Playtime bezeichnete das Münchener Lenbachhaus ihre beginnende (und auf 3 Jahre ausgerichtete) Kooperation mit der Rückversicherungs-Gesellschaft Munich Re, startend mit dem Thema „Arbeit“ im Format einer Kunstausstellung und nimmt damit titelgebend Bezug auf den französisch-italienischen Filmklassiker von Jacques Tati, der 1967 für die Zukunft uniforme, konforme, sterile, unpersönliche Arbeitswelten inmitten von Glas- und Stahlkonstruktionen prognostizierte.
Playtime thematisiert die Normativitäten und Imperative aktueller (Arbeits-) Welten und macht sie ansichtig mit
– Charles Chaplin, Modern Times, 1936
– Jacques Tati, Playtime, 1967
– Martha Rosler, Flower Fields, 1974
– KP Brehmer, Seele und Gefühl eines Arbeiters, 1978
– Allan Sekula, School is a Factory, 1978/80 und Untitled Slide Sequences, 1972
– Fischli&Weiss, How to Work Better, 1991
– Beate Engel, Burnout Machine, 2014
– Harun Faroki, Ein neues Produkt, 2012
– Darren Almond, Perfect Time, 2012
– Andreas Siekmann, die ökonomische Macht der öffentlichen Meinung & die öffentliche Macht der ökonomischen Meinung. Denkfabriken, Think Tanks und die Privatisierung der Macht, 2013.
Playtime überträgt die Implikationen der Arbeitswelten auch auf die Kunstwelt, thematisiert bei
– Richard Serra, Hand Catching Lead, 1968 und Hand Scraping, 1968
– Mladen Stilinovic, Artist at Work, 1978
– Sharon Lockhart, Lunch Breack Installation, 2003
– Stephan Janitzky, Grimes, 2009-2013
…oder in die persönliche Lebenswelt, thematisiert bei
– Martha Rosler, Semiotics of the Kitchen, 1975
– Mierle Laderman Ukeles, I Make Maintenance Art, 1976
– Tehching Hsieh, One Year Performance, 1981
– Francis Alys, Ambulantes, 1992-2002 und Sleepers, 2003
– Michaele Melián, 12 Zeichnungen aus der Serie Tomboy, 1999-2004
…oder plaziert sie zwischen den Welten bei
– Mel Bochner, Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to Be Viewed as Art, 1966
– Monica Bonvincini, What Does Your Wife / Girlfriend Think of Your Rough and Dry Hands? 1999 ongoing
– Christoph Schlingensief, Chance 2000, 1998
– Peter Piller, Bürozeichnungen, 2000-2004
– Andrea Fraser, Untitled, 2003.
Leistungsdruck, Flexibilisierung, Eigenverantwortlichkeit, Kreativitätszwang, ökonomische Zielsetzungen und neoliberale Denkstrukturen haben sich, so erzählt die Ausstellung, auf bzw. in alle Bereiche ausgeweitet.
Das Literaturspektrum zu diesem Thema ist bereits breit angelegt. Hier einige Empfehlungen:
– Michel Foucault 2006: Biomacht, Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. Vorlesungen am Collège de France 1978/1979.
– Boltanski/Chiapello 2001: Der neue Geist des Kapitalismus
– Giorgio Agamben 2002: Homo Sacer
– Andreas Reckwitz 2012: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung.
Zwei weitere Dimensionen – und hier wechsele ich vom Format der informierenden Systematisierung in das Format der Kunstkritik – sind neben der Thematisierung von Disziplinierungen und Normativierungen durch die Ausstellung zu beobachten: das Narrativ der Ausstellung und das Performativ der Ausstellung.
Das Narrativ der Ausstellung weist dramaturgisch auf eine unentrinnbare Situation hin: Es existieren inhaltlich, inszenatorisch, kuratorisch keine Verhandlungsspielräume, keine Veränderungsmöglichkeiten; es werden keine Alternativperspektiven, kein Spektrum an Erzählungen angeboten; es werden keine fragmentierten oder plurale Absender oder Adressaten konstruiert, es gibt nur ein einziges, normativiertes Wir, das beklagenswert betroffen sei; es wird keine selbstreferentielle Konstruktionsdimension der Ausstellung bzw. der Ausstellungsthese eingezogen. Stattdessen essentialisiert die Ausstellung und präsentiert ausschließlich eindeutige, rückbestätigende Stellungnahmen im Sinne des dominierenden Diskurses. Das Lenbachhaus nimmt sich somit eines durchaus noch immer aktuellen, zeitgenössischen Themas inklusive seines kritischen Impetus an, stellt es allerdings aus, konserviert es, dampft es ein, statt es auf der Höhe der Zeit zu verhandeln. Ansichtig wird hier, wie durch den White Cube Regulierungen, Normativierungen, Konservierungen vorgenommen werden.
Das Performativ der Ausstellung schließt sich mit dem Narrativ zusammen: Wie in einer Tino Sehgal-Arbeit performiert das männliche, uniformierte Ausstellungspersonal die hier thematisierten und narrativierten Disziplinierungen: Minimalabweichungen von einer offenbar kommunizierten Norm werden reglementiert (nicht zu dicht an die Kunst herantreten) oder rückgeführt (Schliessfachtüren sind anzulehnen), Fotografien, selbst von Schildern oder Begleittexten sind nicht erlaubt (alles fällt unter das zu schützende Urheberrecht), erlaubt wären aber eigene Notizen… Dafür könne der Katalog als E-Book kostenlos heruntergeladen werden, allerdings bedarf ein E-Book eines E-Book Readers…:
Operation Bio-Macht – unentrinnbar in 3 Schritten.
(Ein feuilletonistischer Nachsatz wäre: Das kooperierende Unternehmen rückversichert vollumfänglich.)