All Rights Reversed.

Freie Lizenzen in der Kunst; eingeordnet von Florian Cramer mit einem Vortrag im Hamburger Künstlerhaus Frise am 28.04.2007.

Unter dem link http://www.artwarez.org/?p=183 ist der Audio-Mitschnitt des Vortrags von Florian Cramer zu finden, in welchem Cramer zum „Kodifikationsdruck der Kunst“ ausführt.

Eingangs macht Cramer auf die historische Entwicklungslinie von freier Software zu Open Soure zu Open Content aufmerksam:
Die Entwicklung freier Software in Berkley und am MIT in den 70er und 80er Jahren, dann die Fortsetzung in den 90er Jahren, indem die Prinzipien der freien Lizensierungen auch auf andere Medien übertragen wurden.

Genau genommen sind die Lizensierungen jedoch keine Erfindungen der Computer- oder Internetkultur:
Bereits 1958 stellte die Situationistische Internationale ihre Texte unter eine – nach heutigem Sprachgebrauch – Free-Software-Definition und stellt damit den geistigen Bezugsrahmen her. Alle Texte dürften, so die Angabe im Impressum, frei reproduziert, frei übersetzt und frei adaptiert werden. Das SI-Copyleft geht sogar noch über die Anfang der 80er Jahre aufgestellte Free-Software-Defintion in 4 Freiheiten hinaus: Eine Quellenangabe sei nicht erforderlich.
So ist nicht verwunderlich, dass die ersten im www Anfang der neunziger Jahre publizierten Kunsttexte aus dem Repertoire der SI stammten.

Cramer benennt hierfuer zwei historische Inspirationsquellen:
Marcel Mauss‘ Kulturtheorie der Gabe von 1925 sowie das „1. Manifest einer Anticopyright-Aesthetik“ in Form eines Aphorismus von Comte de Lautréamont aus dem Jahr 1889: „Das Plagiat ist notwendig. Es ist im Fortschritt inbegriffen. Es geht dem Satz eines Autors zuleibe, bedient sich seiner Ausdrücke, streicht eine falsche Idee, ersetzt sie durch die richtige Idee.“
Das Détournement der Situationisten stelle somit ein Hybrid aus lautréamontschem Plagiat und brechtschem Verfremdungseffekt dar.

Wodurch nun aber ist die aktuelle Klimaveränderung zu erklären, die fortschreitende Lizensierungen in der Kunst provoziert?

Cramer stellt die These auf, dass der Einfluss der digitalen Medientechniken zur Kodifikation der Verrechtlichung auch in der Kunst führt. Künstler, die mit appropriativen Strategien arbeiten, würden zunehmend kriminalisiert. Niemand interessierte sich seinerzeit für Kurt Schwitters Markenrechtsverletzungen durch die Collagierung des Commerzbank-Logos oder für Warhols Adaptionen von Brillo, Campbell oder Coca-Cola.
Die Arbeiten im geschützten Raum des White Cube, im sog. Narrenturm der Kunst, verfügten, so Cramers Annahme, nicht über die notwendige Relevanz, zu der sie nun im Zeitalter des Internets gelangt seien: Zwischen Netzkünstlern (wie 01.org, ubermorgen oder Cornelia Sollfrank) und marktwirtschaftlich orientierten Konzernen sei durch den Einsatz digitaler (statt analoger) Techniken Waffengleichheit hergestellt. Die Folgen seien eine gewachsene Copyright-Paranoia und der standardisierte Einsatz von Abmahnungen.

Um es vorweg zu nehmen: Einen Schutz der Kunstfreiheit, die zunehmend juristisch unterhöhlt würde, sei durch den Einsatz freier Lizenzen nicht möglich. Sogar fragwürdig sei das auftreten etwa von Creative Commons, die mit Slogans wie „share, reuse, and remix – legally“ diese Irritation eher schüren als das Missverständnis auszuräumen. Vielmehr sei die Bewegung der freien Lizenzen aktuell, so Cramer, an einem kritischen Punkt angekommen.

Der Literaturwissenschaftler führt dezidiert zu Lizenzen und Lizensierungen aus:
Währenddessen das Urheberrecht pauschale Freiheiten wie die Zitier-, Verleih-, Wiederverkaufs- und Kopierfreiheit gewährt und alles weitere unter den Vorbehalt des Urhebers stellt (= all rights reserved), geben beispielsweise die GNU-Lizenzen oder die Creative-Commons-Lizenzen als Formen der freien Lizenzen eine Paschaulerlaubnis, ohne sich als Lizenznehmer beim Urheber rückversichern zu müssen.

Unter den freien Lizenzen ist zwischen Lizenzen in Nähe der Public Domain, dem Copyleft und den von Cramer als pseudofrei benannten Lizenzen zu unterscheiden:
– Die Public Domain (die wohl am ehesten mit der lizenz der Situationisten zu vergleichen ist) agiert aus einem Ethos der Freiheit, und zwar ohne jegliche Beschränkungen. Selbst eine freie Software kann als eine proprietäre Verwendung finden.
– Das Copyleft, auf dem zb die GNU-General Public License basiert, agiert nach dem rekursiven Prinzip mit nur einer Einschränkung für den Lizenznehmer, nämlich die Lizenzierung ebenfalls zu den Bedingungen der GPL. Somit pflanzt sich das Prinzip der einzig freien Verwendung viral fort.
– Die Creative-Commons-Lizenz, die für beliebige Werke (Multimedia, Text, Bild, Audio) verschiedene Lizenzversionen hinsichtlich einer kommerziellen/nicht kommerziellen Nutzung oder einer erlaubten/nicht erlaubten Veränderung anbietet, zieht Cramers Unmut auf sich. Nicht nur, weil CC Irritationen auslösen würde, vielmehr gibt es zwischen den einzelnen Lizenzversionen selbst Inkompatiblitäten, die auf eine fehlende Politik, ein fehlendes Ethos hinweisen würden.

Das Minenfeld sei zudem gewachsen: Markenrechte, Vertragsrechte, Patentrechte würden parallel und aufeinander geschichtet werden, um zumindest der Software-Industrie einen restriktiven Zugriff auf bestimmte Werke zu sichern. Während etwa die Software des Webbrowsers Mozilla Firefox als freie Software GPL-lizenziert ist, verfügt die Mozilla-Foundation als Entwickler über die Wortmarken Mozilla und Firefox und behält sich damit das Recht auf die Distribution der Software unter diesem Namen vor. Eine Nutzung würde somit als Markenrechtsverletzung deklariert werden können.

Abschließend trug Cramer seine Kritik an dem 2000 von Volker Grassmuck ausgeführten Konzept der Wissensallmende vor: In Nähe zu einer „Blut- und Boden-Rhetorik“ und als Rückkehr zu einem Kollektivromantizismus (ein Modell ohne individuelle Autorenschaft, ohne Eigentum und ohne Urheberrechte) würde aus der Ablehnung eines reaktionären Autoren- und Werkmodells ein „Ursuppenmodell“ propagiert werden, das für nicht konsensfähige Kunstprojekte keine Alternative darstellen kann. Denn gerade jene Formen, die wie Wikipedia nach einer freien Kollaborationslogik mit freien Lizenzen operieren, hätten oft einen Konsenszwang und Mainstreamcharakter. Und dies wäre durchaus kein Zufall.

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