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Mikropolitiken groß gemacht.

„The Great Repair“ in der Akademie der Künste Berlin, 14.10.2023 bis 14.1.2024

Der Ausstellungsparcour begann unerwartet: Statt die imposante freistehende Haupttreppe zu den Ausstellungsräumen innerhalb des Kubus (errichtet 1960, projektiert von Werner Düttmann) zu nehmen, wurden die Besucher*innen zu einer erstmalig geöffneten, zweiflügeligen Funktionstür geführt, die sonst durch die Tische des Cafés Düttmann verstellt ist. Dieser Para-flow führte durch einen Funktionstrakt, quasi durch einen Teil des Maschinenraums der Akademie der Künste am Hanseatenweg, der Öffentlichkeit ansonsten nicht zugänglich. 

Neben ersten Fotografien zielte der Aufschlag in diesem Nebentrakt auf eine Serie architektonischer Interventionen, mit denen der Düttmannbau selbst zum Objekt der Ausstellung wurde. An der ungedämmten Außenwand zeigten sich, so informierte eine unscheinbare A4-formatige Tafel in der Typo des Ausstellungsprojektes, „bauphysikalische Vorgänge: Die in der Wand kondensierende Luftfeuchtigkeit trifft auf die Wärme des Heizkörpers und die Luftzirkulation zwischen Heizkörper und Fenster. Das führt zu kleinen Spannungsrissen an der Wandoberfläche“. Hierbei handelte es sich um eine von neun Tafeln, verteilt im gesamten Ausstellungsraum, die Auskunft zu Analyse- und Interventionsanmerkungen des Architekturbüros Brenne gaben, das zwischen 2009 und 2012 die Renovation der Akademie der Künste verantwortete. Für diesen konkreten Fall wurde vorgeschlagen: „Um den sichtbaren Schaden zu beheben, müssten die lose Farbe abgeklopft, die Risse mit einem dampfdurchlässigen Putz ausgebessert und eine Ausgleichsschicht aufgetragen werden.“ Und weiter: „Eine langfristige Lösung würde eine energetische Bilanzierung der Bauteile im Gesamtgefüge erfordern, die Aufschluss über bauphysikalische Zusammenhänge gibt.“ 

Einen besseren Auftakt hätte das Ausstellungsprojekt nicht setzen können, um den Vorgang des „Reparierens“, so das Thema der Ausstellung in dem Blick zu nehmen, indem es erstens den Vorgang des „Reparierens“ selbst thematisierte und zweitens in optische, repräsentative, punktuelle Ausbesserungen einerseits und grundlegende, substanzielle, systemische Reparaturen andererseits differenzierte. Damit signalisierten diese interventionistischen Tafeln in Kombination mit einem abgleichenden Blick in situ, dass Reparaturen offenbar ortsspezifisch, kontextuell, prozessual, personenabhängig, mehrdimensional ausfallen, dass immer auch mehr als eine Lösung möglich ist und dass sie mit Entscheidungen zusammenhängen, die getroffen werden können bzw. müssen. 

Dieser Auftakt wurde im großen Saal der Akademie mit zwei Arbeiten aus der Kunst flankiert: Rechter Hand das „Maintenance Manifesto“ der New Yorker Konzeptkünstlerin Mierle Laderman Ukeles, in dem sie sich 1969 dafür ausgesprochen hat, tägliche Alltags- und Pflegehandlungen, Wartungs- und Sorgearbeit als Teil ihrer Kunst und damit als Kunst anzuerkennen: „Now I will simply do these maintenance everyday things, and flush them up to consciousness, exhibit thema, as Art.“ Linker Hand war die Arbeit von Zara Pfeifer zu sehen, die im Auftrag von „The Great Repair“ die Arbeitsutensilien der Reinigungsfirma ausstellt, die für die Pflege der Akademie der Künste zuständig ist. Ukeles bedankte sich im Rahmen ihrer Arbeit „Touch Sanitation“ zwischen 1979 bis 1980 bei der städtischen Müllabfuhr von New York, indem sie jeden einzelnem Arbeiter mit Dank die Hand schüttelte – Pfeifer zeigte mit „Maintaining the Akademie der Künste“ installativ die Pflegearbeit der Firma „Kleine Reinigungs- und Dienstleistungsgesellschaft“ und nannte es „Verkörpertes Wissen“. Damit endete aber auch schon der interventionistische, ortsspezifische und situative Bezug zur AdK.

Im Verlauf der Ausstellung in den drei Hallen der Akademie folgten nun 40 Einzelpositionen aus Kunst und Architektur, die das Thema „Repair“ anfassbar und als neues Gestaltungsparadigma greifbar machen sollten – Positionen, die allerdings zum Teil auch in anderen Themenzusammenhängen, wie zum Beispiel im Rahmen ökologisierender Mikropraktiken hätten gezeigt werden können. Thematisch handelte es sich – hier eine Auswahl – um die Pflege und Reparatur von Stahlbeton, um liebevoll reparierte Stühle, um eine kontinuierliche Haussanierung in Tokio zeitgleich zu dessen Weiternutzung und einer Familiengründung, um akustische Vogelscheuchen im Westjordanland, die Wildschweine von Ernten fernhalten sollen, um Müllsammelaktionen am Atitlán-See in Guatemala, um Protestaktivitäten im Rheinischen Revier, der Region um den Tagebau Hambach gegen die Kommerzialisierung von erneuerbaren Energien durch RWE, um das selbstständige Herstellen und Montieren von Schildern, die das Territorium Maraiwatsédé in Brasilien als zu schützendes Land ausweisen oder um das Vernähen von abgetragenen Saris und Lungis zu mehrlagigen Decken in Bangladesch. Ein 21-minütiges Video informierte über die Bombardierung des Theaters von Mariupol durch russische Flugzeuge im März 2022, die Forensic Architecture mittels Zeugenaussagen, Social-Media-Posts, Videos und Fotografien als Kriegsverbrechen dokumentierte. Diese Dokumentation kann als Beweismittel vor internationalen Gerichten oder als Quelle für dessen Rekonstruktion dienen. Unterteilt waren die künstlerischen, architektonischen und aktionistischen Beiträge in Einzelkapitel wie „Mit dem Alltag beginnen“, „Wissenswelten dekolonisieren“, „Werkzeuge für alle“ und „Die Narben sichtbar lassen“.

Der finale Saal der Akademie, in denen die Besucher*innen durch einen neu installierten Bypass über den bepflanzten Innenhof  gelangten, diente der Frage nach den Praktiken und Instrumenten im Dienste der Reparatur: Wie kann die Architektur selbst, ihre Lehre und Autor*inschaft, ihre Hochschulen, Büros und Baustellen transformiert werden? Hierzu informierten unter anderem ein Reparatur-Kurs, ein globales Moratorium, mit dem das Bauen gänzlich ausgesetzt würde, die Gründung der Grassroot-Gewerkschaft UVW-SAW für Architekturschaffende in Großbritannien und abschließend ein „Demolition Moratorium“, das den Erhalt oder Umbau aller Gebäude und zwar erst nach einer erfolgreichen sozioökologischen Bewertung auf der Grundlage des Gemeinwohls forderte.

Die Ausstellungsmacher*innen, und hierbei handelt es sich um Architekt*innen und Stadtforscher*innen, nannten ihr Projekt – ein Projekt von ARCH+ gGmbH, in Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin, dem Departement für Architektur der ETH Zürich und der Faculté des Sciences Humaines der Universität Luxemburg – „The Great Repair“. Mit der Ausstellung schloss ARCH+ an den diesjährigen Architekturbiennalebeitrag im Deutschen Pavillon an.

Für die gezeigten Raumpraktiken wirkte der Titel unpassend verhoben. Warum eine neue Epoche, eine große Erzählung ausrufen, wenn es sich um bereits existierende, aber eben minoritär behandelte Praktiken handelt, die entdeckt, praktiziert, gewertschätzt werden und zirkulieren müssen? „The Great Repair“ erinnert an „The Great Reset“, der Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF), die plante, die Weltwirtschaft und die Weltgesellschaft im Anschluss an die COVID-19-Pandemie neu zu gestalten. Vorläufer hierfür waren „The Great Transformation“ des Wirtschaftssoziologen Karl Polanyi von 1944, in dem er den Wandel der westlichen Gesellschaftsordnung im 19. und 20. Jahrhundert am historischen Beispiel Englands behandelte. Und so werden aktuelle Vorhaben in Superlativ-Logik „The Great Financialization“, „The Great Regression“, „The Great Reversal“ oder auch „The Great Acceleration“ genannt – eine Logik, der die hier versammelten Mikropolitiken und einer sensiblen, poetischen, praxeologischen und ausdifferenzierenden Auffaltung des Themas zuwiderlaufen. Warum nicht einfach „Reparieren!“, wie es im Vermittlungsprogramm der AdK in Form von wöchentlichen Workshops von Reparaturpraktiken praktiziert wurde? Die Dekonstruktion grundlegender Logikprozesse, etwa von Geschichte, Medien und Institutionen, wären hilfreich, um das Anliegen, einem neuen Gestaltungsparadigma Kraft zu verleihen, zu unterstützen.

Weitere Links:

https://www.adk.de/de/programm/index.htm?we_objectID=65844

https://www.adk.de/de/programm/?we_objectID=65644

Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Hans Sauer Stiftung, die Wüstenrot Stiftung und Pro Helvetia.

Das Experimental Stipendienprogramm für junge Architekturforschende wird gefördert durch EXPERIMENTAL.

Künstlerische Leitung: Florian Hertweck, Christian Hiller, Markus Krieger, Alex Nehmer, Anh-Linh Ngo, Milica Topalovic

Kunstgeschichte – sezieren, aber nicht anfassen.

Zur Ausstellung „Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930“ im HKW Berlin.

Gleich einer der Einführungstexte in die Ausstellung „Neolithische Kindheit. Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930“  im Berliner Haus der Kulturen der Welt, auf hohen Wandtafeln platziert, startete die Oszillation:

„Die Gegenwart um 1930 war weltweit geprägt von Grundlagenkrisen. Diese Krisen destabilisierten soziale Ordnungen ebenso wie überkommene Kategorien des Wissens. […] Politische und gesellschaftliche Konflikte nahmen globale Dimensionen an. […]“ Wer „Gegenwart“ gelesen und „1930“ überlesen hatte, hätte annehmen können, es ginge um eine aktuelle Bestandsbeschreibung: Grundlagenkrisen, Destabilisierungen sozialer Ordnungen und Wissenskategorien, Konflikte, globale Dimensionen. Eine Büchervitrine (A01) hätte vielleicht etwas irritiert, aber das heutige Krisenbewusstsein bestätigt: Die Krise der Psychologie, der Jugend, der bürgerlichen Kultur, unserer Zeit, der internationalen Arbeiterbewegung, der europäischen Wissenschaften …, eine weitere Publikation versprach – auch das heute üblich – „Wege aus der Krise“. Bei diesen Buchtiteln handelte es sich allerdings, durch das Layout sichtbar, nicht um heutige, sondern um Veröffentlichungen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre.

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Wie eine Ausstellung zur Öffentlichkeit Öffentlichkeit abschleift

Sucht man den Begriff Demopolis in der Suchmaschine Startpage, wird man zunächst auf den Wikipedia-Eintrag zur US-amerikanischen Stadt Demopolis in Alabama geleitet, ein Ort, der von einer Gruppe Bonaparten, also Anhänger der napoleonischen Diktatur, gegründet wurde, die nach dem Sturz Napoléon Bonapartes in die Vereinigten Staaten flüchteten. Bereits der zweite Eintrag führt zu der Webpräsenz der Ausstellung Demo:Polis in der Berliner Akademie der Künste, die im Untertitel „Das Recht auf Öffentlichen Raum“ heißt. (Die Reihenfolge in der Suchmaschine Google ist umgedreht.)

Mit dem Begriff Demo:Polis, also mit einem Doppelpunkt als Wort- bzw. Raumteiler oder bei URL’s als Trennung des Protokolls als Kontexthinweis (http, file oder ftp) vom Pfad zur Verortung der genauen Ressource (adk-berlin.de oder artlabor.eyes2k.net), noch dazu in Großbuchstaben (DEMO:POLIS) ist den Kuratoren Wilfried Wang und Barbar Hoidn, gemeinsame Gründer des Berliner Architekturbüros Hoidn Wang Partner die Kreation eines Mems oder auch eines Hashtags, also eines Erhöhungszeichens gelungen, das mit dem integrierten Doppelpunkt den semantischen Raum der Informatik öffnet. Und so heißt es denn auch in der Ausstellungsankündigung, dass hier nicht nur der „reale“ Raum, sondern auch der „virtuell-öffentliche“ des Internets Gegenstand des Interesses sei – eine Ankündigung, die sich in der Ausstellung selbst leider nicht einlöst, abgesehen von einer optisch reizvollen, installativen Projektion von kontinuierlich strömenden Metadaten eines (welchen? gehackten? aktuell operierenden?) Netzwerkprotokolls sowie einer textlichen, essayistischen Auseinandersetzung in dem mit 48,- EUR recht kostenintensiven Katalog zur Ausstellung.

Nähe Hamburger Bahnhof, Berlin
Nähe Hamburger Bahnhof, Berlin

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