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Kinematografisch-theatrische Experimentalität. Zum Auftakt des Berliner Theatertreffens 2025

Der so einfach wie brutale Plot des Dramas ist schnell erzählt: zehn Frauen – drei Generationen eines Familienverbunds und ihr Personal – drehen sich um einen Mann, der als (beinahe) Einziger überleben wird, ohne dass er zur Handlung auch nur eine einzige Textzeile beigetragen oder erkennbar Zutritt in das Frauenhaus (außer als begehrtes Foto) gehabt hätte. Die Frauen werden in einem kollektiven Feminicidio Täter-und-Opfer-zugleich eines, ja ihres perfiden Macht- und Unterdrückungssystems in einem, ja ihrem verschlossenen Familiensystem. Hier können also nicht die Gründe liegen, dass die Inszenierung von Federico García Lorcas Dreiakter „Bernarda Albas Haus“ durch Katie Mitchell am Hamburger SchauSpielHaus zum 62. Berliner Theatertreffen als eine der zehn besten Theaterinszenierungen der Saison aus dem deutschsprachigen Raum eingeladen wurde.

Bernarda Albas Haus © Deutsches SchauSpielHaus Hamburg, Screenshot aus: https://www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen/programm/2025/10-inszenierungen/bernarda-albas-haus

Das Herausragende dieser Inszenierung ist die kinematografisch-theatrische Experimentalität der Aufführung des Dramas, das Lorca 1936 zwei Monate vor seinem Tod fertig stellte und mit dem er als Teil einer Trilogie, so die dominierende Lesweise, gegen die Unterdrückung der Frauen im faschistischen Spanien der 1930er Jahre anschrieb. Das Drama spielt sich über 90 Minuten in dem quergeschnittenen zwei-etagigen Wohnhaus ab, das als Breitbild angelegt ist (Bühne Alex Eales): in der unteren Etage mittig ein größerer Gemeinschaftsraum mit einem gemeinsamen Esstisch, rechts flankiert von einer Küche, durch deren Fenster gleißendes Licht einer Außenwelt dringt, links versperrt ein massives Gittertor den Weg in dieses sich dahinter andeutende Außen. Bernarda, titelgebende Schlüsselfigur des Stücks, hat eben diese Schlüsselgewalt über das Frauenhaus, in dem „Peter“ als Projektionsfläche für Begehren, Lust, Eifersucht, Neid, Schmerz, Sehnsüchte … aller Bewohnerinnen dient. In der zweiten Etage des Hauses reihen sich der Breite nach einzelne Schlafzellen der Frauen aneinander, der fünf Töchter und der so ver-rückten, wie wahr-sprechenden Großmutter, die als Kassandra monologisch durch die Stockwerke, Zeitsphären und Bedeutungsebenen irrt. Beide Etagen sind durch eine Treppe miteinander verbunden. Das Geschehen wird als eine Totale inszeniert, das Publikum hat einen freien Blick auf das gesamte einsehbare Geschehen.

Bernarda Albas Haus © Deutsches SchauSpielHaus Hamburg, Screenshot aus: https://www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen/programm/2025/10-inszenierungen/bernarda-albas-haus

Wie in einem Splitt Screen finden nun in den zehn Räumen auf zwei Etagen und dazwischen parallele Einzelhandlungen statt, die zu Mise en Scènes choreografiert sind. Hin und wieder synchronisieren sie sich durch gemeinsame Sprechanteile der ineinander montierten Dialoge. Diese Technik der parallelmontierten, über- oder auch einschneidenden dezentralen Konversationen verlangt entweder maximale Aufmerksamkeit oder aber Selektionstechniken der Wahrnehmung, um im Plot zu bleiben – oder aber die Gewissheit, dass der Plot auch beiläufig begriffen werden kann. Hin und wieder zentralisieren sich die Einzelhandlungen auch zu einer einzigen Handlung im Gemeinschaftsraum, aus der die Beteiligten aber wieder herausdrängen oder herausgedrängt werden und in die um- und anliegenden Räume und Zwischenräume flüchten. Die Totale des Bühnenbildes wird so zu einzelnen Szenenbildern, in dem in Zusammenarbeit mit Lichteffekten (James Farncombe) das filmische Repertoire von Einstellungsgrößen (von Panorama über Halbtotale und Halbnahe bis hin zu Großaufnahmen) eingesetzt wird, ohne dass je ein technischer Einsatz, zum Beispiel einer Videokamera stattfände. Kombiniert wird diese Splitt Screen-Technik mit Tempi-Änderungen in Form von geschwindigkeitsverlangsamenden Zeitlupen von Bewegungsstudien der Schauspieler*innen. Denn Mise en Scène bedeutet im Film nicht nur einen Raum, sondern auch eine Zeit zu organisieren. Diese Tempi-Änderungen schaffen zusammen mit einem starken Sound (Melanie Wilson) einen gestreckten Platz für dramatische Momente, die in dieser Medialität verfasst sprachlos bleiben und ihre rezeptive Wirkung entfalten können. In ihrer Montage ähnelt Mitchells „Bernarda Albas Haus“ daher einem filmischen In-Szene-Setzen im Theaterraum.

Bernarda Albas Haus, © Thomas Aurin

Denn menschliche Dramen entwickeln sich nicht nacheinander, proportional oder kausal begründbar. Sie passieren, ohne dass ihr Verlauf von einem Fluchtpunkt einer perspektivischen Ab-Bildung als ein Brennpunkt gesteuert, choreografiert, kontrolliert, vorhergesagt oder arrangiert werden könnte. Vielmehr überlagern, dynamisieren und kreuzen sich die Emotionen, Ereignisse, Stimmungen, Vorhaltungen und Projektionen. Und so synästhetisieren sich die Kräfteverhältnisse der Ereignisse in ihren Sicht- und auch Nichtsichtbarkeiten, ohne das inszenatorische Schwerpunkte betont werden müssten. Genauso mergen die Texte (Alice Birch, übersetzt von Ulrike Syha) in- und übereinander zu einem verstörenden Rauschen und potenzieren sich zusammen mit einem anschwellenden Elektroniksound, der mal funktional extradiegetisch als verbindender Soundteppich eingesetzt wird, mal intra- genauer autodiegetisch sich mit dem Plot verbündet und dessen Dichte und damit seine Dringlichkeit erhöht. So entsteht eine multisensorische Polyphonie vieler Bilder und Stimmen, die dem Ton selbst eine Plastizität inmitten des Theaterraums verleiht. 

Bernarda Albas Haus, © Thomas Aurin

Bei „Bernarda Albas Haus“ in der Inszenierung des Hamburger SchauSpielHauses handelt es sich um eine Variante postdramatischen Theaters, bei der allerdings nicht nur, wie hinlänglich erprobt, die Personen multipliziert und hinsichtlich ihrer Autorschaft, Identität oder Authentizität dekonstruiert werden. Hier werden auch die installativen Orte Teil eines szenischen Netzwerks und mit einer Handlungsmacht ausgestattet, so dass auch sie zu Mitakteuren innerhalb des (titelgebenden) Frauenhauses werden. Dieses Theater wird kinematografisch konstruiert, ohne dass wie bisher bekannt, eine Videokamera zum Einsatz käme. „Postdramatisch“ – vielleicht hier sogar spezifischer „dramatischpostdramatisch“– wird damit einmal mehr (statt einer Gattung) zu einem Verfahren, Theater zu machen. Interessant dürfte sein, wie die TV-Produktion von 3sat das Filmische dieser Theaterinszenierung aufgreifen und sich wiederum in deren Medialität niederschlagen wird: Samstag, 3.5.2025, 20:15 Uhr auf 3sat oder für ein Jahr in der Mediathek der Berliner Festspiele zu sehen.

Bernarda Albas Haus, 02.05.205, © Berliner Festspiele, Foto: Fabian Schellhorn

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