Es ist gut, dass an diesem goldenen Herbst Sonntag-Mittag immer auch der Hauch des Hofnarren mitschwingt, wenn Jonathan Messe, begleitet von seiner Mutter und Ratgeberin, Brigitte Messe, sowie Intendant Thomas Oberender im Foyer des Berliner Festspielhauses mit Pressevertretern durch die von ihm errichteten Installationen wandelt, die seine Opernregie bei „Mond-Parsifal Beta 9-23″* flankieren. Unterstrichen wird seine Rollenbesetzung dabei durch zahlreiche Anleihen an eine Stand-Up Performance.
Wollte man diese Rollenzuschreibung nicht zugestehen, blieben allerdings inkonsistente Eindrücke zurück.
Jonathan Meese, Mutter Brigitte Meese sitzend links
1970 in Tokio geboren, nach der Trennung der Eltern im Alter von 3 Jahren als nur englisch sprechender Knirps mit erheblichen Anpassungsschwierigkeiten nach Deutschland übergesiedelt, ist Jonathan Meese von seinen Positionen äußerst überzeugt und sieht sich dabei gar in Nachfolge von Galileo Galilei, dem zu seiner Zeit auch nicht geglaubt wurde, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel ist, wie Meese an geeigneter Stelle anmerkt. Ihm geht es bei diesem Selbstvergleich um die Irrtümer. Heutige Irrtümer identifiziert er in Parteien, in Politik, in Demokratie, in Religionen.
Parsifal ist der Retter. Und am Ende bleibt nur die Kunst.
Meese lässt sich zunächst ausgiebig darüber aus, wie die Trennung der Bayreuther Festspiele von ihm 2014 vonstatten ging und, dass es sich um eine gegen ihn gerichtete Intrige handelte. Er wurde eingeladen und sollte alle Freiheiten haben, die ein Künstler haben könne. Als sich der erste Ansatz, für ein Frühwerk Wagners das Bühnenbild zu machen, zerschlagen hatte, kam das „Riesenangebot“, für den „Parsifal“ sowohl Bühnenbild und Kostüm als auch die Regie zu übernehmen, begleitet von einer Ausstellung im Haus Wahnfried. „Und plötzlich: Eis, […] Eisgesichter, Angst.“ Die Pläne seien nicht finanzierbar und nicht realisierbar, hieß es. Seine Anregungen, die Finanzierung durch Sammeln mit dem Hut in der Berliner Paris-Bar oder auf eigene Kosten sicher zu stellen, wurden von Katharina Wagner mit der Begründung abgelehnt, dass man so etwas auf dem Grünen Hügel nicht machen würde. Als Gesamtkunstwerk, evolutionär inszeniert, wollte er den „Parsifal“ realisieren. Und mit „Liebe“, wie er an verschiedenen Stellen immer wieder zur Selbstversicherung und auch als Distinktionsmerkmal denjenigen gegenüber in Stellung bringt, die in und um Bayreuth nicht so wollen oder wollten wie er.
(Weiteres hierzu im DLF)
Und dann zeigt sich die Abrechnung mit Bayreuth nicht nur verbal, sondern nahezu über den gesamten 1. Stock des Berliner Festspielhauses verteilt, wo er u. a. drei begehbare Sperrholzboxen ohne Decke und vierte Wand errichtet, mit Videos und bemalten aufblasbaren Objekten, Helmen, Plastikblumen, Kuscheltieren, Kinderbadetüchern etc. arrangiert und u. a. als „Fischbude Bayreuth“ und „Wursttheke Bayreuth“ markiert hat. An der zentralen Wand des Erdgeschoss-Foyers kulminieren schließlich die verschiedenen Linien seines im gesamten Haus auskragenden Kosmos auf Leinwand. Ähnlich sprunghaft wie seine gesamte Performance sind auch die Leitmotive, die sich zum Teil an anderer Stelle als Meeses Dogmen entpuppen: „Kunst ist gleich Liebe“, „Kunst ist gleich Wurst“, „Kunst ist gleich Mond“, „Kunst ist ungleich Politik“, „Kunst ist ungleich Ich“, „Kunst ist gleich Demut“, „Kunst ist gleich S.T.U.N.K.“, „Kunst ist gleich Hmmmm“, „Kunst ist ungleich Lifestyle“ und „Kunst ist ungleich Kultur“.
Eine regelrechte Tirade ergeht über diejenigen, die in Talkshows auftreten und nicht wie er sich diesen verwehrt haben. Auf die Frage, ob er denn Christoph Schlingensief, den er zuvor wertschätzend erwähnte, insofern auch als einen Kultur-Affen qualifizieren würde, antwortet er: „Der hat damit gespielt, mal Kulturaffe, mal Kunst. Also der konnte das auch aushalten, das hat der auch ausgefüllt, der musste in Talkshows gehen. Der hatte ein anderes Anliegen. Also das kann ich so nicht. Also ich geb dann ja auch so alles, ich würde ja den Rahmen auch sofort sprengen. Ich bin ja viel härter als Kinski, weil ich sag ja keinen Unsinn, sondern das ist ja alles fundiert und gegen bestimmte Sachen gerichtet.“
So ist seine gesamte Performance gespickt von Bashings: gegen die Wagnerianer, gegen die Talkshow-Affen, gegen Parteien, gegen die Politik, gegen Religionen, gegen jede Ideologie. Auf Nachfrage bekommt auch Joseph Beuys noch sein Fett weg, denn mit seinen politischen Aktionen durch Gründung der Studentenpartei und Mitbegründung der Grünen habe er einen radikalen Fehler begangen und ist daran auch zugrunde gegangen. Das war Hochverrat an der Kunst, so Meese. Nicht nur kriecht hier aus Meese eine an Adorno angelehnte, erzkonservative Kunstselbstbegrenzung hervor, sie ist vielmehr selbst Ideologie, die er an anderer Stelle so vehement ablehnt. Und sie steht nebenbei bemerkt auch nicht im Einklang mit Grundsatzurteilen des Bundesverfassungsgerichts, das nur einen offenen Kunstbegriff als tauglich befunden hat, um der menschenrechtlich und grundgesetzlich verankerten Kunstfreiheit gerecht werden zu können (BVerfGE 67, 213). Vermutlich wähnte Meese bei Beuys zwar nur einen besonders großen Verrat, denn Hochverrat bezeichnet grundsätzlich einen anderen Sachverhalt, offen bleibt bei diesem Ansatz jedenfalls, was an Kunst eigentlich zu verraten sei.
Ob sich das bei Meese darin findet, dass er schließlich Kim Jong-un zum einzigen „Typen“ erklärt, der noch sein Volk formieren könne, der aus seinem Volk noch Kunst machte, bleibt ebenso ungeklärt wie auch die Frage, wie im Raum der Politik, die nach seiner Dogmatik nie Kunst sein kann, mit Kims Handhabung seines Volkes Kunst entstehe.
Sollten Vertreter überkommener Strukturen schon einmal mit dem Gedanken konfrontiert gewesen sein, durch Künstler oder deren Arbeiten herausgefordert oder gar in Bedrängnis gebracht zu werden, so haben sie von Jonathan Meese wohl eher nichts zu befürchten. Er beschränkt sich mit seinen Materialien, Parolen, Gegenständen und Aktionen auf eine hinlänglich bekannte und tradierte Formensprache der Moderne und lädt plakative Slogans allenfalls verbal mit großem Wort und großer Geste auf. Wenn Thomas Oberender mit Bezug auf den Kontext der Veranstaltung „Immersion“ herausstellt, dass es keinen Raum schaffenderen Künstler als Jonathan gebe, dann entfalten die dargebotenen Werke diese Dimension jedenfalls nicht. Vielmehr liegt über fast allem der Geruch der Abrechnung einer berechtigt oder auch unberechtigt gekränkten Seele mit der Wagner-Institution Bayreuth.
Aber wie eingangs mit der Rollenzuschreibung angesprochen, muss man diese Konsistenzlücken auch nicht in den Blick nehmen.
Vielleicht bleibt dann am Ende seiner Presse-Performance kurzweiliges Entertainment.
*MONDPARSIFAL BETA 9–23 (VON EINEM, DER AUSZOG DEN „WAGNERIANERN DES GRAUENS“ DAS „GEILSTGRUSELN“ ZU ERZLEHREN…)
Oper von Bernhard Lang nach Richard Wagners „Parsifal“
Musikalische Leitung: Simone Young
Regie, Bühne und Kostüme: Jonathan Messe
Auftragswerk und Produktion Wiener Festwochen, Koproduktion Berliner Festspiele / Immersion