Aus der „Waffenlounge“…

Unter dem Titel Waffenlounge bündelte das Berliner Hebbel am Ufer im Dezember 2014 Theaterproduktionen, Performances, Installationen, Screenings und Expertengepräche, die sich thematisch mit Waffen und dem Waffenhandel, mit Gewalt und Rüstungsgütern auseinandersetzen.

Anlass hierfür ist unter anderem, dass Deutschland nach den USA und Russland der weltweit drittgrößte Rüstungsexporteur ist: Der Gesamtwert betrug im 1. Halbjahr 2014 2,2 Mrd Euro, davon entfielen 400 Mio Euro auf Lieferungen an EU-Länder, 412 Mio Euro an Nato und Nato-gleichgestellte Länder und 1,4 Mrd Eur an Drittländer. Die wichtigsten Bestimmungsländer waren dabei Israel (U-Boot), USA (Gewehre, Maschinenpistolen, Munition, Kampfhubschrauber) und Singapur (Kampfpanzer). (Quelle: BMWI)

2014_Waffenlounge

Hans-Werner Kroesingers neueste Produktion Exporting War basiert auf einer gründlichen Halb-Jahres Recherche zur europäischen Rüstungs- und Sicherheitsindustrie. Die sechs Darsteller Judica Albrecht, Katrin Kaspar, Lisa Scheibner, Lajos Talamonti und Armin Wieser rezitieren Texte unterschiedlichster Herkunft: von Auszügen aus Carl von Clausewitz Vom Kriege aus dem Jahr 1812 oder Sigmar Gabriels Ausführungen vom 8.10.2014, Waffenexporte vom Wirtschafts- ins Aussenministerium zu verlagern, über die Erfolgsgeschichte des 200 Jahre alten Unternehmens Heckler & Koch (ehem. Waffenfabrik Mauser, ehem. Königlich Württembergische Gewehrfabrik in Oberndorf im Schwarzwald, dem Wahlbezirk Volker Kauders) und Präsentationen konkreter Waffen wie das Sturmgewehr G3 oder dem SIG SAUER SSG 3000 Target (mit Tasche und RWS Munition) bis hin zu Transkriptionen aus den Kommunikationsberichten der Piloten und Operatoren des Drohen-Angriffs am 21.2.2010 im Dorf Khod in der Provinz Urusgan, Afghanistan und aktuellen Plänen der Bundesregierung, Kampfdrohnen bzw. offiziell „Unbemannte Luftfahrzeuge“ anzuschaffen und einzusetzen, die die bewaffnete Gewalt in Zeit und Raum unbestimmt werden lässt.

100 Minuten Textmassen, die das Schlachtfeld nicht nur thematisieren, sondern auch gegen den Zuschauer munitionieren: Statt spezifisches Theater-Repertoire gewinnbringend zum Einsatz zu bringen, werden die Auszüge aus Reden, Interviews, Werbebroschüren etc. linear, unverdichtet und unpointiert über und in eine gemeinsame Hochglanzoberfläche der distanzierten Sprache und Körperlosigkeit homogenisiert und die impliziten, jeweils unterschiedlich eingesetzten und wirksamen Rhetoriken, Ideologien und Zynismen abgeschliffen. Strukturiert wird lediglich über wandernde Blechwände, Licht- und Klangräume und den Einsatz von Requisiten (Rednerpult, Nerzpelz, Reisetasche, Globus, Cocktailgläser). Ein Dokumentartheater ohne Theater, das durch ein informatives Programmheft inkl. Literaturhinweisen und mit Tafeln im Foyer ergänzt wird, die eindrücklich Auskunft geben über die Hauptstadt-Dependance z.B. von Rüstungsfirmen wie DIEHL (Nürnberg) und Krauss-Maffei Wegmann (München) am Pariser Platz 6, in unmittelbarer Nähe des Deutschen Bundestags… (Weitere Kritiken hier)

Auch die an die Aufführung am 13.12.2014 anschließende Diskussionsrunde mit dem Politiker Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), der Journalistin Ulrike Winkelmann (DLF) und dem Regisseur Hans-Werner Kroesinger, moderiert von dem Journalisten John Goetz (NDR/ARD), trug dazu bei, die Textmengen zu strukturieren, vor allem zu positionen: Winkelmann machte auf eigentümliche Begründungszusammenhänge im Bereich von Waffenlieferungen und Exportgenehmigungen, also im Feld von Wirtschaft und Politik aufmerksam und forderte, dass statt einer Politikkritik aktuell eine Industriekritik erforderlich sei, die die blinden Flecke bzgl. der Maschinenproduktion in Deutschland in den Blick nimmt. Ströbele führte zu Sicherheitsabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit 28 Ländern aus, das unterschriftsreife Abkommen mit Mexiko sei aufgrund der dort seit Jahren ansteigenden Gewalt und Kriminalität zunächst erst einmal zurückgestellt. Eine Strafanzeige gegen Heckler&Koch wegen ungenehmigter Waffenlieferungen nach Mexiko liege, so Ströbele, seit längerem auf dem Tisch der zuständigen Staatsanwaltschaft Stuttgart – ob die verzögerte Bearbeitung damit zu tun habe, dass es sich um Volker Kauders Wahlbezirk handelt, ließ Ströbele offen. Zwei mexikanische Studenten aus dem Publikum aktualisierten das Thema auf die 43, im September 2014 entführten, sehr wahrscheinlich getöteten und verbrannten Studenten und nahmen der „Waffenlounge“ des HAU die museale Beschaulichkeit und Bequemlichkeit.

2014_Waffenlounge2

Derek Gregorys Vortrag Angry Eyes am 11.12.2014 basierte motivisch auf einem Angriff am 21.2.2010 im Ort Khod in der Provinz Urusgan, Afghanistan: Der Einsatz von US-Spezialeinsatzkräften und Soldaten der afghanischen Armee in Hubschraubern, einer Predator-Drohne, einer Drohnenmannschaft auf der Creech Air Force Base in Nevada unter Einbindung der US-Ramstein Air Base (video analysts, geospatial analysts, screeners…) führte zu mehr als 30 getöteten und 12 schwer verletzten Zivilisten. Gregory, Professor für Politische Geografie an der University of British Columbia in Vancouver, untersuchte im Detail den 2000-seitigen Bericht und extrahierte anhand der Kommunikation der Predator-Mannschaft per IRC und Funk Differenzen in der Wahrnehmung, Differenzen in der Interpretation, Missdeutungen durch Zeitverschiebungen, Konflikte in der Befehlsstruktur… Gregory stellte damit heraus, dass Drohneneinsätze ein ganzes Netzwerk aktivieren, das sieht, wahrnimmt, spricht, deutet, sich abstimmt…, Drohneneinsätze demnach nicht objekthaft, sondern eingebettet gedacht werden müssen. In der Folge müsse, so Gregory, von einem Cultural Turn die Rede sein, da es sich bei Drohneneinsätzen um veränderte Visualitäten (Fotos, Videos), um veränderte Implikationen des Sehens und des Interagierens, um Distanz- und Raumänderungen, um erhöhte Abstrahierungen und Komplexitäten, um einen Wechsel in den Verantwortlichkeiten, um einen erhöhten Bürokratieeinsatz trotz verstärkter Intransparenzen, um immanente Theatralitäten und um ein „Militainment“ handelt. Noch seien Drohnen allerdings laut, langsam zu manövrieren, schwer zu kontrollieren, daher würden sie nur in Zusammenhängen eingesetzt, in denen nicht zurück geschlagen werden könne.

2014_Waffenlounge3

Die Gesprächsrunde Waffenphantasien: Blind Spots in Kunst, Philosphie und Wissenschaft mit Ellen Blumenstein, Daniel Tyradellis, Herfried Münkler und Amir Yatziv am 15.12.2014 bereitete die Ausstellung Fire and Forget. On Violance in den Berliner Kunstwerken (ab 24.5.2015) vor, die parallel zur Waffenlounge schon mit einem Teaser im HAU2 präsentiert wird: Die Kuratoren Blumenstein und Tyradellis führten zu ihren Schwierigkeiten aus, künstlerische Arbeiten zu finden, die ambivalent statt affirmativ vorgingen, d.h. die die Frage nach der Ambivalenz von Waffen, der Gewalt und gleichzeitiger Faszination in den Ausstellungsraum zu transportieren in der Lage seien. Das Projekt „The Urburb“ einer Gruppe israelischer Architekten, Künstler, Kuratoren und Theoretiker beispielsweise lässt im Ausstellungsraum vier umfunktionierte Drucker die sich verändernden Grenzen Israels im gesamten 20. Jahrhundert in den Sand der Negev Wüste zeichnen, wegwischen, neuzeichnen, wieder wegwischen, überlagern, neuzeichnen… Auch stolperten die Kuratoren in ihren Vorrecherchen über die Erkenntnis, dass ein fehlendes technisches und historisches Wissen über Waffen zu einem zwingend hohen Erklärungsaufwand führten, der allein auf der Ebene der Wahrnehmung nicht oder nur schwer zu bewältigen sei. Dennoch seien sie von den Qualitäten der Kunst überzeugt, Themen zur Sichtbarmachung an die Oberfläche zu holen, Verbindungen und Knotenpunkte zwischen individuellen und gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen herstellen und als Affektauslöser und mit dem Potential einer differenzierteren Wahrnehmung Fragen stellen zu können, die etwa von den Wissenschaften nicht aufgegriffen werden können. Münkler, Politikwissenschaftler an der HU Berlin, belehrte sie in der Performierung seines Jobs vom Gegenteil – jener Zauberei des Denkens, das auf profunden Grundlagen zu präzisen Beobachtungen und originellen Thesen führt. Drei Beispiele: Er führte zu dem schlechten Ruf von Grenzen bzw. der positiven Konnotierung vom Akt des Einreissens und Überwindens von Grenzen im deutschsprachigen Raum aus, obwohl jede Ordnung zunächst erst einmal mit einer Grenzziehung beginne. Er wies auf die signifikante und aussagekräftige Umbennenung der ISIS zum IS, vom Islamischen Staat im Irak und Syrien zum Islamischen Staat hin, der sich nun ohne festgelegte geografische Grenzen und damit auch mit einem neuen Programm präsentiere. Und er veranschaulichte die These von einer aktuellen Hybridisierung des Krieges: Er sei nicht mehr als ein binäres Konstrukt aus Krieg und Frieden zu denken, da sich ein Drittes einschleichen würde und zwar in Form eingefrorener Kriege, mit zum Einsatz gebrachten Truppen, die aber als Polizei agieren. Neue Kriege seien (heute) Raubkriege und Polizeiaktionen.

Schreibe einen Kommentar