Am Königsweg als Scheideweg. Zu Elfriede Jelineks Umgang mit Trump …

…und Stephan Kimmigs Inszenierung am Deutschen Theater Berlin.

Die Augäpfel entfernen, die Ohren durchstechen, das Gehirn absaugen und die Zunge rausschneiden lassen – kommt man dann besser durch dieses Leben?, fragt Elfriede Jelinek in ihren jüngsten Textkaskaden, mit denen sie, so lautet der Gründungsmythos, am Abend der letzten US-amerikanischen Präsidentschaftswahl im November 2016 begonnen habe. „Am Königsweg“ ist das Stück der Stunde, am Hamburger Schauspielhaus von Falk Richter, am Theater Heidelberg von Mirja Biel, am Frankfurter Schauspiel von Milos Lolic , am Schauspielhaus Zürich von Stefan Pucher, am Theater an der Ruhr von Philipp Preuss und nun am Deutschen Theater Berlin von Stephan Kimmig inszeniert.

Während die Medien noch Trumps Gezwitscher auf den Leim gehen und die Politik noch auf der Suche nach einem Umgang mit Trumps distributiver Verhandlungsführung einer Win-lose-Situation sucht, nähert sich Jelinek mit ihren sog. Textflächen (eine Bezeichnung, die Jelineks Durchlöcherungen und Wucherungen unterschlägt) dem Phänomen Trump, ohne ihn auch nur ein einziges Mal beim Namen zu nennen. „Feng Shui für den Kopf“ bewertet sie ihre Total-OP, um im Anschluss weder sehen noch hören, weder denken noch sprechen zu können/zu müssen, und das heißt für sie, um einen gesunden, fließenden, stimmigen Umgang mit der aktuellen Situation, mit dem Overkill an Spam, Fake News, Gossip und Bubbles, mit den Absurditäten, Obszönitäten und Banalitäten zu finden. In bekannter kompositorischer Schreibweise findet Jelinek ihren gedanklichen und sprachlichen Umgang, kombiniert Irrwitz, Komik und Trash mit klassischer Philologie und Gender Forschung, nimmt hierin Verschränkungen von Literatur, Musik, Theater, Popkultur und Alltagspraxis vor und verkettet die Themenkomplexe Antike Mythen (hier: Medea, Ödipus, Elektra), Rechtspopulismus, Kapitalismus, Globalisierung, Wahlen, Schuldenpraxis, Geschlecht, Gewalt und Führerbegeisterung.


Auf dem Bild: Linn Reusse, Anja Schneider, © Arno Declair.

Stephan Kimmig hat die Kompositionstechnik Jelineks auf die Bühne übertragen, mit, wie Dramaturg Ulrich Beck in einem Einführungsvortrag betont, maximaler Freiheit für die Regie. Seine Forderung war, mit dem Ensemble seiner Inszenierung „Die Glasmenagerie“ arbeiten zu können, mit den DarstellerInnen Anja Schneider, Linn Reusse, Marcel Kohler und Holger Stockhaus (hinzu kam Božidar Kocevski) sowie der Bühnenbilderin Katja Haß, die nahezu alle Bühnenbilder der letzten Jahre für Kimmig entworfen hat. Von der „Spieldauer vielleicht 3,7 Tage“ (Robin Detje im Programmheft zum Stück, S. 9) auf zwei Stunden gekürzt, überträgt Kimmig Jelineks Text in ein barockales Referenzgewebe aus Show (u. a. Muppet Show, Koch-, Akrobatik- und Zaubershows), Film (u. a. Stummfilm, James Bond, Edward mit den Scherenhänden, Western), TV (u. a. Sitcoms, Kochshows), Pop (u. a. Donald Duck, Miss Piggy, Kermit), Musik (u. a. Hip Hop, mexikanische Mariachi-Musik und Abendlied), Tanzstilen (u. a. Twerking, Pas de deux zu dritt und Street Dance), rhetorischen Figuren (u. a. Häme, Sarkasmus und Spott), Mode (u. a. grelle Overalls mit Puffärmeln, Schulterpolstern und Bundfalten zusammen mit Hip-Hop Beanie, blonden Haarverlängerungen und Nike Air Max 97 in Metallic Gold), Dialekten (u. a. schwäbisch, berlinerisch, sächsisch, wienerisch) und Situationskomik (u. a. Slapsticks, Sight Gags, Running Gags). Die Darstellerinnen, zuvorderst Anja Schneider und Holger Stockhaus, jonglieren (nicht nur im übertragenen Sinne) durch die Textvorlage und entdecken in deren Polysemantik weitere semantische Ebenen in/durch Rhythmisierungen und Akzentuierungen der Sprache.

Dieses modulare Kompositionssystem findet sich auch in dem Bühnenbild von Katja Haß wieder, die die Bühne mit einem fast deckenhohen Küchenmodulsystem aufstapelt und damit fortsetzbar, aneinander reihbar, aufeinander aufsetzbar, ineinander verschiebbar … macht. Le Corbusier entwickelte in den 40er Jahren ein an Vitruv orientiertes Proportionssystem, das auf den menschlichen Körpermaßen basiert und seine Anwendung in Corbusiers Wohneinheiten  u. a. in Marseille, Nante und Berlin Anwendung finden sollte. Diese Assoziation provoziert die Frage nach den Verhältnissen und damit eine kontextualisierende Betrachtungsweise: In welcher Proportion/Kondition/Konnexion steht das Untersuchungsobjekt des Abends, das durch einen Wischmopp von Wileda [sic] in Szene gesetzt wird? Jelinek lässt sich dazu offensiv an das Publikum richten: „Ich beschuldige Sie/uns der Urheberschaft dieser Krise!“ Und Kimmig lässt die Darsteller in der Showküche einen in absurder Überhöhung gemixten Brei aus Wiener Würstchen, Gurke, Senf, Essig und Öl auf der wohnzimmerprivatisierten Bühne verspritzen, auflecken und ausspeien – Verdauung gescheitert. Dazu gibt es metaphorisch aufgeladene Küchenschränke-„Hängepartien“ von Kocevski in goldenem Ganzkörperanzug sowie lautstarke Platzpatronen von Stockhaus (ausgestattet mit Jelinekscher Haarschnecke) – Platzpatronen simulieren den Feuerschuss bekanntlich nur akustisch. „Falls Sie Ihre Weltanschauung suchen, ich habe sie auch nicht“, lässt Jelinek dem Publikum ausrichten.


Auf dem Bild:Linn Reusse, Anja Schneider, Holger Stockhaus, Marcel Kohler, Božidar Kocevski, © Arno Declair.

Statt in Wehmut, Nachdenklichkeit oder Anklage zu verfallen, wird das Publikum allerdings über die beschwingte Inszenierungsabfolge von Kalauern, Slapstick und Körperparodien zu unbeschwertem Lachen angeregt – wie schon im März 2018 bei der Buchpräsentation von „Fire and Fury“ von Michael Wolff an der Berliner Volksbühne, als das Publikum sich über Trumps bisher gehaltene Reden prächtig amüsierte. Aber: Hat uns dieser Umgang nicht schon einmal irregeführt und zwar vor dem Abend der letzten US-amerikanischen Präsidentschaftswahl im November 2016? Zum Ende der Inszenierung stimmt das Ensemble, derangiert, verschwitzt, verschmiert und von den Kostümen und Requisiten weitestgehend entledigt, das „Abendlied“ von Hanns Dieter Hüsch an und bricht damit das Gute-Laune-Feuerwerk ab: „Sie sind meine ultimative Kränkung, Herr König“, lässt sich Jelinek an Trump wenden und Kimmig verdeutlicht damit inszenatorisch, dass wir nach einem Irrweg an einem Scheideweg angekommen sein könnten.


Auf dem Bild: Božidar Kocevski, © Arno Declair Weitere Kritiken hier

Birte Kleine-Benne

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