Hacktivisten im Apparat der Kunst

In diesem Sommer zeigte die in Berlin neugegründete Galerie NOME, angesiedelt „zwischen Kunst, Politik und Technologie“, mit ihren ersten Ausstellungen die Arbeit von drei Hacktivisten:

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Paolo Cirio, in New York und Turin lebend und arbeitend, wurde bekannt u. a. mit seiner Softwareentwicklung für das Kunstprojekt Amazon Noir (2006), mittels derer er gemeinsam mit dem Künstlerduo ubermorgen komplette Bücher des digitalen Archivs des Online-Buchhändlers mit der Amazon-eigenen Search-Inside-the-Book-Funktion hätte spidern und als kostenlose pdf-Downloads verteilen können. Seit 2013 bietet Cirio mit Loophole For All (loophole4all.com) Anteile zuvor gehackter 200.000 anonymer Briefkastenfirmen im Steuerparadies Cayman Islands im Wert von 99 Cent aufwärts an, „to improving offshore business for the general public“.

In der Galerie NOME zeigte er nun mit großformatigen und hochauflösenden Pixelprints auf Leinwand und Fotopapier (Cirio nennt seine Technik „HD Stencils Graffiti Technik“) die Porträts hochrangiger amerikanischer Geheimdienstmitarbeiter wie z. B. von Keith Alexander (NSA), John Brennan (CIA), Michael Hayden (NSA) und Avril Haines (CIA), deren Konterfeis er zuvor qua Social Hack in informellen und privaten Kontexten ausfindig gemacht hat – eine Variante der Gegen-Nutzung technologischer Überwachungsmassnahmen, für die die NSA seit Snowden Berühmtheit erlangt hat. Cirio nutzt den Wieder-Einsatz und die Re-Kontextualisierung dieser und anderer aktueller sozialer Umgangsformen (wie obsessives Stalking, Manipulation der öffentlichen Meinung und Zweckentfremdung privater Informationen etwa durch Unternehmen) für das Entwickeln seiner sog. Anti-Social Sculptures. Technik, Ausgangssnapshot und Pixelprints der Porträts sind folgekonsequent en detail auf seiner Webseite online dokumentiert. Cirio nutzt das bildgebende Verfahren, unsichtbaren, aber präsenten Entscheidungsgrößen eine repräsentative Sichtbarkeit zu verleihen, den Namen ein Porträt zuzuordnen und sie der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Um „Overexposed“ nicht im White Cube verschwinden und die Einzelprozesse (Social Hack, Stencils Graffiti Technik, Public Intervention) der Gesamtaktion nicht auf eine gerahmte Zwei-Dimensionalität zu reduzieren, fanden gleichzeitig Plakatinterventionen in Berlin-Friedrichshain (zuvor im Stadtraum von New York, London und Paris) statt, um die programmatische Zirkulation der Porträts, nun auf Papier im öffentlichen Stadtraum in Gang zu setzen. Dieser Teil der Ausstellung wurde nach nur wenigen Tagen überplakatiert und nicht erneuert.

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James Bridle, Informatiker mit Sitz in London, ist die zweite Ausstellung in der Galerie NOME gewidmet – seine erste Einzelausstellung „The Glomar Response“ in Deutschland. Bridle, der zeitgleich zu seiner Präsentation u. a. in der ZEIT  und im Tagesspiegel Interviews gab, bekundet hier, die Funktionsweise technischer und institutioneller Strukturen zeigen zu wollen, um über sie reden und sie kritisieren zu können. Er berichtet detailliert über Transiträume für Flüchtlinge und über Gerichtsräume, die ausschließlich Migranten vorbehalten sind, für die sich der Geheimdienst interessiert. Diese unbekannten, unsichtbaren, unzugänglichen Orte hat Bridle anhand von Bauplänen und Augenzeugenberichten digital und dreidimensional mit „Seamless Transitions“ modelliert – an die Wand der Galerie wurde eine Computeranimation projiziert, die die hierin gelagerte politische Brisanz nicht ersichtlich machen konnte. In den Interviews berichtet Bridle von der Installation „Waterboarded Documents“, die die semantische Pointe zur Ansicht bringt, dass Dokumente durch einen Wasserschaden unleserlich sind, mit denen die britische Regierung Auskunft über den US-amerikanischen Militärstützpunkt inkl. CIA-Aktivitäten auf der britischen Insel Diego Garcia im Chagos-Archipel hätte geben können, aber eben nicht kann – in aufwändig produzierten Vitrinen lagen eine Kartografie und Prints, deren Farbe zu abstrakten Aquarellen verliefen. Auch hier wurde das Potential, insbesondere die Parallele zur Foltermethode des Waterboarding nicht sichtbar. Auf den im Interview angekündigten Zugang zu der Insel über eine Internetdomain mit der länderspezifischen TLD.io (für britisches Territorium im indischen Ozean) – übrigens immer nur über britische Leitungen anwählbar – wurde im Ausstellungsraum ganz verzichtet. Die stärkste (farbliche, materiale und quantitative) Präzenz hatten fünf großformative Digitalprints in Spektralfarben, umgeben von einem schwarzen Rand, mit denen Bridle verschiedene Textquellen, z. B. die Zensurbalken des 600-seitigen Bericht des US-Senats zu Folteraktivitäten in Guantanamo poppig visualisiert. Benannt als „Frauenhofer Lines“, in Anlehnung an die Fraunhofer’schen Linien im Sonnenspektrum, die 1814 durch den Physiker Joseph von Fraunhofer entdeckt wurden.

Bridle ist als Programmierer an Unsichtbarkeiten und Verschlüsselungen interessiert und findet hierfür in seinen Interviews eindrucksvolle Beispiele und Erläuterungen – die Galerie, die die zweidimensionalen Visualisierungen der Hacks aus eigenem Budget und in Kooperation mit Bridle produzieren ließ, folgte in der Ästhetisierung genau diesen Strategien und verschlüsselte erneut: Textauslassungen wurden mit Spektralfarben metaphorisch verdichtet, dabei aber ihres Sinns und ihrer Bedeutung entleert. Schnittmengen mit Aktivisten, Hackern oder Anwälten wurden ausgeblendet und die operative Dimension der Arbeiten in der Präsentation war nicht anwesend – selten legte eine Ausstellung qua definitionem so offensiv ihren Eingriff durch das Verfahren der Entkontextualisierung offen.

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Teil 3 präsentierte Jacob Appelbaum, Journalist, Hacker, Wikileaks Sympathisant, Mitentwickler des Webbrowsers Tor, US-Bürger, momentan im Exil in Berlin lebend. Appelbaum zeigte in der Ausstellung „Samizdata“ (eine Referenz auf den russischen Begriff Samizdat für die heimliche Distribution zensierter Literatur in der Sowjetunion) zum einen Relikte seiner im Rahmen der von rhizom.org initiierten Serie Seven on Seven entstandenen (Spielzeug-)Pandas, die er zusammen mit Ai Weiwei im April 2015 in Peking mit geschredderten Snowden-NSA-Dokumenten und einer Mikro-SD-Speicherkarte mit einem digitalen Backup der Dokumente füllte. In diesem ‚artists-meets-technologists event‘ galt Appelbaum noch als Künstler-Gegenpart, mit dem Titel der von Laura Poitras filmisch dokumentierten Aktion „The Art of Dissent“ war Appelbaums Eintritt in das Kunstsystem sprachlich antizipiert. Neben einem der ursprünglich 20 Pandabären (P2P, Panda to Panda) und einem Amulett mit geschredderten Geheimdienstdokumenten in einer Auflagenhöhe von 100 Stück (Schuld, Scham und Angst, eur 50,-) waren sechs gelb-rotstichige Cibachrome Prints zu sehen, in der Größe 76,2 x 101,6 cm als Hoch- und Querformat. Diese Prints zeigen barockale Porträts der jüngsten Whistleblowergeneration im weitesten Sinne, von Laura Poitras, Glenn Greenwald/David Miranda, Julian Assange, Sarah Harrison, William Binney und hier auch von Ai Weiwei, jeweils in Situationen, Haltungen und Räumen, die als „privat“ gekennzeichnet werden: ein gesegneter Assange, eine träumende Harrison, eine relaxte Poitras, ein kuschelnder Greenwald… Appelbaum nutzte für den Herstellungsprozess der Fotos einen farbigen Infrarot-Film, der vorzugsweise bei Luft- und Agrarüberwachungen oder für das Sichtbarmachen getarnter Militärbjekte im Einsatz ist. Die Cibachromes sollen sich, so Appelbaum, programmatisch einer digitalen Überwachung entziehen, allerdings führt die Zirkulation seiner Porträts im Netz als digitale Daten diese Widerständigkeits-Überlegung ad absurdum. Die Ausstellung selbst funktionierte wie ein Peer-to-Peer– oder auch ein intertextuelles Friend-to-Friend-System, das sich gegenseitig referenziert, herstellt und stützt: Appelbaum Ai WeiWei, Ai WeiWei Appelbaum, Appelbaum Assage, Greenwald Appelbaum, Nome Appelbaum, Appelbaum Nome, das Goldene Zeitalter der Niederlande die Whistleblower, die Whistleblower das Kunstsystem… Kontextualisiert wurde die Ausstellung durch die Konferenz „Tactics and Strategies for Resistance“ des Disruption Network Lab am 11. und 12. September 2015 im Kunstquartier Bethanien.

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Während Cirio und Bridle mit dem Kunstkontext und den Gesetzen des White Cube seit Jahren vertraut sind, ist Appelbaum Neueinsteiger – wiederum mit dem Vorteil, an diesen Beispielen die Maschinerie des White Cube beobachten zu können:

  • Fußleisten, Lichtstrahler, Steckdosen und Lichtschalter können im White Cube (doch) sichtbar gehalten werden.
  • Der Kunstbetrieb ist (wieder) der 2-Dimensionalität verbunden: Komplexität, Vernetzung, Mehrdimensionalität und Mehrmedialität wird in einer 2-Dimensionalität komprimiert.
  • Der White Cube entpolitisiert und reduziert auf Oberflächenpräsenz.
  • Der Kanon und das herrschende Narrativ der Kunst ist (wieder oder immer noch) die Repräsentation.
  • Das Kunstsystem scheitert an der Mehrdimensionalität von Hackingprozessen.
  • Das Kunstsystem will an der Popularität der Hacktivisten partizipieren und leiht sich deren politisches Potential.

Was aber leihen sich Hacker wie Bridle und Appelbaum? Warum gehen sie in den „Raum“ der Kunst? Geht es um Bedeutungsanreicherung, um Seriösität, um Nobilitierung, um Wünsche, um Sicherungsmaßnahmen, um Desorientierungen und Desinformationen, um Überlebensstrategien, um spezifische Sozialisierungs- und/oder Subjektivierungsformen, um Rezeptionsstreuungen oder um Rezeptionsminimierungen, um spezifische Zusammenhänge von Funktionssystemen etwa zwischen Kunst und Politik…?

Ein Interview mit Appelbaum gibt hierzu keine befriedigenden Antworten, die Kuratorin dieser Show Tatiana Bazzichelli und James Bridle wurden direkt gefragt…

Birte Kleine-Benne

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