Das kuratorische Framing Kapoors durch Rosenthal

Im Berliner Martin Gropius Bau ist derzeit eine Werkschau von Anish Kapoor zu sehen, dem Turner-Preisträger aus London indischer Herkunft (Jhg. 1954). Kapoor wurde nach seinem Studium am Londoner Chelsea College of Art and Design bekannt mit seinen Skulpturen aus Vaseline, Wachs und Farbpigmenten, aber auch mit seinen Stahlkonstruktionen etwa für die Olympischen Spiele 2012 in London oder zuvor 2008 für die Deutsche Guggenheim.

Norman Rosenthal, Jhg. 1944, britischer Kunsthistoriker, kuratierte 30 Jahre Aussstellungen in der Royal Academy of Arts in London, nachdem sich die RA 2004 von ihm trennte, er aber 2009 noch eine Anish Kapoor Werkschau zusammenstellte. Diese Kooperation ist nun nach Berlin in den Gropius Bau gewandert, hier werden im Erdgeschoss ganze Werkgruppen seiner Pigment-, Wachs-, Harz-, Vaseline-, Spiegel-, PVC-, Stein-, Zementskulpturen gezeigt.

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Im Lichthof ist die In-Situ-Installation „Symphony for a Beloved Sun“ präsentiert, im Rahmen derer vier summende, im Raum angeschrägte Förderbänder dunkelrot gefärbte Wachsquader in die Höhe fahren und diese dann in Nähe einer ebenfalls dunkelroten, runden Scheibe („a Beloved Sun“) in die Tiefe fallen.

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Neben vielen farb-, material-, formikonografischen Bezügen, kunsthistorischen Verweisen auf die Minimal Art, Land Art, Op Art oder auch Conceptual Art, bedeutungsaufgeladen über die Titel („The Death of Leviathan“, „Descent into Limbo“, „When I am Pregnant“, „Dirty Corner“) und über die kontextuell, räumlichen Bezüge zum Neo-Renaissance-Gebäude und zum naheliegenden Dokumentationszentrum Topographie des Terrors drängt sich eine weitere Perspektive auf: das kuratorische Framing Kapoors durch Rosenthal.

Die kuratorische Strategie, mindestens 3 Einzelwerke in Werkgruppen zusammenzufassen, die durch das verwendete Material bestimmt sind, dabei nicht auf Raumbezüge zu achten, sondern zu Lasten des (Frei-)raums und zu Gunsten der Materialmenge kontextlos zu präsentieren, die Rezeption des Betrachters durch Abstandsmarkierungen und gelb-schwarze Hinweisschilder zu regulieren (Beschmutzungsgefahr des Publikums durch das Wachs, zu befürchtende Hörschäden, Beschädigungsgefahr der Oberflächen der Skulpturen, …) hinterlässt eine eigenwillig bezuglose Materialschlacht, die vielmehr die Techniken des White Cube, aber auch die einer modernen (statt zeitgenössischen) kuratorischen Behandlung ansichtig macht.

Ein Beispiel: Während 1992 auf der documenta IX noch die Besucher über einer pudrigen kreisrundes Erdform hockten und imaginierten, in ein unendlich tiefes Loch zu blicken, ist „Descent into Limbo“ in der Berliner Version durch eine Glasplatte vom Betrachter abgetrennt. Hier suggeriert ledigich der Hinweis „Gefahrenbereich Zutritt verboten! Danger Do not enter!“ eine Tiefe im Boden, eine Drei- statt eine Zweidimensionalität.

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An Geld und technischem Equipment fehlt es nicht. Lediglich an einer zeitgemäßen, spannenden, relationalen, bezüglichen und hochaktuellen Inszenierung, wie sie allerdings beim Leviathan gelungen ist.

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Noch bis zum 24.11.2013 zu sehen.

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