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Dürer und Kentridge als bildwissenschaftliche und museologische Trigger

Wie stellen Bilder und mit ihnen ihre Präsentationsbedingungen, z. B. in einer Museumsausstellung Erkenntnis, Sinn und Evidenz her?, fragt das Transferprojekt „Evidenz ausstellen. Praxis und Theorie der musealen Vermittlung von ästhetischem Verfahren der Evidenzerzeugung“ der FU Berlin und geht hierfür eine Kooperation mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin in den Räumen des Berliner Kulturforums ein.

Eine Ausstellung als konkreter Fallstudie soll zu der grundlegenden Hypothese des initiierenden Forschungskollegs „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“ arbeiten, dass Bilder zweifach bestimmt seien, erstens durch einen Bezug zur sog. Wirklichkeit in Form des Verfahrens der Repräsentation, zweitens durch eine autoreflexive Eigenwirklichkeitserzeugung: D. h. Bild/Evidenz ist die Entfaltung von Eigenwirklichkeit und Wirklichkeitsbezug sowie deren Wechselseitigkeit. Und diese zweifachbestimmte bildeigene Evidenz kann wiederum durch museale Präsentations- und Vermittlungsformen fortgesetzt entfaltet werden, indem hierdurch Sinnzusammenhänge und Erkenntnisgewinne hergestellt werden.

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Bei diesen konzeptuellen und kontextuellen Grundlagen handelt es sich allerdings um den wissenschaftlichen Subtext, um das Programm, auf deren Sichtbarkeit die Ausstellungsmacher in der Ausstellung „Double Vision: Albrecht Dürer & William Kentridge“ verzichten, einmal abgesehen von einem die Ausstellungsräume vermessenden Längsspiegel, der das Geschehen symbolisch durch einen „beobachtenden“ Blick reflektiert, hinter dem aber auch beobachtende und notierende KunsthistorikerInnen vermutet werden könnten.

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Bewegt Euch!

Nachdem in den bisherigen 23 Jahren der Intendanz Frank Castorfs die produktionsästhetische Ebene erprobt und die Multimedialität der Inszenierungen experimentell auf der Volksbühne (Liveperformance, Video, Bühne, Sound, Licht) ausdifferenziert wird, scheinen Castorf/Neumann ihre aktuelle Inszenierung der Brüder Karamasow nun auf das Rezeptionsverhalten ihres Publikums auszurichten und sowohl die ästhetische Erfahrung (1) als auch den theoretisierenden Umgang (2) herauszufordern.

Nach „Dämonen“, „Erniedrigte und Beleidigte“, „Der Idiot“, „Schuld und Sühne“ und „Der Spieler“ hat die Berliner Volksbühne Dostojewskis letztes großes Werk, geschrieben zwischen 1878 und 1880, in der Inszenierung von Frank Castorf auf die Bühne von Bert Neumann gebracht: Vier Brüder im Kampf um und mit ihrem Vater Fjodor, eine Geschichte um den Mord an dem Vater als ein erzählerisches Geflecht aus Schuld, Moral, Religion und Religionsgeschichte, Psyche, Familienaufstellung, Politik, Geschlecht, Glaube, Erziehung, Bildung, Emanzipation und Kultur. (Inhaltliche Ausdeutungen hier und hier, Szenenbilder hier).

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Diese Geschichte wird im Haus der Volksbühne in sich an- und ineinander anschließenden Räumen inszeniert: in einer für das Publikum blick-unzugänglichen Sauna mit dampfendem Edelstahlrohr und anderen Holzverschlägen, im Esszimmer eines Jagdhauses in der weiten Tiefe der Bühne, in das das Publikum in der Ferne durch die Fenster einsehen kann, in einem russisch-orthodoxen Gebetsraum, der sich irgendwo im Haus der Volksbühne befindet, in einem Gartenpavillon, der beinahe als einziger „Raum“ mit direkten Blicken zugänglich ist, davor ein Wassergraben, den alle Schauspieler durchqueren (müssen), ein Wohncontainer im Rücken des Publikums, dessen zwei Etagen mit einer Feuertreppe verbunden sind, die eindringlich metallische Geräusche erzeugt, wenn die Schauspieler hoch- und runterlaufen, runter- und hochlaufen, deren Innenleben aber wie das der uneinsichtigen Sauna oder des Gebetsraumes oder der vielen Gänge neben der Bühne, auf dem Dach oder im Keller durch live gestreamte Videobilder auf einer großen, schräg auf der Bühne installierten Leinwand zu sehen sind. Die Bühne selbst, die zum Teil auch vom Publikum besetzt ist, ist größtenteils leer, denn sie löst sich in einen, mit schwarzer Folie ausgelegten Längsraum durch den Saal auf, in dem Bewegung, Geschwindigkeit, Tempo gemacht werden können. Überall und immerzu befinden sich alle in einem dauerhaften Transit und in permanenter Mobilität und Überstürzung – außer dem Publikum.

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Statt „furios sperrig“* galaesk smart – Vorschläge zum 27. Jubiläum von Texte zur Kunst

Irgendwann im Laufe des frühen Abends, zu Beginn von Teil 3 der „Gala Conference“, fragte ich mich, wie wohl René Pollesch das 25. Jubiläum von Texte zur Kunst inszeniert hätte und mit welchen inszenatorischen Mitteln ihm die unfreiwillige Situationskomik des Finales auf der Bühne des Berliner Festspielhauses gelungen wäre. Spätestens da war meine Verwunderung über den dominierend affirmativen Umgang der eingeladenen ReferentInnen mit der Geste einer Selbstermächtigung „des Kanons“ durch die GastgeberInnen („The Canon“, so das Thema der 100. Jubiliäumsausgabe) auf eine Beobachtung der inszenatorischen Mittel dieses Nachmittagabends (von 14 bis 19:45 Uhr) am 27. November 2015 verschoben.

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Pollesch hätte die Kunstprofessorin Michaela Meise am Akkordeon mit einer deutschsprachigen Übersetzung eines Mikis-Theodorakis-Songs über Arbeitslosigkeit nicht melancholischer auf die Bühne bringen können. Er hätte auch den Conferencier des Abends in ein Glittersakko gesteckt (großartig in der Rolle des Fließbandmoderators Andreas Beyer, Professor für Kunstgeschichte in Basel) und er hätte auch versuchen können, Dirk von Lowtzow, Sänger bei Tocotronic und redaktionelles Beiratsmitglied von TzK, die Rolle eines sentimental smarten Singersongwriters abzuringen. Selbst das zumeist jugendliche Publikum performierte sich als Volksbühnenpublikum, das sich unisono verlachte, als sei die Performance des störrischen, unangepassten, spröden Poems „Words are people“ von Karl Holmqvist Comedy. Und am Ende stand ein Gruppenbild aller Akteure der Konferenz: „Lets dance together here on stage in 2 hours… Please be back after a break“, rief Isabelle Graw, Herausgeberin und Autorin von TzK, in den gefüllten, komplett verdunkelten Saal. Vermutlich hätte Pollesch nur die Öffnung des großen Saales im Berliner Festspielhaus um 14 Uhr mit MadonnasCelebration“ als endless loop offensiv als Karaoke oder als Polonaise aller Beteiligten inszeniert: „Come join the party, yeah, Coz‘ everybody just won’t do. Let’s get this started, yeah, Coz‘ everybody wants to party with you.“ Vielleicht hätte er auch für die GastgeberInnen eine Loge im Stil eines Foucaultschen Panoptikons (wie Ende 2014 die „Liebeslaube“ von Gregor Schneider im Rang der Volksbühne) bauen lassen, in der die Geburtstagsgrüße (unsichtbar) in Empfang hätten genommen werden können. Gleich mehrfach lagen die legendär gehauchten „Happy Birthday“-Grüße, wenn auch ironisch gebrochen, in der Luft…

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Hacktivisten im Apparat der Kunst

In diesem Sommer zeigte die in Berlin neugegründete Galerie NOME, angesiedelt „zwischen Kunst, Politik und Technologie“, mit ihren ersten Ausstellungen die Arbeit von drei Hacktivisten:

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Paolo Cirio, in New York und Turin lebend und arbeitend, wurde bekannt u. a. mit seiner Softwareentwicklung für das Kunstprojekt Amazon Noir (2006), mittels derer er gemeinsam mit dem Künstlerduo ubermorgen komplette Bücher des digitalen Archivs des Online-Buchhändlers mit der Amazon-eigenen Search-Inside-the-Book-Funktion hätte spidern und als kostenlose pdf-Downloads verteilen können. Seit 2013 bietet Cirio mit Loophole For All (loophole4all.com) Anteile zuvor gehackter 200.000 anonymer Briefkastenfirmen im Steuerparadies Cayman Islands im Wert von 99 Cent aufwärts an, „to improving offshore business for the general public“.

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Context is Half the Work

…heisst es schon in den 60er Jahren in den programmatischen Texten der zunächst britischen, später dann multinationalen Artist Placement Group, die innerhalb der Gesellschaft und ihrer Institutionen sog. Placements organisierten, mit denen Künstler vor Ort beobachten, recherchieren, prüfen, forschen, entwerfen, modellieren, entwickeln, dokumentieren, intervenieren, kritisieren, implementieren, ändern, handeln, vermitteln, stören, riskieren… konnten.

Die AGP ist eine Gründung unter Künstlerkollegen der St. Martin’s School of Art im Jahr 1966 in London als ein loses Netzwerk, das sich zunächst als Stiftung mit Kuratorium und künstlerischem Beirat, später dann als gemeinnützige GmbH (APG Research Ltd.) organisierte. Gründungsmitglieder waren Barbara Steveni und John Latham sowie Barry Flanagan, David Hall, Anna Ridley und Jeffrey Shaw, später kamen zu unterschiedlichen Zeiten Ian Breakwell, Stuart Brisley, Roger Coward, Hugh Davies, Andrew Dipper, Garth Evans, Leonard Hessing, George Levantis, Ian Macdonald Munro, David Toop, Marie Yates sowie Nocholas Tresilian, Rolf Sachsse und Ros Sachsse-Schadt hinzu.

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Statt Showdown theatraler Mediatisierungsprozess, oder: Showdown als theatraler Mediatisierungsprozess?

Sicherlich ließe sich zur Frage spekulieren, ob Frank Castorf den US-Amerikanischen Performancekünstler von der Westküste Paul McCarthy in die Berliner Volksbühne eingeladen hat, nachdem Chris Dercon als sein Nachfolger bestellt wurde oder schon bereits zuvor. Entsprechend ließen sich „Rebel Dabble Babble Berlin“ und „Van Gogh Revisited“ deuten: Als nachträglich gesetzter Impuls im Umgang mit einer narzistischen Kränkung oder als längst schon praktizierte Zukunft, wie sie der Volksbühne unter Dercon prognostiziert wird. Also Perfekt bzw. Plusquamperfekt oder Futur, ggf. Futur II.

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Unabhängig von dieser mit boulevardesker und z. T. kunstwissenschaftlich reaktionärer Provinzialität geführten Debatte im Stil eines Showdowns zweier Männer als Repräsentanten zweier angeblich konträrer Systeme ließen sich „Van Gogh Revisited“ (eine Kooperation McCarthys mit dem Filmemacher und Performer Theo Altenberg) und „Rebel Dabble Babble Berlin“ (eine Kooperation McCarthys mit seinem Sohn Damon), als äußerst spannende Mediatisierungsprozesse, auch der Künste verstehen:

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Prototyp Black Mountain College

„Unser zentrales und konsequentes Bestreben is es, Methoden zu lehren, nicht Inhalte; den Prozesse gegenüber den Ergebnissen zu betonen; den Studenten zur Erkenntnis zu bringen, dass die Anwendung des Wissens […] für uns wichtiger ist als die Fakten selbst.“ (John Andrew Rice, Gründer Black Mountain College, 1933)

Eine kunsthistorische Ausleuchtung des wohl einmaligen kunst- und lebenspädagogischen Experiments des Black Mountain College von 1933 bis 1957 in der Nähe von Asheville, in den Blue Ridge Mountains im US-Bundesstaat North Carolina, am See Eden gelegen, stand seit längerem an (siehe auch den nur schmalen Eintrag in der deutschen Wikipedia). Nun sind zahlreiche Leihgaben der Josef und Anni Albers Foundation in Connecticut im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen, angereichert um einen Blog sowie um ein Symposium am 25. und 26.9.2015 zum Thema Education.

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Nicht zufällig fällt der Beginn des Experiment, das heute als ein „inter- und trans-disziplinäres sowie multimediales“ bezeichnet wird, mit der erzwungenden und im Kollegium beschlossenen Selbstauflösung des Bauhauses zusammen – und wohl auch nicht zufällig endet das Experiment 1957 in der McCarthy-Ära aufgrund eines kommunistischen Generalverdachts unter nicht unähnlichen Umständen wie das Bauhaus in Deutschland unter den Nationalsozialisten. Einige der damaligen Bauhaus-Beteiligten wie Josef und Anni Albers wechselten übergangslos – wenn auch nicht unproblematisch, hatten doch Regierung, Kultusministerium, Devisenamt und das amerikanische Konsulat ein Mitspracherecht – zum 26.11.1933 in den Lehrbetrieb in North Carolina. Ein ausgestellter Briefwechsel zwischen Albers und einem der beiden Gründer Theodore Dreier zwischen dem 28. September 1933 und dem 31. Oktober 1933 gibt eindrucksvoll Auskunft nicht nur über die damaligen Kommunikationswege, die Geschäftssprache, die Verhandlungsformen, die Geschlechterhierarchien und Bezahlungen (1000,- Dollar plus „room and board for yourself and your wife“), sondern auch über die damaligen politischen Verhältnisse in Deutschland wie auch über die finanziellen Möglichkeiten und den Gründergeist für „Methoden“, „Prozess“ und „Wissensanwendung“ statt „Inhalte“, „Ergebnisse“ und „Fakten“. Dreier stellt „a progressive education“, „an adventurous and a pioneering one“, „an experiment“ und „no restrictions on the teaching methods“ in Aussicht, er genrefiziert Black Mountain als „college of liberal arts“ und als „educational organism“ und konstatiert: „we feel that the arts should play an important part both in our communitylife and in the educational process“ – Formulierungen, die 2015 für die Aquise von Spenden für eine Institutsgründung taugen würden. Auch andere Emigranten kamen: der Architekt und Bauhausgründer Walter Gropius, die Psychiater Fritz und Anna Moellenhoff, der Schönberg-Schüler Heinrich Jalowetz, die Musikerin Johanna Jalowetz, Xanti Schawinsky, Cellist und Saxofonist der Bauhaus-Jazz-Kapelle und ehemaliger Mitarbeiter von Oskar Schlemmer.

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continue: Fire and Forget

Mit Fire and Forget. On Violence ist die aktuelle Ausstellung (bis zum 30.8.2015) in den Berliner Kunstwerken überschrieben und bezieht sich damit auf eine militärische Formulierung, die die Fähigkeit von Waffensystemen bezeichnet, Ziele ohne weitere Unterstützung etwa eines Schützen, d. h. selbstständig z. B. durch eine Infrarotlenkung oder eine Zielsuchlenkung ansteuern zu können. „Fire and Forget“ stellt damit semantisch auf eine Distanzierung zwischen Gegnern, auf fehlende Tötungshemmung oder Mitgefühl, auf eine Abstrahierung und damit auf die kulturpessimistische These einer verloren gegangene Verhältnismäßigkeit der aktuellen Kriegsführungen ab. Die vier thematisch und räumlich ordnenden Motive der Ausstellung – Grenze / Affekt / Vergessen, Erinnern, Verzeihen / Ereignis – verdeutlichen allerdings neben der Auswahl der künstlerischen Arbeiten, dass diese semantische Konklusion (oder war es die Ausgangshypothese der Kuratoren?) nicht eingelöst, ja geradezu unterlaufen wird und es sich bei dieser Phrase vielmehr um einen behauptenden und aufmerksamkeitsgenerierenden, sich aber bei näherer Betrachtung nicht einhaltbaren, ja phantasmatischen Slogan handelt.

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Rippware unter den Augen von Chomeini und Chamene’i

Das Kunstprojekt „Do Fard Unterwäsche Tehran – Berlin“ der bildenden Künstlerin Anahita Razmi präsentiert im Projektraum uqbar in Berlin Wedding (Schwedenstr. 16) Ripp-Baumwollunterwäsche für Damen und Herren in verschiedenen Modellen und Bonbonfarben, monochrom und gestreift, der Firma ‚Do Fard‘, die nach Aussagen der Künstlerin seit über 50 Jahren im Großen Bazar in Teheran verkauft wird.

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Mit dem typischen Repertoire eines Kunstraumes wird in einem begrenzten Zeitraum (bis 9.8.2015), zu klassischen Galerieöffnungszeiten (Dienstag bis Samstag, 13-19h) eine limitierte Anzahl von verkaufbaren, importierten Unterhosen und Unterhemden gezeigt, die mit einer raumgroßen Fototapete des Teheraner Shops kontextualisiert werden und zu einer Rauminstallation verschmelzen. Während sich in Teheran die weissen, flachen, gelabelten Pappkartons bis unter die Decke stapeln, sind sie in Berlin mengenmäßig begrenzt und erinnern an die skulpturalen, minimalistischen Papier-Stapel (paper stacks) von Félix Gonzáles-Torres seit den 80er Jahren, die zunächst auf einem Sockel, später dann wie seine Bonbon-Schüttungen (candy-pieces) auf dem Boden lagerten und zur Mitnahme aufforderten – und damit genau wie „Do Fard“ die Themen Originalität, Reproduzierbarkeit, Prozessualität und Partizipation in den Anschauungsraum holten. Von der Wand schauen gemeinschaftlich die Porträts von Chomeini, Gründer der Islamischen Republik und geistiger Anführer der islamischen Revolution 1978-1979, und seines Nachfolger Chamene’i, seit 1989 Staatsoberhaupt des Iran, auf die Besucher hinab, die den Raum betreten oder sich in dem seitlich hängenden Spiegel, die Unterwäsche probierend, begutachten.

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Tino Sehgal: Perzeptionsexperimente – explizit keine Performances

Wollte man die Werkschau von Tino Sehgal im Martin-Gropius-Bau tradiert kunstwissenschaftlich beschreiben, man würde maximal scheitern:
5 Räume im Erdgeschoss des Hauses, aber mit permanent wechselnden Inhalten, die sich mal in künstlichem, mal in Tageslicht, mal in kleinerem, mal in größerem Raum, mal in Dunkelheit, mal in Sichtbarkeit, mal in kleinerer, mal in größerer Personenrunde, mal in inszenierter, mal in improvisierter, mal in fester, mal in zufälliger Personenkonstellation zeigen.
Manche der „Situationen“ werden inmitten der „Situation“ mit ihrem Titel vorgestellt (z.B. der MoMA-Besitz „Tino Sehgal, Kiss, 2002“ oder „Welcome to this situation“), andere wie die im Lichthof öffnet sich etwa alle 2 Stunden den aus den umliegenden Räumen drängenden Situationen und verschmilzt zu einer gemeinsamen, neuen, ortsspezifischen und improvisierten (?) Situation (die ihrerseits im Laufe des Tages wechselt), um sich dann in eines der Kabinette zurückzuziehen.
Manche Situationen sind textlastig (englisch, deutsch oder auch kombiniert), andere sind nur zu sehen, wieder andere nur im Dunkeln zu erahnen oder zu hören.
Mal ist eine Skulptur aus menschlichen Körpern assoziierbar („Kiss“), mal ein diskursives Format („Welcome to this situation“), mal die Geräusche einer Beatbox („This Variation“).
Mal schieben sich die Zeit- in die Raumkünste, mal das Temporale in das Skulpturale, mal umgekehrt, mal schieben sie sich wiederum ineinander.
Mal ist der Zuschauer ins Außen gedrängt, mal funktioniert er als Rahmen, mal ist er ermuntert, eine Antwort auf eine gestellte Frage beizusteuern: „Was sind Situationen?“, „Was ist Langeweile?“, mal tastet er sich auf seine eigenen Sinne zurückgeworfen durchs Dunkle und stößt aufgeschreckt auf Mitrezipienten.

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11+x Gründe…

…für meine Skepsis gegenüber den „Aktionen“ vom Zentrum für politische Schönheit und warum es sich nicht um Aktionen, sondern um Skulpturen (Strukturaushärtungen) handelt:

– Das ZPS lässt sich ihre vorweggenommenen, bereits auf gemeinschaftlichem Konsens beruhenden und damit nicht überraschenden Beobachtungen bestätigen. Sie kondensieren, dass
keine syrischen Flüchtlingskinder in Deutschland aufgenommen werden können (Die Kindertransporthilfe des Bundes, 2013),
die EU-Außengrenzen in Form von Zäunen nicht eingerissen werden können (Erster Europäischer Mauerfall, 2014),
die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik die ertrunkenden Flüchtlinge im Mittelmeer nicht in ihren Blick nimmt (Die Toten kommen, 2015)

– Das ZPS baut in ihre Szenerien Situationen ein, die aufgrund einer (juristisch, geografisch, organisatorisch, architektonisch) fixierten Nomenklatur verlässlich, vorhersagbar und damit berechenbar und kalkulierbar sind:
Einreißen von EU-Außengrenzen ist nicht möglich
Bundesregierung reagiert auf Einladungen innerhalb weniger Stunden nicht
Repräsentanten sind über das Entfernen der Kreuze für die Mauertoten „not amused“
Demonstrationen in der Bannmeile sind verboten (§ 16 VersG, § 1 BefBezG)
Totentransporte auf Demos sind nicht erlaubt (§1 BestattungsG)
unvereinbarte Installieren von Skulpturen im öffentlichen Raum, hier im Areal des Bundeskanzleramtes, oder das Anlegen von Friedhöfen im öffentlichen Raum sind nicht erlaubt

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W. J. T. Mitchell: The Arts of Occupation

Im Vorfeld der Konferenz F(r)ictions of Art des Graduiertenkolleg InterArt der FU-Berlin hielt W. J. T. Mitchell (US-amerikanischer Kunsthistoriker an der University of Chicago, Herausgeber der Zeitschrift Critical Inquiry und Autor von October) am 24.6.2015 einen Vortrag mit dem Titel „The Arts of Occupation. Image, Space, Revolution“.

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Von den Gastgebern vorgestellt als einer der führenden Bildwissenschaftler, der sein Material der visuellen Kultur, den politischen Ereignissen, dem TV und Film entnimmt und auf ikonografischen Gehalt untersucht und dabei das Aktions- bzw. Handlungspotential von Bildern (they act!) herausarbeitet, führte Mitchell schon in seiner letzten Publikation zu „Occupy. Three Inquiries in Disobedience“ (2013) aus. Hier sind ethnografische (Michael Taussig), politik- und sozialwissenschaftliche (Bernard E. Harcourt) und bild- und raumwissenschaftliche (Mitchell) Perspektiven auf die Occupy-Bewegung versammelt, die ihren Fokus auf die Themen Ungehorsam und Besetzung richten.

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Von der Restringiertheit des Codes aufgefressen…

Um einen entscheidenden Unterschied vorweg zu nehmen: Es ist kein iPad, wie kommuniziert wird, mit dem die Besucher die Raum-Installation Situation Rooms von Rimini Protokoll durchstreifen. Es ist ein Minibildschirm, montiert an einem Holzgriff, mit angeschlossenen Kopfhörern, dessen visuelle Bewegtbilder und akustische Einspieler die abzulaufenden Wege vor-schreiten und das vom Besucher einzunehmende Verhalten, seine Blickrichtungen und Perspektiven vor-geben, damit den Besucher in ein leicht zeitversetztes, wenn möglich aber zeitgleiches Re-enacten versetzen, z.B. eine Suppe zu rühren, ein Werkstück zu vermessen, einen Hut aufzusetzen, sich eine Jacke an- oder ausziehen zu lassen oder aber die Hand eines anderen Besuchers zu schütteln.

Voraussetzung für diese Koordination innerhalb von 20(+) Raumsituationen, 20 Geschichten und 20 Besuchern ist ein striktes Script und genau dieses Script, das Personen, Räume, Zeitfenster und Requisiten zu einem reibungslosen Ablauf der 75-minütigen Ereignisse in Einstimmung bringt, hat zu dessen Erfüllung zwingend einen so hohen Grad an Restriktivität, das der Besucher zu einem nur kleinen Rädchen in dem größeren, durchkomponierten, durchchoreografierten und durchinszenierten Gesamtgefüge „Situation Rooms“ wird.

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Schneiders Triple in der Volksbühne

Mai 2012: Cryo-Tank Phoenix, ein mit flüssigem Stickstoff gefüllter Tank im Sternfoyer der Berliner Volksbühne, zum Zweck der Konservierungen schockgefrorener Menschen

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19.9.-23.11.2014: Liebeslaube, verdoppelte Liebeslaube, Raum in Raum, Tischlerplatten auf Holzkonstruktion, 1 Fenster, 1 Lampe, 1 Wanne, 1 Heizkörper, 1 Wandschrank, 1 Bett, weissverputzte Wände und Decke, grauer Holzboden, Standort: Zuschauerraum/Rang, Zugelassen für ausschl. 2 Personen je Abendvorstellung, Erschwerter Zugang durch einen Tunnel (Maße: ca. 80cm x 90cm)

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Aus der „Waffenlounge“…

Unter dem Titel Waffenlounge bündelte das Berliner Hebbel am Ufer im Dezember 2014 Theaterproduktionen, Performances, Installationen, Screenings und Expertengepräche, die sich thematisch mit Waffen und dem Waffenhandel, mit Gewalt und Rüstungsgütern auseinandersetzen.

Anlass hierfür ist unter anderem, dass Deutschland nach den USA und Russland der weltweit drittgrößte Rüstungsexporteur ist: Der Gesamtwert betrug im 1. Halbjahr 2014 2,2 Mrd Euro, davon entfielen 400 Mio Euro auf Lieferungen an EU-Länder, 412 Mio Euro an Nato und Nato-gleichgestellte Länder und 1,4 Mrd Eur an Drittländer. Die wichtigsten Bestimmungsländer waren dabei Israel (U-Boot), USA (Gewehre, Maschinenpistolen, Munition, Kampfhubschrauber) und Singapur (Kampfpanzer). (Quelle: BMWI)

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Wagner, Jelinek und Piketty oder…

…von Wotan und Brünnhilde übers Geld (G–>G‘) zum NSU 

Knapper und eindeutiger kann ein Plot nicht aufgerufen werden. Der Titel ‚Rein Gold‘ – ohne h – verweist als Vorabend von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nieblungen“ auch auf Wotan, der sich von den zwei Riesen Fasolt und Fafner die Götterburg Walhall bzw. – so die aktualisierte Fassung Elfriede Jelineks – ein Eigenheim bauen lässt und – entgegen der kanonisierten Deutung, dass Wotans Herrschaft auf Vertragstreue gegründet sei – durch Vertragsbruch und Niedriglohnarbeit im Kontext der Finanz- und Immobilienkrise Schuld auf sich läd, die er nie wird ausgleichen können, auch nicht durch den titelgebenden Ring, der zugleich die Macht besäße, die herrschende Ordnung zu stürzen:

„Also. Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie. […] Papa! Weisst du überhaupt noch, wenigstens ungefähr, wem du was schuldest und wieviel? Kennst du dich noch aus? […] Obwohl du es eigens aufgeschrieben hast, wolltest du nichts davon halten, keine Verträge, keine Lohnabsprachen, keine Leihverträge, keinen Leasingvertrag, keinen Ehevertrag, da fängts schon mal an. […] Papa. Das hast du geschafft, dass du allen was schuldest, sogar dir selbst, und dennoch kein Schuldgefühl hast. Du hast einfach kein Gefühl für deine Schulden. Du wirst noch herabgestuft werden, aber ich wüßte nicht, von wem! […] Diebstahl am Anfang, Diebstahl am Ende, dazwischen Betrug. Eigentum – Diebstahl. Eine endlose Kette der Enteigung, nur damit wir unser neues Haus kriegen! […]“

REIN GOLD

In ausufernden Sturzbächen von Assoziationsketten lässt Jelinek einen Disput zwischen Lieblingstochter Brünnhilde und Vater Wotan entwickeln, der auf dem Themenhintergrund von Helden, Versprechungen, Schuld und Schulden, Zukunftsaussichten und Rettungen direkt zum Triumph des Geldes führt:

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Operation Bio-Macht – unentrinnbar in 3 Schritten

Playtime bezeichnete das Münchener Lenbachhaus ihre beginnende (und auf 3 Jahre ausgerichtete) Kooperation mit der Rückversicherungs-Gesellschaft Munich Re, startend mit dem Thema „Arbeit“ im Format einer Kunstausstellung und nimmt damit titelgebend Bezug auf den französisch-italienischen Filmklassiker von Jacques Tati, der 1967 für die Zukunft uniforme, konforme, sterile, unpersönliche Arbeitswelten inmitten von Glas- und Stahlkonstruktionen prognostizierte.

Playtime thematisiert die Normativitäten und Imperative aktueller (Arbeits-) Welten und macht sie ansichtig mit
– Charles Chaplin, Modern Times, 1936
– Jacques Tati, Playtime, 1967
– Martha Rosler, Flower Fields, 1974
– KP Brehmer, Seele und Gefühl eines Arbeiters, 1978
– Allan Sekula, School is a Factory, 1978/80 und Untitled Slide Sequences, 1972
– Fischli&Weiss, How to Work Better, 1991
– Beate Engel, Burnout Machine, 2014
– Harun Faroki, Ein neues Produkt, 2012
– Darren Almond, Perfect Time, 2012
– Andreas Siekmann, die ökonomische Macht der öffentlichen Meinung & die öffentliche Macht der ökonomischen Meinung. Denkfabriken, Think Tanks und die Privatisierung der Macht, 2013.

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Barney-Extensions

Ankündigung, Pressekonferenz und Katalog zur Ausstellung verzichten – wie gehabt – nicht auf Superlative: „Das Werk verdichtet sich zu einem der komplexesten und ehrgeizigsten in Barneys Schaffen. Im Film ‚River of Fundament‘ kulminieren sieben Jahre intensiver Beschäftigung mit den Themen Tod, Wiedergeburt, Transformation und Transzendenz.“

Das Haus der Kunst München präsentiert in diesem Sommer Matthew Barneys neueste Produktion „River of Fundament“ (2006-2014) und zeigt neben der Europapremiere der sechsstündigen Film-Oper in der Bayerischen Staatsoper 14 großformatige Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien, Storyboards – eine Materialschlacht im Ausstellungstrakt des Erdgeschosses aus Bronze, Holz, Gusseisen, Graphit, Zink, Gold, Messing, Bronze, Sterlingsilber…

Wie schon seinerzeit, als Barney mit seinem 5-teiligen Cremaster-Zyklus zwischen 1994 und 2002 ein opulentes Werk bestehend aus knapp 400 Filmminuten, aus Fotos, Zeichnungen, Installationen und Objekten, vorwiegend aus Vaseline, Wachs und Silikon ablieferte, wartet er auch mit „River of Fundament“ mit einer hermetischen, zum Teil unentschlüsselbaren Ikonografie auf, die ihrerseits die Produktion von Deutungen, Bedeutungen und Ausdeutungen in Gang setzen wird.

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Es gibt nur ein Phantasma – und das ist die Kunst.

In der achten Ausgabe der von Helmut Draxler, Professor für Kunsttheorie und Kunstvermittlung an der AdBK Nürnberg, und Christoph Gurk, Kurator am Hau, konzipierten Veranstaltungsreihe Phantasma und Politik am Hebbel am Ufer, Berlin stand mit dem Titel der zweitägigen Konferenz Die Kunst des Phantasmas am Freitagabend (6.6.2014) der Begriff des Phantasmas zur Diskussion, am Samstagabend (7.6.2014) wurden mit „der“ Realität und mit Hélio Oiticicas „Cosmococapolitics“ zwei weitere Begriffe ins Verhältnis zum Phantasma gebracht.

Ausgangspunkt der Veranstaltungsreihe ist der Befund Helmut Draxlers, dass auch die institutionskritischen Praxen wie zuvor die von ihr kritisierte autonome Ästhetik hermetisch und ideologisch zu werden drohe, „weil auch sie die Umstände und Bedingungen, unter denen sie arbeiten, kaum mehr reflektieren können“. Die diagnostizierte und kritisierte Ausblendung der Prämissen durch die autonome Ästhetik scheint sich bei ihren Kritikern zu wiederholen – zu ergänzen ist, dass nicht nur die Ausblendung der Prämissen, auch die Prämissen selbst von den „Kritikern“ fortgesetzt und weitergetragen werden, wir es hierbei nicht nur mit einer methodischen, sondern auch mit einer inhaltlichen Herausforderung zu tun haben.

Gefragt wurde im Rahmen der Konferenz, wenn weder eine autonome Ästhetik noch deren kritische Praxis „davor gefeit ist, phantasmatisch zu werden, wie könnte dann eine wahrhaft reflektierte Kunst aussehen?“ Sicher eine, mit dem normativen Einzug von „Wahrhaftigkeit“ recht eigenwillig modernistisch angehauchte Frage, die noch einen ganz anderen Komplex eröffnet, der auf der Konferenz allerdings nicht Thema sein sollte: Wie steht es eigentlich um die kritische Praxis der Autonomie-Kritiker? Oder noch einmal anders gewendet: Was ist eigentlich aus der Modernismuskritik geworden, mit denen jene Kunstkritiker einst antraten?

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Ai Weiweis (Re-) Enactment deutscher Erwartungen

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Kleiderbügel aus seiner 81-tägigen Haft 2011 in Beijing, nun in Kristall und Edelstahl, Handschellen aus seiner Haft mit mehr als 50 Verhören, nun in Jade, eine Atemschutzmaske aus Marmor gemeisselt auf einem Grabstein, eine Taxifensterkurbel aus Glas von 2012, da laut Parteibeschluss die Fensterkurbeln in den Taxen zu entfernen seien, um politische Kundgebungen via Flugblätter zu verhindern, das 2011 während seiner Inhaftierung konfiszierte Büromaterial (26 Rechner, 10 Laptops, Festplatten, Diktiergeräte, Mobiles, USB-Sticks…), die nachgebaute Zelle 81 (an der Tür steht 1135) und ihr komplett in Folie eingewickeltes Mobiliar, streng nach PVC riechend, deren Eingang nun vom Museumspersonal und einer roten Kordel koordiniert wird – dies alles wäre als humorvolle Anekdoten, als absurdes Dada oder mit surrealistischem Augenzwinkern rezipierbar, wäre die Ausstellung „Evidence“ von Ai Weiwei mit den 3 im vorletzten der 18 Räume plazierten Ready-mades eröffnet worden, die frühere Arbeiten von Ai zeigen: 2 Lederschuhe mit nur einem, gemeinsamen Hacken, die komplett entgegengesetzt ausgerichtet sind, 2 Regenmäntel, die zusammengenäht unverwendbar auf einem Garderobenhaken hängen, einem Junggesellenkoffer mit Zahnbürste, Zahnpasta und einem grösseren Schminkspiegel zur Selbstvergewisserung. Oder die Schau wäre mit den fotografischen „Perspektivstudien“ aus 40 Städten dieser Welt gestartet, auf denen Ai ikonischen Orten wie dem Petersdom in Rom, dem Pariser Eiffelturm, dem Weißen Haus in Washington… sich im Fluchtpunkt des Geschehens und als Fotograf positionierend den Stinkefinger zeigt.

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Grenzwertbestimmungen des Theatertreffens 2014: Situation Rooms von Rimini Protokoll

Rimini Protokoll, mit „Situation Rooms“ zum Theatertreffen 2014 eingeladen, präsentierte sich aus terminlichen Gründen zum einen mit einer Dokumentationsbox im Foyer des Berliner Festspielhauses, zum anderen am 5.5.2014 mit einer Kinoprojektion ihres eingeladenen „Multi Player Video-Stücks“ und einer anschließenden Gesprächsrunde, an der (selten genug) die drei Rimini-Gründer Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel teilnahmen:

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Die gezimmerte Doku-Box gibt einen Überblick über die 20 Erzählstränge in Form von 20 sprechenden und (durch Point of View- und Over the Shoulder-Einstellungen) ins Bild gesetzten Experten des hier fokussierten Themenkomplexes „Waffen“: ein Feinmechaniker aus der Schweiz, ein Arzt aus Deutschland, ein Flüchtling aus Syrien, ein Kriegsfotograf aus Deutschland, ein Kindersoldat, ein Hacker, ein Friedensaktivist… Sie alle haben jeweils 7 Minuten Zeit, ihre Lebengeschichten auf das Thema zu pointieren, die den Rezipienten erstens in einem Set bestehend aus gebauten Räumen des Plots (Operationssaal, Konferenzsaal, Werkstatt…) und zweitens über tragbare iPads und Kopfhörer vermittelt werden. Sowohl die 20 Sieben-Minüter als auch ein Modell des Sets in den Ufer-Hallen Berlin sind in der Dokumentationsbox aufgebaut, eine Excel-Übersicht verdeutlicht die protokollierende Organisation der installativen Performance mit dem Einsatz neuer Medien.

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Grenzwertbestimmungen des Theatertreffens 2014: Zement von Dimiter Gotscheff

Vor der Pause wirkt „Zement“, Heiner Müllers Theaterstück von 1972 (uraufgeführt am Berliner Ensemble 1973 von Ruth Berghaus) in der Inszenierung von Dimiter Gotscheff wie aus der Welt gefallen: klassisches Sprechtheater, unspektakuläre Bühne und Kostüme, in skulpturalen Posen verhärtete Schauspieler, zäh und anstrengend für das Publikum – vielleicht auch, weil konzentrative Hörarbeit dem Theaterbesucher gegenwärtig nicht häufig abverlangt wird, Text zum Soundteppich umfunktioniert wird.

Nach der Pause ist klar: Das inszenatorische Prinzip ist inhaltliches Programm. Wir stecken, mit Müller formuliert, „bis zum Hals“ in Ideologien (Sozialismus, Kapitalismus, Demokratie) – Beweglichkeit ist ausgeschlossen. Selbst der Theaterboden versucht, Raum zu schließen, Raum zu nehmen und das Publikum zu erdrücken, indem er sich zur 4. Wand aufstellt. Einhergehend wird der Blick in den imaginären Raum (der Theaterbühne, der Utopie, der Zukunft) verstellt. Ein großartiger Einfall für die weiss-grau verstaubte Bühne Ezio Toffuluttis, denn dem Publikum werden gleichzeitig auch die Spuren des Geschehens als Leinwand gegenüber gestellt und ansichtig.

ZEMENT/Residenztheater
Foto: © Armin Smailovic

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