„Die Stadt gehört doch eigentlich uns allen…“

Letzter Termin ist vorerst der 16.4.2010 und zwar „mittendrin“ im praktizierten „Recht auf Stadt“ in Hamburg, das hier seit 2008 in Anspruch genommen wird. Christoph Schäfer, in Hamburg lebender Künstler, wird seine Publikation „Die Stadt ist unsere Fabrik“, ein Bildessay in 158 Zeichnungen (verlegt bei Spector Books Leipzig), im Hamburger Gängeviertel präsentieren, das seit August 2009 von 200 Künstlern besetzt wird.

In sechs Kapiteln erzählt Schäfer in unterschiedlichen Dichten und Geschwindigkeiten die Geschichte des Urbanen: Beginnend vor 60.000 jahren – vor 5.000 jahren dann die Erfindung der Stadt (als verdichtete Unterschiedlichkeit), Uchisar und Ischtar Tempel in Assur, über London, Paris und Kowoloon walled City… Angelehnt an Henri Lefebvres Theorie der Revolution der Städte (frz. 1970, dt. 1990), nach der Raum ein soziales Produkt sei und erst durch soziales Handeln entstehen würde, sich hieraus zwingend etwa das Recht der Anwesenheit oder das des Zugangs ergebe (Holm), zeichnet sich Schäfer mit Aquarellstiften vom Ur-Schlamm bis in die Hamburger „Recht auf Stadt“ Bewegung und versteckt nicht seine Abneigung der „glitschigen postfordistischen Verhältnisse“.

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2002 war Schäfer mit seinem Park Fiction-Projekt auf der Documenta 11 zu Gast, das seit Mitte der neunziger Jahre an der Schnittstelle von Kunst, Urbanismus und Aktionismus in Hamburg eine „kollektive Wunschproduktion“ zu ermitteln und umzusetzen versuchte. Resultat ist der heutige, gemeinsam mit den Anwohnern geplante und gestaltete Antonipark, der seit 2005 am Elbhochufer als öffentlicher Park in dem dicht besiedelten Gebiet eine Idee des erweiterten Kunstbegriffs der Sozialen Plastik Joseph Beuys gibt.

Hierin setzt sich exakt das in Szene, was Lefebvre in den siebziger Jahren heraufziehen sah: Im postindustriellen Zeitalter, so die These, würde die Stadt selbst zum zentralen Produktionsort (Schäfer kreiert hieraus den Titel seiner Publikation: „Die Stadt ist unsere Fabrik“). Subkulturen, Künstler und Kreative würden zu Erfindern von Orten und Produzenten von kollektiven Räumen. „Welche Alternativen lassen sich zum neoliberalen Urbanisierungsmodell entwickeln, das fortgesetzt schwarze Löcher produziert: Finanzkrisen, verschüttete Stadtarchive, Marketing-Idiotismen?“, fragt Schäfer und freut sich in dem 6. Kapitel seiner Publikation vorerst über die derzeitigen Geschehnisse in Hamburg.

2008 in Gang gesetzt, dann im juni 2009 mit einer Vernetzung von Initiativen als RaS (Recht auf Stadt) formiert, seither als Multitude für eine soziale, gerechte und demokratische Stadt und gegen die offizielle Politik der Gentrifizierung im Einsatz, als Versuch, sich gegen die Privatisierung von Stadt und städtischem Raum zu wehren. Die Initiative Komm in die Gänge (seit August 2009) und das Manifest Not In Our Name, Marke Hamburg (Oktober 2009), das sich gegen den Werbefeldzug der Marke Hamburg in der Standortpolitik ausspricht, sind nur zwei der Handlungen, die den Hamburgischen Raum aktuell selbst performieren und das mit Leidenschaft:
„Senoras y Senores! – die Städte der Multitude werden Orte der Leidenschaft sein oder, Ladies and Gentlemen — sie werden nichts sein!“

Die Stadt ist unsere Fabrik
Christoph Schäfer
304 Seiten, 158 Zeichnungen, deutsch / english
Spector Books Leipzig 2010 ISBN: 978-3-940064-95-0
28.00 EUR

Weitere Literaturempfehlungen zum Thema:
Deleuze/Guattari, Rhizom, 1977.
Hardt/Negri, Empire – Die neue Weltordnung, 2000 (dt. 2002).
Richard Florida, The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure and Everyday Life, 2002.
Hardt/Negri, Multitude, Krieg und Demokratie im Empire, 2004 (dt. 2004).

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