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Walid Raad. Die Theorie muss aufholen

„Bei der Erkundung verschiedener Artefakte in der Hamburger Kunsthalle habe ich mich gefragt, ob die von mir geschaffenen Kunstwerke und Geschichten aus dieser Welt oder von einem anderen Ort stammen.“  So schreibt Walid Raad auf S. 24 seines begleitenden Booklets zur Ausstellung „Cotton Under My Feet: The Hamburg Chapter“ in der Hamburger Kunsthalle, das nicht zufällig dem Format eines begleitenden Programmhefts für ein Theaterstück ähnelt.

Selbst dieses Zitat lädt zu Spekulationen ein: War Walid Raad in Hamburg? Handelt es sich um Artefakte (in) der Hamburger Kunsthalle? Wurden die hier signifizierten Kunstwerke tatsächlich von Walid Raad geschaffen? Welche anderen Orte mögen gemeint sein, von denen die Kunstwerke stammen könnten?

Raad wurde laut Wikipedia und anderer Quellen im Netz 1967 in Chbanieh im Libanon geboren, lebt in USA und lehrt an der The Cooper Union in New York. Auf seiner Webseite gibt Raad neun unterschiedliche Biografien zu seiner Person an, darunter 4 Fotografien, ein Interview, drei klassische Biografien mit unterschiedlichen Namen, Geburtsorten und -zeiten sowie Behelfssätze mit Freilassungen zur eigenen Verfügung: „Walid Raad is an ______ and an ______ (______, ______).“

Seine Werke sind seit der Documenta11, spätestens seit der dOCUMENTA (13) bekannt: Auf der Enwezor-documenta11 2002 erzählte er mit dem fiktionalen Kollektiv The Atlas Group die Gegenwartsgeschichte des Libanons, aufbauend auf dem Archiv der Atlas Group, das in drei unterschiedliche Kategorien von Akten gegliedert präsentiert wurde: „Typ A (verfasst), Typ FD (gefunden) und Typ AGP (Atlas Group Productions)“. Das Archiv wies sich darüber als eine Konstruktion aus, die uneindeutig, oszillierend und anfällig für Manipulationen durch zum Beispiel politische und geopolitische Interessen ist. Auf der d13 realisierte er, gemeinsam mit anderen von ihm kreierten fiktionalen Personen mit „Scratching on Things I Could Disavow“ ein Kunstprojekt über die Geschichte der Kunst in der „arabischen Welt“, das Raad startete, als 2007 in Städten wie Abu Dhabi, Dubai, Sharjah etc. neue Kulturstiftungen, Galerien, Kunstschulen, Magazine, Messen, Biennalen, Museen und Fonds gegründet wurden. Er schlug vor, nun in „islamisch“, „modern“ und „zeitgenössisch“ zu klassifizieren. Allein die Tatsache, dass für Raads Werke verschiedene „Autoren“ angegeben wurden und werden, stellt/e die kanonischen Vorstellungen von Künstlersingularität, Originalität, Wahrheit, Geschichte, Archiv und Dokumenten gründlich in Frage.

Nun also Hamburg: Im Anschluss an die beinahe gleichnamige Ausstellung 2021/22 für das Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid erweitert Raad diese Ausstellung um das „Hamburg Chapter“. Sicher wäre es möglich, an dieser Stelle das Textformat einer Ausstellungskritik fortzusetzen und den Plot zu erzählen, die Relationen nachzuzeichnen, den Sachgehalt in Faktentreue zu skizzieren. Stimmiger wären folgende Angaben:

Walid Raad: Cotton Under My Feet: The Hamburg Chapter“, Handlung in drei Akten

1. Akt: 1. Etage in der Lichtwark-Galerie der Hamburger Kunsthalle, Alte Meister, Raum 12 und 7

2. Akt: Treppenhaus der Lichtwark-Galerie: Vor dem Eingang zum Kupferstichkabinett und Rotunde

3. Akt: Erdgeschoss, Transparentes Museum, Raum 64, 61, 60 und 57

Akteur*innen: 

Ich (Walid Raad), Künstler

Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, Industrieller, Kunstsammler

Francesca Thyssen-Bornemisza, Tocher, Sammlerin

Baroness Carmen Thyssen-Bornemisza, Ehefrau, Sammlerin

Lamia Antonova, beste Restauratorin ihrer Generation, palästinensisch-sowjetischer Herkunft

John Constable, Künstler

Caspar David Friedrich, Künstler

Eastman Johnson, Künstler

Martin Johnson Heade, Künstler

Gilbert Stuart, Künstler

Jalal Toufic, Schriftsteller

Winslow Homer, Künstler

Andrew Crispo, Kunsthändler mit dunklem Geheimnis

Samuel Morse, Erfinder des Telegrafen und Maler

Béhague Sangusko, ein sog. Perserteppich, 16. Jahrhundert, 510 x 275 cm, Baumwolle, 21 kg schwer, gefühlt 1 Tonne, der schwerste Teppich der Welt, von Baron Thyssen-Bornemisza 1992 der Kunsthalle Hamburg gestiftet, aufgrund seines Gewichts nicht ausstellbar

verschiedene Gemälde:

u.a. 7 Gemälde mit gemalten Wolken auf der Rückseite, vertraglich festgelegt, dass nur die Rückseite dieser Gemälde betrachtet und als Fotografie gezeigt werden dürften

u.a. 23 amerikanische Gemälde des 19. Jahrhunderts

Fotoalbum der Innenräume der Villa Favorita in der Schweiz

Bücherbestand der Hamburger Kunsthalle zum Thema Vampirismus

285 Engel

10 Pokale aus der Gold- und Silbersammlung des Barons mit Gliederfüßern

9 psycho-pathologische Zustandsberichte von Gemälderahmen, erstellt von Lamia Antonova 

TBA2, Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in Madrid

Hamburger Kunsthalle und das „Transparente Museum“

Aus diesen Akteur*innen spinnt Walid Raad eine nicht (oder kaum) verifizierbare komplexe und unüberschaubare Geschichte, die uns durch die Sammlungsräume des historischen Gründungsbaus der Hamburger Kunsthalle führt: Beginnend in der oberen Etage bei den Alten Meistern kombiniert Raad den Sammlungsbestand mit Schenkungen, Leihgaben (zum Beispiel aus dem Museum für Kunst und Gewerbe) und eigenen Werken, ohne dass eine eindeutige Zuordnung möglich wäre, und führt uns durch das Gebäude, das Treppenhaus, vorbei am Eingang des Kupferstichkabinetts, unterhalb der Deckenmalerei von Gerhard Merz, entlang an der Bleiskulptur „Der Fluss“ von Maillol und Couturier von 1939/43, durch die kuppelbekrönte Rotunde mit ihren ionischen Säulen bis in das „Transparente Museum“ im Erdgeschoss. Raad erweitert/e den Gang um eine tatsächliche und eine virtuelle Performance-Tour per App durch seine Ausstellung.

Erzählt wird die Geschichte der Sammlung des Schweizer Unternehmers und Kunstsammlers Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, die dieser 1992 in Teilen der Kunsthalle Hamburg geschenkt haben soll. Erzählt wird deren Provenienzen und Konservierungen, Familiengeschichten und Finanzturbulenzen, eingebettet in historische Kontexte wie Sklaverei, Zuckerhandel, Kalter Krieg und Klimakrise.

Daher hieße es weiter:

Konzept: Walid Raad

Regie: Walid Raad

Autor*innen: Walid Raad, in Zusammenarbeit mit Petra Roettig, Leona Marie Ahrens, Selvi Göktepe

Kuration: Petra Roettig, Leona Marie Ahrens, Selvi Göktepe 

Bühne: Hamburger Kunsthalle, in Zusammenarbeit mit Walid Raad

Dramaturgie: Walid Raad, in Zusammenarbeit mit Hamburger Kunsthalle

Produktion: Hamburger Kunsthalle, in Kooperation mit Kampnagel Sommerfest

Raad gibt damit einen museologisch-performativen Ausblick auf das, was Museum auch sein kann: Szenisch kuratierte und aufbereitete Verwicklungen von Museumssammlungen und ihren Zeit-, Finanz- und persönlichen Kontextgeschichten, kombiniert mit konkreten Situiertheiten und Ortsspezifizitäten.

Im „Transparenten Museum“ geht es an der kanonischen Videodokumentation Andrea Frasers vorbei, die 1989 mit ihrem „Museum Highlights: A Gallery Talk“ im Philadelphia Museum of Art als Museumsführerin Jane Castleton auf einem Rundgang durch das Museum die Operationsweise des Museums sowie die Interrelationen zwischen Klasse, Geschmack, Habitus, Philanthropie und öffentlicher Politik freilegte. Raad trifft eine andere konzeptionelle Entscheidung: Er dekonstruiert nicht die Mechanismen, die Sprache und den Habitus des White Cube, er verstrickt die durch die Institutionskritik dekonstruierten Konstituierungsfaktoren des White Cube zu einer Konstruktion, die sich der bisher kunsttheoretisch erarbeiteten Intelligibilität entzieht. Künstlersingularität, Originalität, Wahrheit, Geschichte, Archiv und Dokumente sind over, die Theorie muss aufholen.

Uraufführung: 10.08.2023

Laufzeit: bis 12.11.2023

Performances-Tour mit Walid Raad: 16 Termine im August und jeweils 6 Termine im September, Oktober und November 2023

Artist Talk: 9.11.2023, 19 Uhr 

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Durch die Kunstgeschichte auf dem Ku’damm…

… große Meister, große Werke, große Männer, große Preise, große Labels, große Wertschöpfung, großer Glanz, große Erzählungen, große Bedeutungen, große Geschichten, große Wichtigkeit …

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Wie eine Ausstellung zur Öffentlichkeit Öffentlichkeit abschleift

Sucht man den Begriff Demopolis in der Suchmaschine Startpage, wird man zunächst auf den Wikipedia-Eintrag zur US-amerikanischen Stadt Demopolis in Alabama geleitet, ein Ort, der von einer Gruppe Bonaparten, also Anhänger der napoleonischen Diktatur, gegründet wurde, die nach dem Sturz Napoléon Bonapartes in die Vereinigten Staaten flüchteten. Bereits der zweite Eintrag führt zu der Webpräsenz der Ausstellung Demo:Polis in der Berliner Akademie der Künste, die im Untertitel „Das Recht auf Öffentlichen Raum“ heißt. (Die Reihenfolge in der Suchmaschine Google ist umgedreht.)

Mit dem Begriff Demo:Polis, also mit einem Doppelpunkt als Wort- bzw. Raumteiler oder bei URL’s als Trennung des Protokolls als Kontexthinweis (http, file oder ftp) vom Pfad zur Verortung der genauen Ressource (adk-berlin.de oder artlabor.eyes2k.net), noch dazu in Großbuchstaben (DEMO:POLIS) ist den Kuratoren Wilfried Wang und Barbar Hoidn, gemeinsame Gründer des Berliner Architekturbüros Hoidn Wang Partner die Kreation eines Mems oder auch eines Hashtags, also eines Erhöhungszeichens gelungen, das mit dem integrierten Doppelpunkt den semantischen Raum der Informatik öffnet. Und so heißt es denn auch in der Ausstellungsankündigung, dass hier nicht nur der „reale“ Raum, sondern auch der „virtuell-öffentliche“ des Internets Gegenstand des Interesses sei – eine Ankündigung, die sich in der Ausstellung selbst leider nicht einlöst, abgesehen von einer optisch reizvollen, installativen Projektion von kontinuierlich strömenden Metadaten eines (welchen? gehackten? aktuell operierenden?) Netzwerkprotokolls sowie einer textlichen, essayistischen Auseinandersetzung in dem mit 48,- EUR recht kostenintensiven Katalog zur Ausstellung.

Nähe Hamburger Bahnhof, Berlin
Nähe Hamburger Bahnhof, Berlin

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Julian Rosefeldts „Manifesto“ als illokutionärer Akt: Ich offenbare (Verb), offenkundig (Adj.), unbestreitbar (Adv.)

In seiner neuesten Filmarbeit „Manifesto“ verschreibt sich Julian Rosefeldt (Jhg. 1965) dem Inhalt nach der Gattung und Textsorte Manifest, wie sie eng verbunden mit der künstlerischen Avantgarde und deren Proklamationen von Traditionsab- und Neuaufbrüchen auftritt (allein für die Zeit zwischen 1900 und 1947 zählen Asholt/Fähnders in „Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde“ von 1995 über 250 künstlerische Manifeste). Rosefeldt, Professor für digitale und zeitbasierte Medien an der Münchener Akademie der Bildenden Künste, hat für diese Filmarbeit eine Auswahl von 54 Manifesten getroffen, deren Quellen er im Eingangsbereich seiner aktuellen Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin mittels eines papier-gestapelten Handouts auf Hochglanzpapier offen legt und zur Mitnahme ermöglicht: vom Kommunistischen Manifest von 1848 über Manifeste des Dada, Futurismus, Surrealismus, Suprematismus, Kreationismus (aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts) bis hin zu Situationismus, Conceptual Art, Fluxus, No Manifesto und Dogma 95 (in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts). Durch das Montieren historischer Originaltexte von Künstlern, Architekten, Choreografen und Filmemachern (wie Filippo Tommaso Marinetti, Kasimir Malewitsch, André Breton, Claes Oldenburg, Yvonne Reiner, Adrian Piper, Sol LeWitt, Robert Venturi, Lars von Trier und Werner Herzog) sind im Ergebnis 13 themen-komprimierte Monologe entstanden, die die Hybridität ihrer Ausgangstexte aus realistischer Spekulation, politischer Propaganda, theoretischer Programmatik, sprunghafter Argumentationsstrenge, literarischer Poetik und ästhetischer Agitation, immer mit einem oppositionellen Gestus ausgestattet, beibehalten.

Rosefeldt hat diese Texte zum Teil ins Englische übersetzen lassen und, indem er sie verschiedenen Arbeits- und Lebenswelten unserer Gegenwart und mit ihnen zugehörigen ProtagonistInnen zugeordnet hat, typologisiert: So spricht eine „tätowierte Punkerin“ zum Kreationismus/Estridentismus, eine „Börsenmaklerin“ zum Futurismus, ein „Obdachloser“ zum Situationismus, eine „konservative Mutter mit Familie“ zu Pop Art, eine „Puppenspielerin“ zum Surrealismus und eine „Nachrichtensprecherin“ mit ihrer „Außenreporterin“ zur Konzeptkunst. Im dunklen Raum des Hamburger Bahnhofs sind diese Text-Bild-Positionen nun als Projektionen auf 13 Leinwänden in Form einer multikanalen Installation plaziert, die sich zueinander räumlich und inhaltlich in Beziehung setzt. (Es existiert außerdem eine 90 minütige, lineare Filmversion, die auf Festivals und 2018 im Bayrischen Rundfunk gezeigt werden soll). Jede einzelne Filmszene ist dabei zunächst für sich geschlossen und erzählt mittels ihrer Bilder aus der jeweiligen Lebenswelt der in dieser Lebenswelt situierten Person. D. h. die Manifeste werden nicht nur als Text rezitiert, sondern sie sind transponierter Bestandteil einer Szenerie, wenn beispielsweise die russische Choreografin ihren TänzerInnen die Forderungen des Fluxus und der Performance auf einer Tanzprobe nahezu einpeitscht, eine Lehrerin ihren GrundschülerInnen Forderungen zum Film in ihre Hefte diktiert oder eine Galeristin die Gäste eines Empfangs Kandiskys und Marcs Forderungen der Blauen Reiter (1912) als Rede verliest. Die verbildlichten Texte werden über einen sensiblen Kameraeinsatz ins Bewegtbild gebracht: die Räume werden schleichend, gleitend, verzögernd abgetastet, die Kamera nähert sich dem weiteren Geschehen meist aus der Vogelperspektive und fährt skulptural über die Oberflächen des Sicht- und Wahrnehmbaren, der Architekturen, der Requisiten und weiter der Körperhaltungen, der Gesichtshaut, der Mund- und Halspartien, der Fingernägel der Protagonistin – wie ein Körperscanner, der das zugehörige Subface unter dem Surface zu erfassen versucht.

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Julian Rosefeldt, Manifesto, 2014/2015, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Dürer und Kentridge als bildwissenschaftliche und museologische Trigger

Wie stellen Bilder und mit ihnen ihre Präsentationsbedingungen, z. B. in einer Museumsausstellung Erkenntnis, Sinn und Evidenz her?, fragt das Transferprojekt „Evidenz ausstellen. Praxis und Theorie der musealen Vermittlung von ästhetischem Verfahren der Evidenzerzeugung“ der FU Berlin und geht hierfür eine Kooperation mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin in den Räumen des Berliner Kulturforums ein.

Eine Ausstellung als konkreter Fallstudie soll zu der grundlegenden Hypothese des initiierenden Forschungskollegs „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“ arbeiten, dass Bilder zweifach bestimmt seien, erstens durch einen Bezug zur sog. Wirklichkeit in Form des Verfahrens der Repräsentation, zweitens durch eine autoreflexive Eigenwirklichkeitserzeugung: D. h. Bild/Evidenz ist die Entfaltung von Eigenwirklichkeit und Wirklichkeitsbezug sowie deren Wechselseitigkeit. Und diese zweifachbestimmte bildeigene Evidenz kann wiederum durch museale Präsentations- und Vermittlungsformen fortgesetzt entfaltet werden, indem hierdurch Sinnzusammenhänge und Erkenntnisgewinne hergestellt werden.

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Bei diesen konzeptuellen und kontextuellen Grundlagen handelt es sich allerdings um den wissenschaftlichen Subtext, um das Programm, auf deren Sichtbarkeit die Ausstellungsmacher in der Ausstellung „Double Vision: Albrecht Dürer & William Kentridge“ verzichten, einmal abgesehen von einem die Ausstellungsräume vermessenden Längsspiegel, der das Geschehen symbolisch durch einen „beobachtenden“ Blick reflektiert, hinter dem aber auch beobachtende und notierende KunsthistorikerInnen vermutet werden könnten.

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continue: Fire and Forget

Mit Fire and Forget. On Violence ist die aktuelle Ausstellung (bis zum 30.8.2015) in den Berliner Kunstwerken überschrieben und bezieht sich damit auf eine militärische Formulierung, die die Fähigkeit von Waffensystemen bezeichnet, Ziele ohne weitere Unterstützung etwa eines Schützen, d. h. selbstständig z. B. durch eine Infrarotlenkung oder eine Zielsuchlenkung ansteuern zu können. „Fire and Forget“ stellt damit semantisch auf eine Distanzierung zwischen Gegnern, auf fehlende Tötungshemmung oder Mitgefühl, auf eine Abstrahierung und damit auf die kulturpessimistische These einer verloren gegangene Verhältnismäßigkeit der aktuellen Kriegsführungen ab. Die vier thematisch und räumlich ordnenden Motive der Ausstellung – Grenze / Affekt / Vergessen, Erinnern, Verzeihen / Ereignis – verdeutlichen allerdings neben der Auswahl der künstlerischen Arbeiten, dass diese semantische Konklusion (oder war es die Ausgangshypothese der Kuratoren?) nicht eingelöst, ja geradezu unterlaufen wird und es sich bei dieser Phrase vielmehr um einen behauptenden und aufmerksamkeitsgenerierenden, sich aber bei näherer Betrachtung nicht einhaltbaren, ja phantasmatischen Slogan handelt.

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Einsichten infolge kuratorischer Behandlung: Archiv vrs. Betrieb

Zwei Ausstellungen im Münchner Haus der Kunst sind derzeit anzuschauen, die zunächst recht different wirken, auf den zweiten Blick aber konzeptuelle Gemeinsamkeiten im Umgang mit Welt, Kunst, Konzeption, Raum und White Cube offenbaren:

Im Erdgeschoss ist Ivan Kozaric ausgestellt, 1921 in Kroatien geboren, im Obergeschoss Joelle Tuerlinckx, Jahrgang 1958 aus Brüssel.

Ivan Kozaric, der in der (westeuropäisch orientierten) Kunstgeschichte ohne Zweifel als Konzeptkünstler mit Anleihen zur Land art und Minimal art eingeordnet werden kann.

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Joelle Tuerlinckx, die neokonzeptuell auf den Spuren Marcel Brooodthaers die Kraft, Materialität und Formalität des Mediums Ausstellung untersucht.

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Die Psychoanalyse muss für Louise Bourgeois erfunden worden sein…

Durchsichtige Glaskugeln auf Stühlen und Hockern, eine hängende Stuhlsammlung, inmitten eine Beinprothese, ein Folterstuhl, eine Kinderschaukel, von einem Gobelin umrahmt, ein liegender Mamorblock mit Ohren (?), immer wieder Spiegel und dadurch Blickachsen, Parfümfläschchen und Glasfiguren, das alles hinter Gittern in käfigartigen Zellen:
„Passage dangereux“, von 1997.

Daneben:
Auf vertikalen Knochen hängende Kleidchen („Untitled“, 1996),
sich krümmende Stoffpuppen in Glaskästen mit Gitterrückwand („Cell XXII, Portrait“, 2000),

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„Die Stadt gehört doch eigentlich uns allen…“

Letzter Termin ist vorerst der 16.4.2010 und zwar „mittendrin“ im praktizierten „Recht auf Stadt“ in Hamburg, das hier seit 2008 in Anspruch genommen wird. Christoph Schäfer, in Hamburg lebender Künstler, wird seine Publikation „Die Stadt ist unsere Fabrik“, ein Bildessay in 158 Zeichnungen (verlegt bei Spector Books Leipzig), im Hamburger Gängeviertel präsentieren, das seit August 2009 von 200 Künstlern besetzt wird.

In sechs Kapiteln erzählt Schäfer in unterschiedlichen Dichten und Geschwindigkeiten die Geschichte des Urbanen: Beginnend vor 60.000 jahren – vor 5.000 jahren dann die Erfindung der Stadt (als verdichtete Unterschiedlichkeit), Uchisar und Ischtar Tempel in Assur, über London, Paris und Kowoloon walled City… Angelehnt an Henri Lefebvres Theorie der Revolution der Städte (frz. 1970, dt. 1990), nach der Raum ein soziales Produkt sei und erst durch soziales Handeln entstehen würde, sich hieraus zwingend etwa das Recht der Anwesenheit oder das des Zugangs ergebe (Holm), zeichnet sich Schäfer mit Aquarellstiften vom Ur-Schlamm bis in die Hamburger „Recht auf Stadt“ Bewegung und versteckt nicht seine Abneigung der „glitschigen postfordistischen Verhältnisse“.

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