsschilder kommentiert: „I disagree“, hieß es durch Chiayo, wenn David von einer Wiedervereinigung mit dem Festland China schwärmte oder durch David, wenn Chiayo den Staatsgründer Chiang Kai-shek als Militärdiktator bezeichnete. Dass es sich bei den Berliner Festspielen um eine direkt vom Bund getragene und finanzierte Einrichtung handelt, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien als Aufsichtsratsvorsitzende zumindest geschäftlich unmittelbare Vorgesetzte des Intendanten des Hauses ist, reicherte die Doppelbödigkeit, dass hier keine Botschaft performiert würde, obwohl hier eine Botschaft i.S. einer embassy und einer message performiert wurde, um eine nächste, um eine politisch-infrastrukturelle Bedeutungsebene an. Im Zeichen der Kunstfreiheit und mit der Kraft der performativen Äußerung wurde die künstlerische Performance zu einer politischen, das Theater temporär zu einer „Bühne der Weltpolitik“. Im Gewirr der Mehrfachbedeutungskonstruktionen und -zuschreibungen konnten daraufhin im Publikum unter den Gästen des performierten Botschaftsempfangs auch die aktuelle Aussenministerin und der CEO der Volkswagen AG ausfindig gemacht werden. Somit fand auch das Publikum inmitten von Struktur, Zeichen und Spiel (Derrida 1972) seine Rolle/n und ließ sich auf das Spiel zwischen Abwesenheit und Präsenz des Zeichens ein. © Claudia Ndebele Das ist (k)eine Botschaft. Zum Ende des Abends blinkte auf der Rückseite des Bühnenhauses ein taiwanesisches Schriftzeichen, eine Kombination von ‚Nation‘ und ‚vielleicht‘, von ‚nation‘ und ‚maybe‘: Das Schriftzeichen wurde als Leuchtzeichen nur in einen der beiden Zustände versetzt: entweder als ‚Nation‘ oder als ‚vielleicht‘. Dabei belegte „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ in just dem Moment des Vollzugs, dass mehrere Zustände gleichzeitig funktionieren, sowohl eine Botschaft zu sein, als auch keine, sowohl eine Botschaft zu haben, als auch keine. Das goldglänzende Messingschild wurde nach zwei Stunden, unter großem Applaus des Publikums für die drei Erzähler*innen des Abends und „Experten des Alltags“, demontiert. © Claudia Ndebele 24., 26., 27.01.2024, Uraufführung Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne Eine Produktion von Théâtre Vidy-Lausanne und National Theater & Concert Hall Taipei in Koproduktion mit Rimini Apparat, Berliner Festspiele, Volkstheater Wien, Centro Dramático Nacional Madrid, Zürcher Theater Spektakel, Festival d’Automne à Paris, National Theatre Drama / Prague Crossroads Festival mit Unterstützung von Centre Culturel de Taiwan à Paris und Prix Tremplin Leenaards / La Manufacture. „The Great Repair“ in der Akademie der Künste Berlin, 14.10.2023 bis 14.1.2024 Der Ausstellungsparcour begann unerwartet: Statt die imposante freistehende Haupttreppe zu den Ausstellungsräumen innerhalb des Kubus (errichtet 1960, projektiert von Werner Düttmann) zu nehmen, wurden die Besucher*innen zu einer erstmalig geöffneten, zweiflügeligen Funktionstür geführt, die sonst durch die Tische des Cafés Düttmann verstellt ist. Dieser Para-flow führte durch einen Funktionstrakt, quasi durch einen Teil des Maschinenraums der Akademie der Künste am Hanseatenweg, der Öffentlichkeit ansonsten nicht zugänglich. Neben ersten Fotografien zielte der Aufschlag in diesem Nebentrakt auf eine Serie architektonischer Interventionen, mit denen der Düttmannbau selbst zum Objekt der Ausstellung wurde. An der ungedämmten Außenwand zeigten sich, so informierte eine unscheinbare A4-formatige Tafel in der Typo des Ausstellungsprojektes, „bauphysikalische Vorgänge: Die in der Wand kondensierende Luftfeuchtigkeit trifft auf die Wärme des Heizkörpers und die Luftzirkulation zwischen Heizkörper und Fenster. Das führt zu kleinen Spannungsrissen an der Wandoberfläche“. Hierbei handelte es sich um eine von neun Tafeln, verteilt im gesamten Ausstellungsraum, die Auskunft zu Analyse- und Interventionsanmerkungen des Architekturbüros Brenne gaben, das zwischen 2009 und 2012 die Renovation der Akademie der Künste verantwortete. Für diesen konkreten Fall wurde vorgeschlagen: „Um den sichtbaren Schaden zu beheben, müssten die lose Farbe abgeklopft, die Risse mit einem dampfdurchlässigen Putz ausgebessert und eine Ausgleichsschicht aufgetragen werden.“ Und weiter: „Eine langfristige Lösung würde eine energetische Bilanzierung der Bauteile im Gesamtgefüge erfordern, die Aufschluss über bauphysikalische Zusammenhänge gibt.“ Einen besseren Auftakt hätte das Ausstellungsprojekt nicht setzen können, um den Vorgang des „Reparierens“, so das Thema der Ausstellung in dem Blick zu nehmen, indem es erstens den Vorgang des „Reparierens“ selbst thematisierte und zweitens in optische, repräsentative, punktuelle Ausbesserungen einerseits und grundlegende, substanzielle, systemische Reparaturen andererseits differenzierte. Damit signalisierten diese interventionistischen Tafeln in Kombination mit einem abgleichenden Blick in situ, dass Reparaturen offenbar ortsspezifisch, kontextuell, prozessual, personenabhängig, mehrdimensional ausfallen, dass immer auch mehr als eine Lösung möglich ist und dass sie mit Entscheidungen zusammenhängen, die getroffen werden können bzw. müssen. Dieser Auftakt wurde im großen Saal der Akademie mit zwei Arbeiten aus der Kunst flankiert: Rechter Hand das „Maintenance Manifesto“ der New Yorker Konzeptkünstlerin Mierle Laderman Ukeles, in dem sie sich 1969 dafür ausgesprochen hat, tägliche Alltags- und Pflegehandlungen, Wartungs- und Sorgearbeit als Teil ihrer Kunst und damit als Kunst anzuerkennen: „Now I will simply do these maintenance everyday things, and flush them up to consciousness, exhibit thema, as Art.“ Linker Hand war die Arbeit von Zara Pfeifer zu sehen, die im Auftrag von „The Great Repair“ die Arbeitsutensilien der Reinigungsfirma ausstellt, die für die Pflege der Akademie der Künste zuständig ist. Ukeles bedankte sich im Rahmen ihrer Arbeit „Touch Sanitation“ zwischen 1979 bis 1980 bei der städtischen Müllabfuhr von New York, indem sie jeden einzelnem Arbeiter mit Dank die Hand schüttelte – Pfeifer zeigte mit „Maintaining the Akademie der Künste“ installativ die Pflegearbeit der Firma „Kleine Reinigungs- und Dienstleistungsgesellschaft“ und nannte es „Verkörpertes Wissen“. Damit endete aber auch schon der interventionistische, ortsspezifische und situative Bezug zur AdK. Im Verlauf der Ausstellung in den drei Hallen der Akademie folgten nun 40 Einzelpositionen aus Kunst und Architektur, die das Thema „Repair“ anfassbar und als neues Gestaltungsparadigma greifbar machen sollten – Positionen, die allerdings zum Teil auch in anderen Themenzusammenhängen, wie zum Beispiel im Rahmen ökologisierender Mikropraktiken hätten gezeigt werden können. Thematisch handelte es sich – hier eine Auswahl – um die Pflege und Reparatur von Stahlbeton, um liebevoll reparierte Stühle, um eine kontinuierliche Haussanierung in Tokio zeitgleich zu dessen Weiternutzung und einer Familiengründung, um akustische Vogelscheuchen im Westjordanland, die Wildschweine von Ernten fernhalten sollen, um Müllsammelaktionen am Atitlán-See in Guatemala, um Protestaktivitäten im Rheinischen Revier, der Region um den Tagebau Hambach gegen die Kommerzialisierung von erneuerbaren Energien durch RWE, um das selbstständige Herstellen und Montieren von Schildern, die das Territorium Maraiwatsédé in Brasilien als zu schützendes Land ausweisen oder um das Vernähen von abgetragenen Saris und Lungis zu mehrlagigen Decken in Bangladesch. Ein 21-minütiges Video informierte über die Bombardierung des Theaters von Mariupol durch russische Flugzeuge im März 2022, die Forensic Architecture mittels Zeugenaussagen, Social-Media-Posts, Videos und Fotografien als Kriegsverbrechen dokumentierte. Diese Dokumentation kann als Beweismittel vor internationalen Gerichten oder als Quelle für dessen Rekonstruktion dienen. Unterteilt waren die künstlerischen, architektonischen und aktionistischen Beiträge in Einzelkapitel wie „Mit dem Alltag beginnen“, „Wissenswelten dekolonisieren“, „Werkzeuge für alle“ und „Die Narben sichtbar lassen“. Der finale Saal der Akademie, in denen die Besucher*innen durch einen neu installierten Bypass über den bepflanzten Innenhof gelangten, diente der Frage nach den Praktiken und Instrumenten im Dienste der Reparatur: Wie kann die Architektur selbst, ihre Lehre und Autor*inschaft, ihre Hochschulen, Büros und Baustellen transformiert werden? Hierzu informierten unter anderem ein Reparatur-Kurs, ein globales Moratorium, mit dem das Bauen gänzlich ausgesetzt würde, die Gründung der Grassroot-Gewerkschaft UVW-SAW für Architekturschaffende in Großbritannien und abschließend ein „Demolition Moratorium“, das den Erhalt oder Umbau aller Gebäude und zwar erst nach einer erfolgreichen sozioökologischen Bewertung auf der Grundlage des Gemeinwohls forderte. Die Ausstellungsmacher*innen, und hierbei handelt es sich um Architekt*innen und Stadtforscher*innen, nannten ihr Projekt – ein Projekt von ARCH+ gGmbH, in Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin, dem Departement für Architektur der ETH Zürich und der Faculté des Sciences Humaines der Universität Luxemburg – „The Great Repair“. Mit der Ausstellung schloss ARCH+ an den diesjährigen Architekturbiennalebeitrag im Deutschen Pavillon an. Für die gezeigten Raumpraktiken wirkte der Titel unpassend verhoben. Warum eine neue Epoche, eine große Erzählung ausrufen, wenn es sich um bereits existierende, aber eben minoritär behandelte Praktiken handelt, die entdeckt, praktiziert, gewertschätzt werden und zirkulieren müssen? „The Great Repair“ erinnert an „The Great Reset“, der Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF), die plante, die Weltwirtschaft und die Weltgesellschaft im Anschluss an die COVID-19-Pandemie neu zu gestalten. Vorläufer hierfür waren „The Great Transformation“ des Wirtschaftssoziologen Karl Polanyi von 1944, in dem er den Wandel der westlichen Gesellschaftsordnung im 19. und 20. Jahrhundert am historischen Beispiel Englands behandelte. Und so werden aktuelle Vorhaben in Superlativ-Logik „The Great Financialization“, „The Great Regression“, „The Great Reversal“ oder auch „The Great Acceleration“ genannt – eine Logik, der die hier versammelten Mikropolitiken und einer sensiblen, poetischen, praxeologischen und ausdifferenzierenden Auffaltung des Themas zuwiderlaufen. Warum nicht einfach „Reparieren!“, wie es im Vermittlungsprogramm der AdK in Form von wöchentlichen Workshops von Reparaturpraktiken praktiziert wurde? Die Dekonstruktion grundlegender Logikprozesse, etwa von Geschichte, Medien und Institutionen, wären hilfreich, um das Anliegen, einem neuen Gestaltungsparadigma Kraft zu verleihen, zu unterstützen. Weitere Links: https://www.adk.de/de/programm/index.htm?we_objectID=65844 https://www.adk.de/de/programm/?we_objectID=65644 Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Hans Sauer Stiftung, die Wüstenrot Stiftung und Pro Helvetia. Das Experimental Stipendienprogramm für junge Architekturforschende wird gefördert durch EXPERIMENTAL. Künstlerische Leitung: Florian Hertweck, Christian Hiller, Markus Krieger, Alex Nehmer, Anh-Linh Ngo, Milica Topalovic Immer wieder unterbricht Selma Selman, tritt ans Mikrofon in die vorderste Reihe, verliest ihre Sätze, platziert auf einem Notenständer, wird rechts und links hinter sich von einer Cellistin und einem Sounddesigner begleitet. Sie startet langsam, bedächtig, verständlich, in unterschiedlichen Sprachen, wird lauter, agressiver, schreit irgendwann in das Mikrofon, „They say that gipsies steal.“, der Sounddesigner verstärkt ihre Stimme, verzerrt den Gehalt des Gesprochenen, die Cellistin verschärft mit quietschenden Tönen. „Who can speak?“ fragen postkoloniale Theorieansätze, Selman schreit – und wechselt in ihrem Text von der 3. in die 1. Person Singular: „She is not lost, she is not going to be found. She is walking now, she is moving, and moving, and it looks like she is fighting the time, she is ahead, she is almost at the time. She is holding herself still and she is Nike, she is about to fly without her head on her. God, make me so famous, so I can escape this place.“ Nach der Zäsur schreitet sie in ihrem weißen, körperbetonten Kleid, durch grau abgesetzte Nähte in perfekter Passform, zurück in den Hintergrund, setzt sich eine schwarze Arbeitsbrille auf, zieht ihre weissen Gummihandschuhe über ihre Hände und fügt sich farblich perfekt ein hinter einem Arbeitstisch und zwischen ihrem Vater, in schwarzer Hose und weißem Hemd und ihrem Cousin, ebenfalls in schwarzer Hose und weißem Hemd. Auch sie sind ausgestattet mit einer schwarzen Arbeitsbrille und weißen Handschuhen. Der Bruder ist krank geworden, sonst hätten sie zu viert im Berliner Gropiusbau mit Äxten Elektroschrott zertrümmert, mit Akkuschraubern aufgeschraubt, von Plastikumschalungen befreit, in Einzelteile zerlegt und von einem Stapel auf den anderen sortiert, immer wieder unterbrochen von Selmas Vortragssequenzen. Währenddessen spielt die Cellistin zu den Klängen des Verschrottens auf ihrem Cello (wer denkt dabei nicht an Charlotte Moormans Cellospiel während der Fluxus-Bewegung?). Der Sounddesigner (wie die Cellistin ebenfalls schwarz-weiß gekleidet) sitzt hinter dem Display seines Notebooks und kreiert Electronic Industrial(sound) in den Raum, der grell erleuchtet und von ca. 70 wechselnden Performancebesucher*innen gefüllt ist. Weitere etwa 200 stehen vor der Glastür und warten auf Einlass. Selma Selmans Perfomance „Motherboard“ findet parallel zu ihrer Einzelausstellung „her0“ in der 1. Etage des Berliner Gropiusbaus statt. „Motherboard“ legt das Motherboard, die Hauptplatine von Personal Computern frei, auf der die operativen Einzelteile des Rechners wie der Hauptprozessor, der Arbeitsspeicher, die PC-Firmware oder andere Erweiterungskarten (z.B. Netzwerkkarten, Grafikkarten, Soundkarten, TV-Karten, Modemkarten etc.) montiert sind. Unter „Trivia“ heißt es in der Wikipedia, dass die Hauptplatine genderunsensibel „Motherboard“ genannt wurde – für Selma Selman eine semantische Vorlage, sich gemeinsam mit ihren männlichen Familienmitgliedern des Motherboards anzunehmen und es lautstark, kühl, technoid, industriell, aggressiv, schwitzend, in grellem Licht und unter Anwesenheit eines großen Publikums im Gropiusbau freizulegen. Es staubt, es splittert, es funkt, es riecht nach Metallischem, für die Besucher*innen werden optional Schutzbrillen und Ohrenstöpsel ausgegeben. Dabei handelt es sich nicht um die erste dieser Performances: Im April diesen Jahres zertrümmerte Selman „Motherboards“ auf Kampnagel, im Rahmen von „Krass Festival 11: Roma City Hamburg“, ein Jahr zuvor ebenfalls auf Kampnagel in „Mercedes Matrix“ an 4 Terminen einen Mercedes-Benz. Im vergangenen Jahr war sie documenta-15-Teilnehmerin und stellte zurückgebliebende Videos und Skulpturen ihrer Performances im Zwehrenturm im Fridericianum aus. 2017 schrie sie auf der Vernissage des 3. Berliner Herbstsalons bis zur Erschöpfung „You have no idea!“ Selma Selman ist Romni aus Bosnien-Herzegowina („Romani origin“) und thematisiert vor unseren Augen im Gropiusbau das ganze Spektrum dessen, was als „Identität“ bezeichnet wird. In „Who needs Identity“ bietet der britische Soziologe und Mitbegründer der Cultural Studies Stuart Hall 1996 eine erste Definition dessen, was er als ‚Identität‘ versteht: Identität sei die „Nahtstelle“ zwischen Diskursen und Praktiken einerseits und Subjektivierungsprozessen andererseits. An der Nahtstelle würde Identität hergestellt, sie sei etwas Veränderbares und auch Auflösbares. Die Nahtstelle überbrücke die Lücke zwischen den in sozialen Diskursen für Individuen vorgesehenen Subjektpositionen einerseits und den Prozessen, die sprechbare (!) Subjekte für sich herstellen. Andere Varianten für „Identität“ sind zum Beispiel Floya Anthias‚ „Erzählungen über Zugehörigkeit“ (2003). Selman kreiert und generiert ihre „Erzählung von Zugehörigkeit“ performativ, aus einer Schnittmenge von geschlechtsspezifischen und rassistischen Diskrimierungen, stereotypen Identitätszuweisungen, Kultur- und Überlebenspraktiken des Recyclings, Familienbeziehungen, neokolonialen und kapitalistischen Diskurs- und Lebensverhältnissen. Mit Stuart Hall wäre ihr Kleid, wären die grauen Nähte ihres Kleides, die ihren Körper formen, nachzeichnen und betonen, die sich absetzen auf dem strahlenden Weiß und in Differenz zu ihren Mitperformer*innen die bedeutungsbildenden symbolischen Formen ihrer „Identität“. Ich möchte daher der Kuratorin der Ausstellung im Gropiusbau Zippora Elders vorschlagen, als Ergebnis der Performance nicht einen goldenen Nagel zu installieren, mit dem das gewonnene Gold materialisiert werden soll, sondern (ebenfalls Titel und Thema „Motherboard“ unterstützend) das Kleid zu präsentieren. Das Kleid wäre nicht nur die Nahtstelle von Vorgesehenem und Selbsthergestelltem, von Diskursen, Praktiken und Subjektivierungsprozessen, sondern auch die gefüllte Repräsentationslücke von (kulturtheoretisch gesprochen) Subalternen, die nicht nur nicht sprechen, sondern daher auch von gesellschaftlicher Rrepräsentation ausgeschlossen sind. Denn inmitten des musealen Neorenaissancebaus mit seinen hier eingebauten zurichtenden White-Cube-Techniken, inmitten ihrer männlichen Familienmitglieder, denen sie vertraut wie auch bestimmt Anweisungen gibt und unter lautstarken Schreien wie „They say that gipsies steal.“ zertrümmert sie stereotype Narrative, zerlegt Logiken von Sprach- und Wertproduktionen und füllt Repräsentationsleerstellen. Sie praktiziert laut, grell und eindeutig die Emanzipation und Widerständigkeit des in ihrem Kleid unzweifelhaft weiblich zu lesenden Körpers, indem sie sich nicht in vorgegebene familiäre, geschlechtliche, strukturelle, semantische, kulturelle und kulturbetriebliche Hierarchien einfügt, sondern indem sie selbst performativ (Re)Präsentationen herstellt, die gängige Blickregime aushebeln. Für diese Anliegen unterstützt sie auch strukturell-nachhaltig, zum Beispiel mit der Gründung von „Get The Heck To School“ 2017, einer Stiftung für die Ausbildung von Romnja, aber auch mit verbal ermächtigenden Statements wie: „Ich glaube, dass die Rom:nja im 21. Jahrhundert die sozialen, ökologischen und technologischen Avantgardist:innen dieses Planeten sind. Seit etwa 100 Jahren recyceln wir Abfälle, um uns als unterdrückte Minderheit in der westlichen Moderne selbst zu versorgen – die erst jetzt den moralischen, sozioökonomischen und ökologischen Wert dieser Praxis erkennt.“ >> Gastbeitrag von erwin GeheimRat Als Lovis Corinth, Max Klinger, Walter Leistikow, Alfred Lichtwark, Max Liebermann, Max Slevogt und weitere 1903 in Weimar den Deutschen Künstlerbund gründeten, taten sie dies inmitten der Reglementierungen im Kaiserreich unter anderem mit dem Ziel, die Kunstfreiheit einzufordern. Auch für mich war das ein wichtiger Grund, mich für eine Mitgliedschaft in dieser 1936 erzwungen aufgelösten und dann 1950 wieder begründeten Vereinigung von in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Künstler:innen zu interessieren. Denn rechtliche Themen, insbesondere Verfassungsrecht und die Stellung der Kunstfreiheit begleiten meine künstlerischen Praktiken sowohl im- als auch explizit seit vielen Jahren. Im Zusammenhang verschiedener auf der documenta fifteen 2022 in Kassel präsentierter Arbeiten wurden neben den medial erhobenen Anschuldigungen auch von Politiker:innen zum Teil eigenwillige Grenzziehungen der Kunstfreiheit behauptet, so dass ich nicht nur für Kunstschaffende etwas zur tatsächlich rechtlichen Einordnung beisteuern möchte. Im Grundgesetz ist in Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 die Freiheit der Kunst als ein Grundrecht unserer Verfassung verankert. Nähere Einordnungen ergeben sich aus Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts, dessen Entscheidungen gemäß § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz bindend sind sowohl für die Legislative, die Exekutive als auch die Judikative, das heißt für Parlamente und deren Abgeordnete, für Behörden, Staatsanwaltschaften, Ministerien, Beamt:innen, Minister:innen, Bundeskanzler:innen, Bundespräsident:innen sowie für Richter:innen und Gerichte. In der Mephisto-Grundsatzentscheidung (BVerfGE 30, 173) hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1971 verdeutlicht, dass Art. 5 Abs. 2 GG gewisse Einschränkungen vorsieht, diese aber nur auf die in Art. 5 Abs. 1 verbriefte Meinungs-, Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit und nicht auf die in Art. 5 Abs. 3 genannten Freiheitsrechte für Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre anzuwenden sind. Sofern gesetzliche Bestimmungen auf der sogenannten Einfachgesetzesebene nun Grundrechte einschränken sollen, müssen nach Art. 19 Abs. 1 GG die Grundrechte unter Angabe des Artikels in dem Gesetz genannt werden. Im Grundsatzurteil BVerfGE 83, 130 hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass dies nicht für Grundrechte gilt, die nicht eingeschränkt werden dürfen. Zu diesen nicht einzuschränkenden Grundrechten zählt das Bundesverfassungsgericht die Kunstfreiheit. Um die Kunstfreiheit zu begrenzen, bedarf es damit mindestens einer Bestimmung, die sich unmittelbar aus der Verfassung beziehungsweise in aller Regel sogar aus konkurrierenden Grundrechten herleiten lässt; solchen Rechten also, die auf einer vergleichbar erhabenen Position unserer Verfassung positioniert sind. Wird zum Beispiel die mit Art. 1 Abs. 1 GG verbriefte Menschenwürde durch ein künstlerisches Werk potentiell verletzt, dann handelt es sich um ein konkurrierendes Grundrecht, das sich auf der Einfachgesetzesebene bereits eingeschrieben haben kann. Im Fall der Menschenwürde ist dies erkennbar etwa mit Regelungen zu Volksverhetzung in § 130 des Strafgesetzbuches geschehen. Bei vollständiger Durchsicht dieses Paragraphen zeigt sich allerdings, dass analog zu § 86 Abs. 4 StGB in Abs. 7 Ausnahmen für Abs. 2, welcher für zahlreiche künstlerische Praktiken zutreffend ist, eingezogen sind: Die Strafandrohungen sollen nicht gelten, „wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“. Die gesetzgebende Legislative hat mit diesen Bestimmungen auf der Einfachgesetzesebene festgelegt, wann volksverhetzende Inhalte, die „in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden“, strafbar sind. Demzufolge sind sie es nicht im Rahmen einer Handlung, die „der Kunst […] dient“. Wenn der Jurist Peter Raue in seinem Beitrag zur documenta fifteen in der Süddeutschen Zeitung vom 23.06.2022 schließlich erklärt, „[v]erfassungswidrige und strafrechtlich relevante Arbeiten haben in Deutschlands Öffentlichkeit nichts zu suchen“, dann kann das zwar als eine Meinungsäußerung Raues durchgehen, genau betrachtet zeigt sich darin wohl selbst eine verfassungswidrige Position. Denn mit der geltenden Rechtslage in Deutschland hat es in dieser Absolutheit wenig zu tun. Es gibt Strafrechtsnormen, die sich schwerlich aus der Verfassung herleiten lassen und damit nicht gegen die Kunstfreiheit rivalisieren können. Im Fall des § 130 StGB zu Volksverhetzung hat die Gesetzgebung, wie dargelegt, Ausnahmen unter anderem im Rahmen der Kunst vorgesehen. Und es existieren Verfassungsbestimmungen, die nicht in Konkurrenz zum Grundrecht der Kunstfreiheit treten und diese somit ebenfalls nicht überragen können. In der Entscheidung 1 BvR 1738/16 von 2019 hat das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus verdeutlicht, dass nicht nur das Herstellen, sondern auch das Ausstellen von Kunst durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt wird: „Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den ‚Werkbereich‘ und den ‚Wirkbereich‘ künstlerischen Schaffens. Nicht nur die künstlerische Betätigung, sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen Vorgangs. […] Die Anerkennung von Kunst darf nicht von einer staatlichen Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle oder von einer Beurteilung der Wirkungen des Kunstwerks abhängig gemacht werden.“ Die Freiheit der Kunst als ein Grundrecht in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen, war auch den Erfahrungen während des Deutschen Kaiserreichs und des Nationalsozialistischen Regimes geschuldet. Es würde mich wundern, wenn Liebermann, Corinth, Slevogt und die anderen, die 1903 den Deutschen Künstlerbund auch mit dem Ziel, die Kunstfreiheit einzufordern, gründeten, die heute tatsächliche Rechtslage nicht schätzen und verteidigen wollten. Zum Autor: erwin GeheimRat arbeitet im Bereich digitale Konzeptkunst und ist ordentliches Mitglied des Deutschen Künstlerbund e.V. Guest article by erwin GeheimRat When Lovis Corinth, Max Klinger, Walter Leistikow, Alfred Lichtwark, Max Liebermann, Max Slevogt and others founded the Deutscher Künstlerbund in Weimar in 1903, they did so amid the regimentations of the German Empire, partly with the aim of demanding artistic freedom. For me, too, this was an important reason for becoming interested in a membership of this association of artists living in the Federal Republic of Germany, which was dissolved by force in 1936 and then re-established in 1950. For legal issues, especially constitutional law and the position of artistic freedom have accompanied my artistic practices both im- and explicitly for many years. In relation to various works presented at the documenta fifteen 2022 in Kassel and additionally to accusations made in the media, politicians have also drawn the boundaries of artistic freedom in a partly idiosyncratic way, so that I would like to contribute something for actual legal classification, and not only for artists. Article 5 (3) sentence 1 of the German Basic Law enshrines the freedom of art as a fundamental right of the constitution. More detailed classifications result from the case law of the Federal Constitutional Court, whose decisions are binding for the legislative, the executive and the judiciary, i.e. for parliaments and their deputies, for authorities, public prosecutors, ministries, civil servants, ministers, Federal Chancellors, Federal Presidents, judges and courts, in accordance with Section 31 (1) of the Federal Constitutional Court Act in conjunction with Article 1 (3) of the German Basic Law. In the Mephisto landmark ruling (BVerfGE 30, 173), the Federal Constitutional Court made it clear as early as 1971 that Article 5 (2) of the German Basic Law provides for certain restrictions, but that these are to be applied only to freedom of expression, information, the press and broadcasting guaranteed in Article 5 (1) and not to the freedoms of art, science, research and teaching mentioned in Article 5 (3). If statutory provisions at the so-called simple law level are now to restrict fundamental rights, Article 19 (1) of the German Basic Law requires, that the law has to specify the basic right affected and the article in which it appears. If, for example, human dignity, which is guaranteed by Article 1 (1) of the German Basic Law, is potentially violated by an artistic work, then this is a competing fundamental right that may already have inscribed itself at the level of simple law. In the case of human dignity, this is recognizably the case, for example, with regulations on incitement to hatred in § 130 of the Criminal Code. However, a complete review of this section reveals that, analogous to Section 86 (4) of the Criminal Code, exceptions for subsection (2), that applies to numerous artistic practices, have been included in subsection (7): The threats of punishment should not apply „if the act serves civic information, to prevent unconstitutional activities, to promote the arts or science, research or teaching, reporting about current or historical events, or similar purposes.“ With these provisions, the legislative body has determined at the simple-law level when inciting content that is „contained in writings, on audio or visual media, on data carriers, in images or other materialised content or which is also transmitted independently of any storage using information or communication technologies“ is punishable. Accordingly, they are not if the act „serves […] the arts […]“. When the jurist Peter Raue finally declares in his contribution to documenta fifteen in the Süddeutsche Zeitung of June 23, 2022, „unconstitutional and criminally relevant works have no place in Germany’s public sphere“ [free translation], then this can pass as an expression of opinion by Raue, but if you look at it closely, it probably shows an unconstitutional position itself. Because it has little to do with the current legal situation in Germany in this absoluteness. There are criminal law norms that can hardly be derived from the constitution and thus cannot rival artistic freedom. In the case of Section 130 of the Criminal Code on incitement to hatred, the legislation, as explained, has provided for exceptions in the context of art, among other things. And there are constitutional provisions that can not compete with the fundamental right of artistic freedom and thus cannot override it either. In the 2019 decision 1 BvR 1738/16, the Federal Constitutional Court further clarified that not only the producing but also the exhibiting of art is protected by Article 5 (3) sentence 1 GG: „The guarantee of artistic freedom concerns in equal measure the ‚area of the work‘ and the ‚area of effect‘ of artistic creation. Not only the artistic activity, but also the presentation and dissemination of the work of art are necessary for the encounter with the work as a process that is also specific to art. […] The recognition of art may not be made dependent on governmental control of style, level, and content or on an assessment of the effects of the work of art.“ [free translation] Including the freedom of art as a fundamental right in the German Basic Law of the Federal Republic of Germany was also due to the experiences during the German Empire and the National Socialist regime. I would be surprised if Liebermann, Corinth, Slevogt and the others who founded the Deutscher Künstlerbund in 1903 – also with the aim of demanding freedom of art – did not appreciate and would defend the actual legal situation. About the author: erwin GeheimRat works in the field of digital conceptual art and is a full member of the Deutscher Künstlerbund e.V. 2021 GeheimRat solicited comments from experts at the United Nations (OHCHR, UNCOPUOS, UNOOSA), the ETO Consortium, NASA, ROSCOSMOS, ESA, CNSA, and from the legal field as part of the funded conceptual art work UniBase#no.6173. The subject is the 2020 announcement that Elon Musk had hired SpaceX’s general counsel to draft a constitution for the planet Mars: „I’m actually working on a constitution for Mars. No country can claim sovereignty over heavenly bodies“ (David Anderman, former SpaceX General Counsel, 2020). Comments received were forwarded to the General Counsel, Vice President, COO, and SpaceX CEO Elon Musk, who were also asked for their assessments. Fundamental to all activities in space, according to the comments received, are the Outer Space Treaty of 1967, the United Nations Charter, and international law. The claim of sovereignty, such as the installation of a constitution, by a single nation or by non-state legal entities (such as the SpaceX company) would consequently be unlawful (see Art. II, VI and VIII Outer Space Treaty). Incidentally, if one of the contracting states (currently 110) fears interference with the use and exploration of outer space and celestial bodies, it may request consultations on planned undertakings and experiments (Article IX Outer Space Treaty). Web: https://6173.GeheimRat.com 2021 hat GeheimRat im Rahmen dieser geförderten Konzeptkunst-Arbeit Grundlegend für alle Aktivitäten im Weltraum sind den eingegangenen Befürchtet übrigens einer der Vertragsstaaten (aktuell 110) KONTAKT: Web: https://6173.GeheimRat.com/de/ Himmlische Klänge ließen Sir John Eliot Gardiner und unter seiner Leitung die von ihm gegründeten Ensembles, der Monteverdi Choir und die English Baroque Soloists, in der Berliner Philharmonie erklingen. Im Rahmen des Berliner Musikfest 2021 traf hier am 3. September 2021 Georg Friedrich Händel auf Johann Sebastian Bach, konkreter drei Kantaten, die zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Zusammenhängen und zu unterschiedlichen Zwecken komponiert wurden: Händel verfasste seine eindrucksvolle Psalmvertonung für Soli, Chor und Orchester „Dixit Dominus“ während seiner vier Jahr währenden Italienreise, vermutlich begann er sie in Venedig und stellte sie 1707 und zwar im April in Rom fertig, so dass sie, ohne dabei einem Auftrag gefolgt zu sein, in der Kirche Santa Maria in Monte Santo, in Rom, im Juli 1707 uraufgeführt wurde. „Donna, che in ciel di tanta luce splendi“ war anschließend eine Auftragsarbeit von Papst Clemens XI. Die Kantante für Sopran, Chor und Orchester mit einem feierlichen Chorfinale schrieb Händel während seines Romaufenthaltes 1707/08 und wurde hier in Santa Maria in Ara Coeli im Februar 1708 uraufgeführt. Bachs frühe Choralkantate für Soli, Chor und Orchester „Christ lag in Todes Banden“, die Vertonung des gleichnamigen Osterliedes von Martin Luther aus dem Jahr 1524, entstand vermutlich während Bachs Aufenthalt in Mühlhausen 1707/08, wo er sich in der Blasiuskirche auf die vakante Organistenstelle vorstellte und wohl auch als Komponist empfehlen wollte. „Donna, che in ciel di tanta luce splendi“: Herrin, die du voll Glanz im Himmel prangst Es mag an einer vorangehenden Lektüre Michel Foucaults und an Gesprächen zu Foucaults Governementalitätsstudien („gouverner“ + „mentalité“), also zu Formen von Regierungen, Machtausübungen und Vermachtungen gelegen haben, dass hier im Folgenden statt einer Konzertrezension ein Essay entstanden ist, der sich an Ideenhistoriker*innen, Musik- und Kunstwissenschaftler*innen und ästhetische Philosoph*innen wendet: Denn inmitten dieses Konzertes verschmolzen die von Foucault analysierte Pastoralmacht der christlich-religiösen Konzeption, die die Beziehung zwischen Hirt und Herde organisiert, mit derjenigen Macht, die sich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in weitere Bereiche des Regierens und zwar auf alle denkbaren Aktivitäten und Handlungen ausweiten sollte. „Dixit Dominus“: Der Herr sprach Zu Beginn der Neuzeit entsteht eine neue Form der Pastoralmacht, die sich als Totalisierungs- und Individualisierungstendenz moderner Staatlichkeit und moderne Subjektivität zeigt. Statt Seelen werden nun, so Foucault, Menschen regiert, weder die Gesetze Gottes noch die Interessen eines irdischen Herrschers würden sich nun mehr artikulieren, sondern eine Governementalität, die den modernen Menschen herausbilden lässt. An diesem Punkt weiten sich die innerhalb des Christentums entwickelten Führungstechniken (durch Beichte und Gehorsam) aus, erfahren eine Säkularisierung und entwickelten sich zu Mechanismen und Technologien der Disziplin. Christi Himmelreich ging bekannterweise in den Aufbau von geopolitischen Territorial- und Kolonialreichen über. In genau diesen konzeptionellen Zwischenraum fallen Händel und Bach mit ihren Kompositionen von 1707/1708: Sie sind noch christlich pastorale und schon politische Machttechniken, die Regierungskünste sind zu diesem Zeitpunkt, so die These dieser Überlegungen, heterogen und diskontinuierlich, sie sind nicht mit religiösen oder staatlichen Institutionen identisch noch auf ein politisches System beschränkt, sondern sie zeigen sich in einer vielfältigen und doch eindeutigen Weise der Lenkung, Kontrolle und Leitung. Hier verknüpfen sich Herrschaftstechniken mit den Technologien des Selbst, Staatsformierung mit Subjektivierung. Fremdführung fällt mit Selbstführung, Beherrschung mit Selbstbeherrschung zusammen, und das umfasst sowohl die Instrumente, die Notensysteme, die Generalbassschrift, die Harmonien und Akkorde wie auch die Körper und Blicke, die Emotionen und Affekte, sowohl auf Seiten der Musizierenden als auch auf Seiten der Rezipierenden – mit einem akustischen und visuellen Ergebnis, das wahrlich zum Staunen bringt: „Halleluja“. So wird ansichtig, dass Macht keine einseitige Angelegenheit und das sich hierin entwickelnde (produ- wie rezipierende) „Subjekt“ auch nicht ohne Zwei- oder Mehrdeutigkeit zu haben ist. „Gloria Patri“: Ehre sei dem Vater Zeitlich nur knapp bevor das moderne, ästhetische Regime der Künste und dessen Betriebssystem in seinen Normativen der Präsenz, des Geniehaften und des Autonomen begründet und von einer Funktionslosigkeit befreit wurde, demnach Entregelungsprozesse in Gang gesetzt wurden, versetzen Händel und Bach beide Seiten des musikalischen Ereignisses in eine transitorische Lage. Mag hier die Ursache liegen, dass der Gründungsmoment des ästhetischen Regimes im 18. Jahrhundert noch von der Pastoralmacht überlagert war, so dass im ästhetischen Regime noch knapp die Dimensionen des Glaubens, der Wahrheit, der Schönheit, der Tugend und des Gehorsams eingenäht sind, so dass hier Versprechen (etwa ein Versprechen auf Freiheiten in Unabhängigkeit vom Regierungshandeln und damit ein machtfreies Areal) in Aussicht gestellt werden (können), die nicht einlösbar sind? Wurden so und zu dem Zeitpunkt die Bedingungen organisiert, unter denen beispielsweise die Freiheiten für die Kunst und Künste nicht produziert, sondern lediglich fabriziert werden? Und welche konstitutive (politische, historische) Rolle spielt innerhalb dieser Überlegungen die Generalbasspraxis (Basso continuo), die die polyphone Vokalmusik der vorangegehenden Epochen ablösten und auf eine Monodie umstellte? Deuten sich mit und in dem Basso continuo dieser Zeit bereits die im 18. Jahrhundert aufkommenden Sicherheitsmechanismen an, die dann zu der wichtigsten Aufgabe der Regierungsrationalität führen? Hier wären Musik-, Kunst- und Kulturarchäologen aufgefordert, sich noch einmal mit dem 18. Jahrhundert auseinanderzusetzen und dessen Schichten freizulegen, an denen sowohl Bach und Händel, aber auch David Hume und Immanuel Kant beteiligt waren. Literaturempfehlungen: Foucault, Michel: Die Gouvernementalität, in: Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/Main 2000, S. 41–67. Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität, Hamburg/Berlin 1997. Hörempfehlungen: Aufzeichnung auf Musikfest Berlin on Demand, bis 14.09.2021, 16 Uhr: https://www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/on-demand/2021/musikfest-berlin/english-baroque-soloists.html oder: Kleiner gleich 15 zu 1 lautet die magische Formel, die Adrian Piper in ihrem jüngsten Kunstprojekt in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellt. Diese Formel bezeichnet das maximale Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden, damit Bildung – ob in Schulen, Universitäten oder Berufsschulen – wirksam sein kann. „Jedes Kind und jede*r Studierende verdient diese Bildungsbedingungen.“ Nun setzt die Kausalkette ein: Ohne Bildung, so Piper, wären die Chancen eingeschränkt, das Leben selbst zu bestimmen und beispielsweise für die drängenden Probleme wie Armut, Klimawandel, Extremismus kluge Lösungen zu finden. Das wiederum führe dazu, dass die Wahlbedingungen, auch die politischen Wahlbedingungen eingeschränkt seien, denn: „Um wirksam zu wählen, müssen die Meinungen rational und ausführlich informiert sein.“ Ein gut informierte Meinung und die hieraus resultierende Wahl (auch die politische Wahl) setze eine gute Bildung voraus. Piper notiert ihre Argumentationskette demnach als linearen Dreierschritt: Ohne Bildung —> keine Chance —> keine Wahl. und baut dabei noch eine semantische Doppeldeutigkeit ein: „The German word Wahl means both ‘choice’ and ‘vote’“. Kindern, Studierenden und Auszubildenden „sollte es möglich sein, umfangreich die Fakten zu erforschen, sie kritisch zu anaylsieren, ihre Folgen rational zu berechnen, alternative Möglichkeiten kreativ vorzustellen und sie fachkompetent auszudrücken und zu verwirklichen“. Die in New York geborene Adrian Piper, die seit 2005 in Berlin lebt und arbeitet, ist promovierte Philosophin, hat über 30 Jahre an sechs verschiedenen Universitäten gelehrt, ist emeritierte Professorin der American Philosophical Association und wurde als Konzeptkünstlerin mehrfach prämiert, u. a. mit dem Goldenen Löwen der 56. Biennale in Venedig 2015, dem Käthe Kollwitz-Preis 2018 und 2021 dem Goslaer Kaiserring. Ihre Arbeit „Wahlkampagne“ fordert ein Schüler-Lehrer-Verhältnis von nicht mehr als 15 Schüler*innen pro Klasse, in Deutschland befände sich der Schnitt zwischen 13 und 33. Während dieses Anliegen zunächst wie eine bildungspolitische Kampagne in Wahlkampfzeiten anmutet, handelt es sich um eine, schon seit 2019 stattfindende Substantiierung, Formuntersuchung und Kausalitätsbegründung von Demokratie, deren „wichtigster Teil nach der Bundestagswahl“ beginnen würde, nämlich die kontinuierliche, nachhaltige und dringliche Betreuung dieser Forderung. Beabsichtigt ist eine langfristige Politisierung, Selbstermächtigung und Demokratisierung. „Wahlkampagne“ ist das Ergebnis Pipers biografischen Erfahrungen, auch ihrer Negativerfahrungen mit dem Bildungssystem, das sie aus ihrem akademischen Weg herausschleuderte: „[…] my professional route through the field of academic philosophy, which branched onto a rocky detour in graduate school, followed by a short but steep ascent, followed next by a much steeper, sustained descent off that road, into the ravine, down in flames, and out of the profession.“ Piper: „Ich [wurde] letztlich aus der Akademie vertrieben“, und so kommt Piper nach gut siebzig Jahren eigenen Lernens und Lehrens zu dem Schluss, dass mehr als 15 Studierenden in einer Ausbildungsklasse zu einem „überfüllten Kinotheater“ führten, in welchem sich jede*r lediglich passiv entspannen würde. Soweit der konzeptionelle Unterbau: Mit schwarz-weissen Sandwichboards vor dem Bauch und hinter dem Rücken (in 10er Auflage), die sowohl über die Formel kleiner gleich 15 zu 1 als auch die Kausalkette informieren, begaben sich Piper und einige Mitstreiter*innen am 15. Mai 2021 im Rahmen einer angemeldeten Demonstration vor den Bundestag, um mit Passant*innen ins Gespräch zu kommen und Handouts zu verteilen, in denen das Projekt „Wahlkampagne“ textlich vermittelt wurde. Das Handout informiert, dass es sich hierbei um den 3. Teil der von der APRA Foundation Berlin urheberrechtlich geschützten und finanzierten Aktion handelt: „Standardgröße, Auflage von 10 Schichtentafeln, in der Nähe des Bundestags auf der Staße mindestens einmal für eine Stunde zwischen 10 und 18 Uhr in der Öffentlichkeit zu tragen und dabei den Anstecker kostenlos zu verteilen.“ Die nächste Demonstration findet am Dienstag, 22. Juni 2021, zwischen 12 und 14 Uhr, wieder vor dem Bundestag statt. Teil 1 und 2 von „Wahlkampagne“ umfassen die Installation von Schildern an den Fassaden öffentlicher Berliner Gebäude und die kostenlose Verteilung von 15:1-Ansteckern in der Größe 3,5 x 4,5 cm, in unbegrenzter Auflage. Plakate von Argumentationskette und Formel sind zur DIY-Anfertigung downzuloaden – damit wird die ästhetische Tradition künstlerischer „giveaways“ fortgesetzt, allerdings ohne aus dem Öffentlichen zu verschwinden. Die Kosten für Platzierung und Befestigung der Schilder, bevorzugt an Fassaden in der Nähe des Bundestags, übernimmt die APRA Foundation Berlin. Der Berliner Aktions- und Performance-Künstler Daniel Chluba wurde im Rahmen des von Lukas Pusch initiierten Formats der Antist, Zeitschrift der Wiener Avantgarde zu einer Ausstellungsbeteiligung in der Knoll Galerie Wien, Gumpendorfer Str. 18, Vernissage am 08.November 2017, 19:00 Uhr eingeladen, um dokumentierendes Material seiner in Wien durchgeführten Performance Hasskäppchen auszustellen. Die Performance fand unter anderem am 7. Oktober 2017 auf dem Stephansplatz in Wien statt. Gegen 11:00 wurde Chlubas Performance durch Polizeibeamte wegen eines vorgeblichen Verstoßes gegen das erst wenige Tage zuvor in Kraft getretetene Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz abgebrochen und der Künstler in sogenannter Vorhaft genommen. In einem offenen Brief hatte der artLABOR e.V. 2017 die Interessen von Daniel Chluba formuliert. Drei Jahre später hat das Verfahren bemerkenswerte Wendungen durchlaufen, weshalb wir im November 2020 für Chluba nochmals ein Schreiben an das Verwaltungsgericht Wien sowie das Präsidium der Landespolizeidirektion Wien formuliert haben. Sehr geehrte XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX, mit Vollmacht vom 06.11.2020 (siehe S. 4) geben wir für Herrn Chluba die nachfolgenden Erklärungen ab. Aufgrund der aus unserer Sicht bemerkenswerten Abläufe und Vorkommnisse im Verfahren mit dem Geschäftszeichen VStV/0000000000/2017 halten wir es für gegeben, das Verwaltungsgericht Wien wie auch das Präsidium der Landes-polizeidirektion Wien über alle Erklärungen gleichermaßen zu informieren: 1. Fortgang des Verfahrens Herr Chluba verzichtet auf Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 28.08.2020 (Eingang am 17.10.2020). Die verfassungsrechtlichen Fragen, die wir in unserem Beschwerdeschreiben vom 14.12.2017 dargelegt und aufgeworfen haben, würden nach unserer Einschätzung und nach Rücksprache mit einem Verwaltungsrichter nicht thematisiert werden können. Es ginge allenfalls um die Fragen, ob eine Verfahrenseinstellung nach § 43 VwGVG oder ob die Versagung einer Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof den Beschwerdeführer verfassungsrechtlich in seinen Rechten einschränkt oder nicht. Beides sind für den Beschwerdeführer derzeit keine bedeutsam zu klärenden Fragen. Auch wenn es zu einer ähnlichen Rechtsauffassung gelangte wie die Beschwerdeführerseite, wäre beim entstandenen oder herbeigeführten Verfahrensstand selbst dem Verwaltungsgericht Wien die Möglichkeit einer Prüfvorlage beim Österreichischen Verfassungsgerichtshof verstellt. Da die in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen aus Sicht des Beschwerdeführers jedoch von einiger Bedeutung für gleichwertige Beurteilungen in unterschiedlichen Staaten der Europäischen Union sind und vor diesem Hintergrund auch die weiteren Einlassungen von Herrn Chluba verständlich werden, rufen wir den Beteiligten die verfassungsrechtlichen Fragen, die wir durch Vorlage beim Verfassungsgerichtshof zu prüfen beantragten, hier noch einmal in Erinnerung: 2. Stichtag und seine Folgen Zunächst festzuhalten ist, dass die Landespolizeidirektion Wien die Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand mit § 43 Abs. 1 VwGVG begründet und das Verwaltungsgericht Wien dies als rechtmäßig bestätigt hat. Mit dieser rechtlichen Einordnung lässt sich nun aber auch ein Stichtag in den Blick nehmen, nämlich Freitag, der 15.03.2019. Denn das ist genau der Tag, an dem 15 Monate nach Einreichung der Beschwerde die Verjährung dieses Verfahrens einsetzte. Für die weiteren Verfahrensabläufe zeigt sich wohl XXXXXXXXXXXX verantwortlich, der, wenn unsere Recherchen es richtig einordnen, aufgrund langjähriger und verdienstvoller Tätigkeit für den Bundesstaat Österreich durch den Bundespräsidenten zudem als XXXXXXXX ausgezeichnet wurde. Wir können also davon ausgehen, dass auf Seiten der Landespolizeidirektion Wien kein Anfänger am Werk war, sondern jemand, der wusste, was er tat. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass XXXXXXXX aus langjähriger Erfahrung weiß, dass ein Verfahren 15 Monate nach Einreichen der Beschwerde ohne rechtskräftiges Urteil verjährt und, wie das Gericht folgekonsequent entschieden hat, eine möglicherweise bestehende Forderung damit uneinbringlich ist. Schauen wir uns also an, was die Landespolizeidirektion Wien nach dem Stichtag 15.03.2019 in Gang gesetzt hat: Mit Datum 28.11.2019, also mehr als 8 Monate nach Eintritt der Verjährung des Verfahrens, verschickt Herr XXXXXXXX einhergehend mit der Tatsachenbehauptung, dass der Bescheid nun vollstreckbar sei, eine Mahnung in Höhe von € 115,- an Herrn Chluba. Dies geht einher mit der Drohung, dass der Geldbetrag durch Exekution hereingebracht würde und im Fall der Uneinbringlichkeit durch Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt würde. Herrn Chluba wurde damit also nicht nur eine falsche Tatsachenbehauptung, die bei ihm zu einer Vermögensverfügung führen sollte, entgegengehalten, ihm wurde bei Uneinbringlichkeit zudem mit einem empfindlichen Übel, in Form einer Haftstrafe gedroht. Abgesehen vom unzeitgemäß befremdlichen und auch irreführenden Vokabular lässt sich bei dieser Mahnung, so wie Herr Chluba dies auch in seinem Schreiben vom 18.12.2019 formuliert hat, vielleicht noch von einem bedauerlichen Irrtum sprechen. Etwas anders stellt es sich bzgl. der nachfolgenden Entwicklungen dar, die dann schon annähernd 12 Monate nach Verjährung des Verfahrens in Gang gesetzt wurden und ihren Höhepunkt etwa 15 Monate nach der Verjährung erreichten. Aufgrund unserer Einlassungen vom 19.02.2020 hat das Verwaltungsgericht Wien mit seinem Schreiben vom 26.02.2020 an die Landespolizeidirektion darüber aufgeklärt, dass die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 14.12.2017 erstmalig durch Schreiben des Beschwerdeführers vom 19.02.2020 dem Gericht zur Kenntnis gelangte und fügte hinzu: „eine Vorlage durch die Behörde erfolgte bis dato nicht.“ Dem Schreiben des Verwaltungsgerichts Wien an die Landespolizeidirektion Wien war die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 14.12.2017 dabei angefügt. Selbst wenn, wie später behauptet, die Beschwerde im Zuge des Verfahrens im Dezember 2017 oder etwas später nicht in die Akte gelangt sein sollte, dann musste die LPD Wien spätestens ab dem 26.02.2020 Herrn Chluba entlastet und sich selbst gleichermaßen erheblich belastet sehen. Dennoch erwirkte die Landespolizeidirektion Wien im Mai 2020 einen sofort vollstreckbaren Haftbefehl gegen Herrn Chluba und ließ am 02.06.2020 über das Berliner Finanzamt Prenzlauer Berg eine Vollstreckungsankündigung zustellen, in der ausdrücklich auf den durch die LPD Wien erwirkten Haftbefehl hingewiesen wurde. Erschwerend musste diese Drohung von Herrn Chluba empfunden werden, da bereits in der Mahnung vom 28.11.2019 nur die Möglichkeit der Zahlung eines Betrages von € 115,- als auflösende Handlung angeboten wurde. Es hat uns zwar nicht vollends überrascht, dass das Erfüllen wesentlicher Tatbestandsmerkmale des § 146 StGB durch die LPD Wien über die Begrenzung der Strafbarkeit mit § 7 Abs. 1 StGB gleich wieder aufgehoben wird, gleichwohl sehen wir im Verhalten der Landespolizeidirektion Wien mindestens Fahrlässigkeit, wenn nicht gar grobe Fahrlässigkeit erfüllt und erheben hiermit auch aufgrund des mithin doch sehr eigenwilligen Rechtsstaatsverständnisses der Behörde Dienstaufsichtsbeschwerden gegen 1. den XXXXXXXXXXXXXXXX sowie 3. Durchführung der Kunstperformance in Wien Bereits zweimal wurde die Kunstperformance Hasskäppchen in rechtswidriger Anwendung des Anti-Gesichtsverhüllungsgesetzes und mit Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit durch Polizeibeamte in Wien abgebrochen und Herrn Chluba damit auch die freie Ausübung seines Berufes als Performance-Künstler verwehrt. Wir kündigen hiermit an, dass die Kunstperformance Hasskäppchen von Daniel Chluba erneut in Wien zur Aufführung gebracht werden wird und Herr Chluba einem nochmals rechtswidrigen Abbruch vorbereiteter begegnen wird, um ggf. die bereits in diesem Verfahren aufgeworfenen, aus unserer Sicht verfassungsrechtlich bedeutsamen Fragen tatsächlich zur Verhandlung zu bringen. Wie in der Vollmacht ersichtlich, machen wir abschließend auf die geänderte Postanschrift von Herrn Chluba aufmerksam: XXXXX Berlin Mit freundlichen Grüßen, erwin liedke [member of board, artLABOR e.V., Berlin] ANHANG Siehe auch: Performance-Kunst versus Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz https://cryptpad.fr/pad/#/2/pad/view/sPjUVu6Mk5tPtDFPyRVtPos57IGW3+BHBCpscMSMCbo/ Sophie Eisenried, 1.12.2020 A live field study of the seminar Everything is live now. Das Kunstsystem im Ausnahmezustand, at the Institute for Art History, Ludwig-Maximilians-University Munich, in summer term 2020, Prof. Dr. Birte Kleine-Benne, supported by Praxisbüro of the Department Kunstwissenschaften of the LMU Munich. The term Ausnahmezustand / State of Exception becomes more important in times of crisis – both in everyday life and in the sciences. What is the significance today of the term technicus, which was first coined by Carl Schmitt[1] and later further investigated in by Giorgio Agamben[2]? The Corona-Crisis has created new dynamics within society and the systems of the state generating new rules and policies. Almost everybody is now used to keeping a distance, to being isolated and to covering their mouth and nose e.g. wearing a mask. Politics, medicine and medical care and sciences permeate each other, becoming and acting together as a force, by working in constant exchange. But what impact does the pandemic have on the arts? Isn’t the system of arts itself in a state of exception? The 15th of March stresses the beginning of the so-called first lockdown[3] for all museums, galleries, theatres and all cultural institutions as well as for all the people working in a cultural context. Museums are called upon to digitise their collections and make them accessible online. Theatres are moving their rehearsals to video chats and their premieres to the internet. Artists (m / f / d), actors (m / f / d), art directors (m / f / d), curators (m / f / d), art educators (m / f / d) and scientists (m / f / d) are looking for strategies to secure their existence. It is (still) unknown how long this state of exception will last and what this means for them, for exhibitions, productions, income, fees, the art market and art institutions. Furthermore, the pandemic reveals structures, strengths and weaknesses, doubts and uncertainties. Newspapers as well as technical literature are reporting about the corona crisis. The 15th of July is representative for a first and provisional end point, explained by the gradual opening of cultural institutions. The reports by art magazines, feuilletons, blogs and social-media- accounts enable one to investigate the development of the pandemic through Live field studies. Hence texts have been collected, archived, classified and made accessible, from the 15th of March to the 15th of July. These can be found via online channels, search engines and social media on the topics state of exception, pandemic, corona and the art system and are still accessible on World Wide Web with an URL. The outcome is an Open Source- and Open Access Archive which broaches the issue of the corona pandemic and its impact on the arts from the 15th of March to 15th of July. The archive is publicly available, usable and also editable through an editing link for which everybody can be authorised for per e-mail. Just send your requests here: dock@artlabor.eyes2k.net The sources were mainly collected with Twitter[4] and edited with CryptPad[5]. The documents of this software can be shared and edited in real time. CryptPad uses a hundred percent client-side encryption (Zero-Knowledge-Encryption) to protect the content in its entirety. Even if the link to the document is shared, only a cryptographic key is transmitted. The archive can be used anonymously and free of charge and also can be used for research, reading and knowledge gain. The archive is subclassified in following topics: Arts / Kunst – Policies / Politik – Exhibitions / Ausstellungen – Museums / Museen – ArtResearch / Kunstforschung – Theater / Film – Culture & Society / Kultur & Gesellschaft – Galleries / Galerien – Auctions / Auktionen – Fairs / Messen. The sources are arranged alphabetically within the archive categories. For easy, quick and clear use, you can jump to one of the nine subject areas by opening the table of contents with a single click. By setting links to each archive entry, the texts can be opened on the World Wide Web with a single click and read in the front-end – provided that no usage restrictions are set by the providers (as in the case of The New York Times or The Art Newspaper). The archive is open to any extensions. [1] Cf. Schmitt, Carl: Politische Theologie, Duncker & Humbolt, Berlin 1922. [2] „Der Ausnahmezustand ist in diesem Sinne die Eröffnung eines Raumes, in dem Anwendung und Norm ihre Getrennheit zur Schau stellen und worin reine [3]Corona Pandemic: https://en.wikipedia.org/wiki/COVID-19_pandemic . [4] Cf. https://twitter.com/betriebssystemk?lang=de [26.11.2020]. https://cryptpad.fr/pad/#/2/pad/view/sPjUVu6Mk5tPtDFPyRVtPos57IGW3+BHBCpscMSMCbo/ Sophie Eisenried, 1.12.2020 Eine Live-Feldstudie des Hauptseminars Everything is live now. Das Kunstsystem im Ausnahmezustand, am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, im Sommersemester 2020, Prof. Dr. Birte Kleine-Benne, gefördert vom Praxisbüro des Departments Kunstwissenschaften der LMU München. Der Begriff Ausnahmezustand gewinnt in Zeiten der akuten Krise/n sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft an Bedeutung. Welche Bedeutung kommt dem Terminus technicus heute[1] zu, der zunächst von Carl Schmitt geprägt[2] und später dann von Giorgio Agamben weiter untersucht[3] wurde? Der Corona[4]-Ausnahmezustand versetzt die Gesellschaft und deren Teilsysteme in Dynamiken, die neue Regeln und Gesetze generieren. Abstandsregelungen, Kontakteinschränkungen, Ausgangsbeschränkungen und das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen regulieren den Alltag der Bevölkerung weltweit. Politik, Wissenschaft, Medizin und Wirtschaft stehen im ständigen Austausch und bedingen, erhalten und konsolidieren einander. Im Corona-Ausnahmezustand wird deutlich, dass und wie die Teilsysteme der Gesellschaft miteinander verstrickt sind, wie beim Politik-, Medizin- beziehungsweise Wissenschaftssystem zu beobachten ist. Was bedeutet der Ausnahmezustand für das Kultursystem und im Besonderen für das Kunstsystem und was wiederum bedeutet das für die Gesellschaft. Das Kunstsystem und der Ausnahmezustand stehen nicht nur in Wechselwirkungen, sondern das Betriebssystem Kunst[5] selbst befindet sich im Ausnahmezustand. Der 15. März 2020 markiert einschlägig für alle Museen, Galerien, Theater und sämtliche Kultureinrichtungen wie auch für alle Akteur*innen des Betriebssystems den Beginn des sogenannten (ersten) Lockdowns.[6] Museen sehen sich aufgefordert, ihre Sammlungen zu digitalisieren und online zugänglich zu machen. Theater verlagern ihre Proben in den Video-Chat und ihre Uraufführungen in das Internet. Künstler*innen, Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Kurator*innen, Museumspädagog*innen und Wissenschaftler*innen suchen nach Strategien ihrer Existenzsicherungen. Unbekannt ist für alle Akteur*innen (noch immer), wie lange dieser Ausnahmezustand anhalten wird und was das für sie, für Ausstellungen, Produktionen, Einnahmen, Honorare, den Kunstmarkt und die Kunstinstitutionen bedeutet. Der Ausnahmezustand lässt aber auch Strukturen, Regeln, Abhängigkeiten, Digitalisierungsanti- und sympathien, Ängste und Sorgen, Stärken und Schwächen, Zweifel und Unsicherheiten sichtbar werden. Zahlreiche Autor*innen nehmen wie die täglichen Berichterstattungen den Ausnahmezustand in ihre Ausführungen auf. Der 15. Juli 2020 stellt einen ersten und vorläufigen Endpunkt dar, welcher sich durch die allmählichen Öffnungen der Kultureinrichtungen erklärt.[7] Die Berichterstattungen in den Kunstmagazinen, Feuilletons, Kulturblogs und Social-Media-Accounts waren und sind von Wichtigkeit, um die Entwicklungen im Kunstsystem als eine Live-Feldstudie beobachten zu können. Deshalb wurden jene Texte dieses Zeitraumes hier gesammelt, archiviert, kategorisiert und öffentlich gemacht, die über Online-Kanäle, Suchmaschinen und Social Media zu dem Themenkomplex Ausnahmezustand, Pandemie, Corona und Kunstsystem zu finden waren und immer noch mit einer URL ausgestattet im World Wide Web zugänglich sind. Entstanden ist ein allgemein zugängliches Archiv zu den Ereignissen im Kunstsystem während des Corona-Ausnahmezustands, vom 15. März bis zum 15. Juli 2020, das als Open Source angelegt und als Open Access zur Verfügung gestellt wird. Der Text ist öffentlich und kann nicht nur eingesehen und genutzt, sondern auch für den hier gewählten zeitlichen Rahmen, als auch darüber hinaus in der Edit-Variante des Archivs weitergeschrieben und erweitert werden. Hierfür ist eine Autorisierung der Initiatorinnen des Archivs erforderlich, die mit der Übersendung des Edit-Links erfolgt und unkompliziert per E-Mail erfragt werden kann. Die Quellen wurden vornehmlich mit Twitter[8] gesammelt und mit CryptPad[9] editiert. Die Dokumente dieser Software können allgemein geteilt und in Echtzeit bearbeitet werden. CryptPad verwendet eine hundert-prozentige clientseitige Verschlüsselung (Zero-Knowledge-Verschlüsselung), um die Inhalte komplett zu schützen. Auch wenn der Link zum Dokument geteilt wird, wird lediglich ein kryptografischer Schlüssel übermittelt. Das Archiv ist anonym und kostenlos nutzbar und kann der Recherche, der Lektüre und dem Erkenntnisgewinn dienen. Die Inhalte zum Thema Das Kunstsystem im Ausnahmezustand sind durch folgende, erweiterbare Kategorien geordnet: Arts / Kunst – Policies / Politik – Exhibitions / Ausstellungen – Museums / Museen – ArtResearch / Kunstforschung – Theater / Film – Culture & Society / Kultur & Gesellschaft – Galleries / Galerien – Auctions / Auktionen – Fairs / Messen. Die Quellen sind innerhalb der Archivkategorien alphabetisch geordnet. Für eine einfache, schnelle und übersichtliche Nutzung kann durch das Öffnen der Gliederung mit einem Klick in einen der neun Themenbereiche gesprungen werden. Durch die Link-Setzungen eines jeden Archiveintrags können die Texte durch einen Klick im World-Wide-Web geöffnet und im Front-End gelesen werden – sofern von Seiten der Anbieter (wie zum Beispiel im Fall von The New York Times oder The Art Newspaper) keine Nutzungsschranken gesetzt werden. Für den Fall, dass auf einzelne Texte aufgrund des Work-in-progress-Charakter des Internets nicht mehr zugegriffen werden kann und eine oder mehrere URL’s zu Fehlermeldungen führen, können die Inhalte bei den Initiatorinnen erfragt werden: dock@artlabor.eyes2k.net Das Archiv wurde als Informationsplattform und zu ihrer ständigen Erweiterung angelegt. Jede und jeder ist eingeladen, Verbesserungen, Erweiterungen und Diskussionen anzuregen. [1] Gemeint ist das Jahr 2020, ab dem 15. März 2020. [2] Vgl. Schmitt, Carl: Politische Theologie, Duncker & Humbolt, Berlin 1922. [3] „Der Ausnahmezustand ist in diesem Sinne die Eröffnung eines Raumes, in dem Anwendung und Norm ihre Getrennheit zur Schau stellen und worin reine [4] Nachdem im Dezember 2019 der Ausbruch einer neuen Atemwegserkrankung bestätigt wurde, schlug die WHO im Februar 2020 für die Erkrankung den Namen Covid-19 vor. Seither wird sowohl in den Medien als auch im alltäglichen Sprachgebrauch von der COVID-19-Pandemie, Corona-(Virus)-Pandemie oder Corona-(Virus)-Krise gesprochen. Im März erklärte die WHO die Epidemie zu einer weltweiten Pandemie. [5] Zum Terminus technicus des Betriebssystem Kunst vgl. Wulffen, Thomas: Betriebssystem Kunst. Eine Retrospektive, in: Kunstforum International, Bd. 125, Jan./Feb.,1994, S.50–58. [6] Zur Covid-19-Pandemie weltweit vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie [zuletzt abgerufen am 11.11.2020]. [7] Zu Ereignissen und Maßnahmen in Deutschland vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/chronik-coronavirus.html [zuletzt abgerufen am 11.11.2020]. [8] Vgl. https://twitter.com/betriebssystemk?lang=de [zuletzt abgerufen am 11.11.2020] [9] Als Alternative zu den verbreiteten und unverschlüsselten Officediensten vgl. https://cryptpad.fr [zuletzt abgerufen am 11.11.2020] Statement „Untangling the lines of an apparatus means, in each case, preparing a map, a cartography, a survey of unexplored lands – this is what [Foucault] calls ‚field work‘.“ Gilles Deleuze, What Is a Dispositif?, in: Timothy J. Armstrong (ed.), Michel Foucault Philosopher, New York 1992, p. 159. As a follow-up to the conference Exploring dispositifs, today., organized by Birte Kleine-Benne for the Institute of Art History at the Ludwig-Maximilians-University Munich in June 2019, we would like to summarise the main ideas that emerged from our debate. In light of the challenges faced by inclusive social systems due to hostilities against plurality, differences/differenciations and deconstructions, a renewed reflection on the responsibilites of art, art history and art theory appears necessary. From a retrospective view on the history of established artistic, art-historical and art-theoretical narratives, new research approaches emerge which should also be questioned regarding their function within the field of science policy and the social context in which they are situated. This is why we advocate for a practice that does not consist solely of already existing knowledge, but challenges it by renegotiating established normative knowledge practices, structures of argumentation and visual rhetorics. We subsume this project into two working hypotheses: Mitteilung „Will man die Linien eines Dispositivs entwirren, so muss man in jedem Fall eine Karte anfertigen, man muss kartographieren, unbekannte Länder ausmessen – eben das, was [Foucault] als ‚Arbeit im Gelände‘ bezeichnet hat.“ Gilles Deleuze, Was ist ein Dispositiv?, in: Francois Ewald / Bernhard Waldenfels (Hg.): Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt/Main 1991, S. 153. Im Nachklang der von Birte Kleine-Benne an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Kunstgeschichte, Ende Juni 2019 veranstalteten Tagung Dispositiv-Erkundungen, jetzt. möchten wir wichtige Gedanken unserer Debatte veröffentlichen. Angesichts der Herausforderungen an offene Gesellschaftsformen durch Anfeindungen gegenüber Pluralität, Differenz(ierung)en und Dekonstruktionen erscheint uns eine erneute Reflexion über die Verantwortlichkeiten von Kunst, Kunstgeschichte und Kunsttheorie notwendig. Aus einem historischen Rückbezug auf etablierte künstlerische, kunstgeschichtliche und -theoretische Narrative ergeben sich Forschungsansätze, die auch auf ihre wissenschaftspolitischen Funktionen sowie den gesellschaftlichen Kontext, in dem sie situiert sind, befragt werden sollten. Daher sprechen wir uns für eine Praxis aus, die sich nicht in bereits vorhandenem Wissen erschöpft, sondern dieses herausfordert, indem sie etablierte normative Wissenspraktiken, Argumentationsstrukturen und Bildrhetoriken neu verhandelt. Dieses Projekt fassen wir in zwei Arbeitshypothesen: 1950 beschrieb Hannah Arendt die Eindrücke ihres ersten Nachkriegsbesuches von Deutschland in ihrem Essay „Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes“: Die Verwandlung von Tatsachen in Meinungen sei wohl der erschreckendste Aspekt einer deutschen Realitätsflucht, hier insbesondere die Haltung, „mit Tatsachen so umzugehen, als handle es sich um bloße Meinungen“. Eine Hinterlassenschaft des Naziregimes sei, so Arendt, „die Realität nicht mehr als Gesamtsumme harter, unausweichlicher Fakten wahrzunehmen, sondern als Konglomerat ständig wechselnder Ereignisse“. Diese Verantwortungsflucht, dieses Empathievakuum, diese Erinnerungs- oder auch Moralleerstelle, kurz diese „Gleichgültigkeit“ und „Apathie“ (Hannah Arendt) mögen seither und zwar bis heute ursächlich für diejenigen Geschehnisse sein, die die Regisseurin, Schauspielerin und Politikwissenschaftlerin Christiane Mudra recherchiert, montiert und in einen szenischen Text überführt hat und dessen nüchtern-klarer Titel „Kein Kläger. NS-Juristen und ihre Nachkriegskarrieren“ unzweifelhaft die Stoßrichtung vorgibt. Das Unbehagen der Geschichte(n), künstlerisch-investigativ er- und vermittelt weiterlesen Zur Ausstellung „Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930“ im HKW Berlin. Gleich einer der Einführungstexte in die Ausstellung „Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt, auf hohen Wandtafeln platziert, startete die Oszillation: „Die Gegenwart um 1930 war weltweit geprägt von Grundlagenkrisen. Diese Krisen destabilisierten soziale Ordnungen ebenso wie überkommene Kategorien des Wissens. […] Politische und gesellschaftliche Konflikte nahmen globale Dimensionen an. […]“ Wer „Gegenwart“ gelesen und „1930“ überlesen hatte, hätte annehmen können, es ginge um eine aktuelle Bestandsbeschreibung: Grundlagenkrisen, Destabilisierungen sozialer Ordnungen und Wissenskategorien, Konflikte, globale Dimensionen. Eine Büchervitrine (A01) hätte vielleicht etwas irritiert, aber das heutige Krisenbewusstsein bestätigt: Die Krise der Psychologie, der Jugend, der bürgerlichen Kultur, unserer Zeit, der internationalen Arbeiterbewegung, der europäischen Wissenschaften …, eine weitere Publikation versprach – auch das heute üblich – „Wege aus der Krise“. Bei diesen Buchtiteln handelte es sich allerdings, durch das Layout sichtbar, nicht um heutige, sondern um Veröffentlichungen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre. Kunstgeschichte – sezieren, aber nicht anfassen. weiterlesen Zu Christian von Borries und Dieter Lesages „Bild der Rettung | Rettung des Bildes“ am Berliner Hebbel am Ufer. Am Anfang, so wird das Setting erzählt, stand das Bild der Rettung: Christian von Borries, Schweizer Musiker und Filmemacher, nahm 2016 an einer Such- und Rettungsaktion (SAR) auf einem zivilen Rettungsschiff vor der Küste Libyens teil. Den mittlerweile perfiden europäischen Mythos des Mittelmeeres als einem romantischen Raum, so von Borries, erlebte er zusätzlich verfremdet, schockte ihn doch die dominierende, aufdringliche, penetrante Bildproduktion der auf dem Rettungsschiff anwesenden Medienteams des französischen und deutschen Fernsehens, von BBC und CNN. Bildpolitiken humanitärer Katastrophen einkreisen … weiterlesen Geben Sie nie Ihre Daten ab und nehmen Sie nicht an diesem Leben teil – empfahl Manuel Castells (katalanischer Soziologe, Professor Emeritus für Soziologie und Stadt- und Regionalplanung an der University of California, Berkeley, wo er nach eigenen Aussagen 50% seiner Lebenszeit verbringt, die anderen Zeit lebt er in Barcelona und arbeitet an der dortigen Offenen Universität Katalonien UOC) seinem Publikum in Berlin, der Stadt, die laut Kastells, zu den führenden Städten der europäischen Erneuerungsprozesse und der kulturellen Einflüsse gehört. Castells hielt hier am 12.12.2017 auf Einladung des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG) im Berliner Kino International einen Vortrag und eröffnete damit eine Redereihe zur digitalen Gesellschaft, die das HIIG gemeinsam mit der Bundeszentrale für für politische Bildung (bpb) konzipiert hat und im nächsten Jahr mit weiteren RednerInnen wie Christoph Neuberger (30.1.2018) und José van Dijck fortgesetzt wird, um insbesondere, wie es die Forschungsdirektorin des HIIG Jeanette Hofmann in ihren Eröffnungsworten formulierte, europäische Denker und Denkerinnen zu digitalen Prozessen zu Wort kommen zu lassen – eine These, die Castells am Ende des Abends implodieren lässt, indem er dazu ausführt, dass kein Europa existiere. Der Brexit sei der Beginn des Zerfalls, es gäbe keine europäische Identität, lediglich eine desintegrative Lage ohne Solidaritätsmechanismen, eine Xenophobie und eine Kluft zwischen technologischen und moralischen Fähigkeiten – aber es würden auch zwei Gemeinsamkeiten existieren: erstens, dass die Vergangenheit von Kämpfen geprägt sei und dass zweitens das Internet genutzt würde. „Don’t use facebook, Google, YouTube and Credit cards!“ Manuel Castells in Berlin weiterlesen Die Eingangssequenz des Filmes zeigt eine sattgrüne, üppige, wunderschön geomorphologisch geschwungene Hochebene aus der Vogelperspektive, ungeschnitten aufgenommen als extremely long shot (Panorama), wie sie ein Touristikwerbevideo nicht besser hätte in Szene setzen können. Mit dieser Master Szene, die gleichzeitig als Übersichtseinstellung (establishing shot) dient und in die alle weiteren Szenen hineingeschnitten sind, ist der Handlungsrahmen des Filmes und der Grundkonflikt des Gesamtprojektes „Das Kongo Tribunal“ benannt: Wie ist es möglich, dass die Demokratische Republik Kongo, die zu den rohstoffreichsten Ländern der Welt gehört (Diamanten, Gold, Kupfer, Mangan, Blei, Zink und Zinn) und mit ihren Coltan-, Wolframit und Kassiterit-Vorkommen, die für die Produktion eines nahezu jeden elektronischen Gerätes benötigt werden und daher im Ostkongo seit etwa 20 Jahren zu einem Boom, manche schreiben sogar von einem Goldrausch, führten, zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, das im Demokratieindex von 2014 auf Platz 162 von 167 lag und im Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen 2016 auf Platz 135 von 188? 7 Millionen Toten werden seit 1996 geschätzt, die Rede ist von jahrzehntelanger Ausbeutung, Korruption und Bürgerkriegen, Importwirtschaft, Staatsverschuldung, vernachlässigter Infrastruktur, mangelnder Informations- und Pressefreiheit… Der Mapping-Report der Vereinten Nationen zählte zwischen 1993 und 2003 über 600 Menschenrechtsverletzungen im Kongo, dazu zählten Massaker, systematische Tötungen und Genozide. Koloniale Gegenwarten. Zu Milo Raus Kongo-Tribunal weiterlesen Teil 2 des Gastspiels Milo Raus in Berlin startete am 7. November 2017 um 15 Uhr auf der Wiese vor dem Bundestag. Nachdem vom 3. bis 5.11.2017 in der Berliner Schaubühne das „erste Weltparlament der Menschheitsgeschichte“ tagte, 70 Abgeordente aus 20 Ländern zu Kriegen, Sanktionen, Migration, Drohnen, Klimaschäden, Grenzregimen, Landgrabbing, Korruption, Genoziden, Kolonialfolgen, Überwachungssoftware, Gedächtnispolitiken, Naturparks, Freihandel, genveränderten Maissorten und Antinatalismus vortrugen und über 15 Anträge abstimmten, die Teil der „Charta für das 21. Jahrhundert“ werden sollen, sollte am 7. November 2017, 100 Jahre nach der Einnahme des Winterpalasts, Sitz der russischen Zaren in St. Petersburg, der „Sturm auf den Reichstag“ stattfinden. Das Reenactment eines Enactments: Der Sturm auf den Reichstag 2017 weiterlesen EschkolFlughafen TempelhofGaza EnvelopeMassakerNovaNova Music FestivalOct 7Open Air-Trance-MusikfestivalThe Nova ExhibitionTribe of Nova FoundationWe Will Dance Again
Kein Sehnsuchtsort in Sicht? Zwischen der schönen neuen Welt und der alten Welt entdeckt William Kentridge Martinique – und den Surrealismus.

„The Great Yes, The Great No“ wurde nun im Rahmen der Performing Arts Season im Berliner Festspielhaus aufgeführt. Ihre Uraufführung hatte die Oper im Sommer 2024 als Auftragsarbeit der LUMA Foundation, Arles auf dem Festival Aix-en-Provence mit Unterstützung verschiedener US-amerikanischer Institutionen (Adrienne Arsht Center for the Performing Arts, CAL Performances, Berkeley, Brown Arts Institute der Brown University, The Roy Cockrum Foundation u.a.) und Galerien (Goodman Gallery, Lia Rumma Gallery und Hauser & Wirth).


Nhlanhla Mahlangu, Phala O. Phala, Luc de Wit – Co-Regie
Nhlanhla Mahlangu – Chor-Komponist
Greta Goiris – Kostümdesign
Sabine Theunissen – Bühnenbild
Tlale Makhene – Musikalische Leitung
Mwenya Kabwe – Dramaturgie
Urs Schönebaum, Elena Gui – Lichtdesign
Žana Marovi?, Janus Fouché, Joshua Trappler – Projektion (Schnitt & Mischung)
Duško Marovi? SASC – Kamera
Kim Gunning – Videosteuerung
Gavan Eckhart – Sounddesign
Ein Projekt des Centre for the Less Good Idea
Tour in Partnerschaft mit QuaternaireAndré BretonBerliner FestspielhausBlackfaceCapitaine Paul-LemerleFrantz FanonLévy-StraussMartiniqueNégritudePerforming Arts SeasonSurrealismusThe Great Yes The Great NoWilliam Kentridge
Immer Theater mit der Kunstfreiheit


Mediale Translationsleistungen durch Reenactments.





https://taz.de/Palaestina-Protest-bei-Kunstaktion/!5991553/
Das ist (k)eine Botschaft. Taiwan inmitten repräsentativer Zeichenspiele.



Berliner FestspieleBotschaftBubble TeaCeci n'est pas une pipeRepublik ChinaRimini ProtokollStefan KaegiTaipehTaiwan
Mikropolitiken groß gemacht.









Selma Selmans veränderte Repräsentationspolitiken


Tatsächliche Grenzen der Kunstfreiheit in Deutschland
Um nicht missverstanden zu werden, per se glaubensfeindliche und rassistische Positionen gehören für mich zu verstörenden Formen menschlicher Begegnung und gleiches gilt für das Infragestellen des Existenzrechts von Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Das sollte aber nicht dazu verleiten, die auch hierzulande rechtlichen Grenzen der Kunstfreiheit anders zu zeichnen, als sie es historisch begründet und demokratische Rechtsstaaten konstituierend sind.
Actual Limits of Artistic Freedom in Germany
In order not to be misunderstood, positions that are per se hostile to faith or racist belong to disturbing forms of human encounters for me and the same applies to questioning the right to exist of member states of the United Nations. However, this should not tempt us to draw the legal boundaries of artistic freedom in a different way than they are historically justified and constitute democratic constitutional states.
In the landmark ruling of BVerfGE 83, 130, the Federal Constitutional Court stated that this does not apply to fundamental rights that may not be restricted. The Federal Constitutional Court considers the freedom of art among these fundamental rights that may not be restricted. In order to limit artistic freedom, at least one provision is required that can be derived directly from the constitution or, as a rule, from competing fundamental rights, i.e., rights that are positioned in a comparably elevated position in the constitution. Elon Musk, the law and Mars – UniBase#no.6173



CONTACT:
artLABOR e.V.: press@artlabor.eyes2k.net ph: +49.(0)3212.1031038 or
GeheimRat.com: studio@GeheimRat.com ph: +49.(0)3212.1031065
Download text and images [3,6MB]: https://download.GeheimRat.com/artL_PR_en_UniBase6173.pdfElon Musk, das Recht und der Mars – UniBase#no.6173
Expert:innen der Vereinten Nationen (OHCHR, UNCOPUOS, UNOOSA), des ETO-Konsortiums, von Weltraumagenturen und aus dem Rechtsbereich um Stellungnahmen gebeten. Gegenstand ist die 2020 bekannt gewordene Ankündigung, Elon Musk habe den Chefsyndikus von SpaceX beauftragt, eine Verfassung für den Planeten Mars zu entwerfen. Die eingegangenen Kommentare wurden an den Chefsyndikus, den Vizepräsidenten, den COO und an den CEO von SpaceX, Elon Musk weitergeleitet und auch diese wurden um ihre Einschätzungen gebeten.
Stellungnahmen zufolge der Weltraumvertrag von 1967, die Charta der
Vereinten Nationen und das Völkerrecht. Die Beanspruchung von Hoheitsgewalt, wie etwa das Installieren einer Verfassung, durch eine einzelne Nation oder durch nichtstaatliche Rechtsträger (wie z.B. das Unternehmen SpaceX) wäre folglich rechtswidrig (siehe Art. II, VI und VIII Weltraumvertrag).
Beeinträchtigungen der Nutzung und Erforschung des Weltraums und der
Himmelskörper, so kann er Konsultationen über geplante Unternehmungen und Experimente verlangen (Art. IX Weltraumvertrag).
artLABOR e.V.: press@artLABOR.eyes2k.net ph: +49.(0)3212.1031038 oder
GeheimRat.com: studio@GeheimRat.com ph: +49.(0)3212.1031065
Download Text und Bilder: https://download.GeheimRat.com/artL_PR_de_UniBase6173.pdfVom Beherrschen und Selbstbeherrschen zum Staunen



Piper goes basic. Bildung als Demokratievoraussetzung.


Zur Kunstperformance Hasskäppchen von Daniel Chluba

2. die verantwortlich involvierten Mitarbeiter:innen der Landespolizeidirektion Wien.
The Art System Perforated by 700 Links


Gesetzeskraft eine Norm umsetzt (sprich: sie anwendet, indem sie sie nicht anwendet), deren Anwendung suspendiert worden ist.“ Cf. Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand, Suhrkamp, 7. Edition, Frankfurt am Main 2017, p. 51.Mit 700 Links das Kunstsystem durchlöchern


Gesetzeskraft eine Norm umsetzt (sprich: sie anwendet, indem sie sie nicht anwendet), deren Anwendung suspendiert worden ist.“ Vgl. hierzu Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand, Suhrkamp, 7. Auflage, Frankfurt am Main 2017, S. 51.Statement
Mitteilung
Das Unbehagen der Geschichte(n), künstlerisch-investigativ er- und vermittelt
Kunstgeschichte – sezieren, aber nicht anfassen.

Bildpolitiken humanitärer Katastrophen einkreisen …
© Christian von Borries, Dieter Lesage 2018.„Don’t use facebook, Google, YouTube and Credit cards!“ Manuel Castells in Berlin

Koloniale Gegenwarten. Zu Milo Raus Kongo-Tribunal
Spiegelung der Diskussionsteilnehmer im Anschluss an die Filmvorführung am 18.11.2017 an der Berliner Schaubühne.Das Reenactment eines Enactments: Der Sturm auf den Reichstag 2017

Zur Kommunikation zeitgenössischer Kunst | For communication of Contemporary Art