Archiv der Kategorie: (a)(r)(t)SERVICE

Der Neue Realismus?

Während vor etwa 100 Jahren im Rahmen sogenannter Völkerschauen auf Europas und Nordamerikas Jahrmärkten, Volksfesten, Varietees oder Gewerbe- und Kolonialausstellungen sog. „Lippenneger“, „Kanaken der Südsee“ (Münchner Oktoberfest, 1931) oder „Eingeborene“ im Düsseldorfer Zoo (1937) gezeigt wurden, nimmt nun in Hamburg, “dem Ort der Gründung des Tierpark Hagenbeck durch den Völkerschauausrichter Carl Hagenbeck (1907)“ die Wiener Künstlergruppe God’s Entertainment die Technik des Zurschaustellens auf und präsentiert im Rahmen des Live Art Festivals Zoo 300 auf Kampnagel „sechs bis neun Randgruppen-Menschenarten“ (O-Ton):

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Lulu still-gestellt

Die angekündigte Kontextverschiebung Alban Bergs Oper „Lulu“ in Raum, Zeit und Musik des Südstaaten-New-Orleans der 50er Jahre und ins New York der 70er Jahre erscheint zunächst als ein interessantes Gedankenexperiment. Was mag passieren, wenn Lulu, die junge Protagonistin in Bergs unvollendeter Oper von 1937 (nach literarischer Vorlage von zwei Tragödien von Frank Wedekind 1895 bzw. 1902) und ihr sozialer Auf- und Abstieg in ein gesellschaftliches Setting von Rassismus und Black Power Movement eingepasst würde? Was mag darüber hinaus passieren, wenn die Hautfarbe zum zentralen Thema und als Ursache für den Auf- und Abstieg der jungen Frau indiziert, wenn ihre Biografie als eine doppelte Emanzipation, sowohl von Geschlecht als auch von Ethnie erzählt und wenn lesbische Liebe als Moment widerständiger Selbstverwirklichung vorgeschlagen würde? Und was mag passieren, wenn Bergs ersten zwei Akte für ein 27-köpfiges Jazz-Ensembles neuinstrumentiert und der dritte neu geschrieben würde (die Rechte sind seit 2005 frei) und nun Blech- und Holzbläser, ein elektrisches Klavier, E-Gitarre, ein paar Streicher und eine Mississippi-Orgel den Klang des Geschehens bestimmen?

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Alfredo Jaar wird in Berlin zum Klassiker…

3 plus 1 monografische Ausstellungen machen Alfredo Jaar nun endgültig zum Klassiker der Kunstgeschichte:

Die Ausstellung mit dem Titel „The way it is. Eine Ãsthetik des Widerstands“ gibt einen retrospektiven Überblick über 4 Jahrzehnte künstlerischer Arbeit – zeitgleich in den drei Berliner Institutionen Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK – RealismusStudio), Berlinische Galerie und Alte Nationalgalerie, gerahmt durch Vorträge und Screenings.

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Zwei Schwergewichte…

Gleich mit zwei schwergewichtigen Ausstellungen setzt Okwui Enwezor seine Direktorenschaft am Münchner Haus der Kunst fort:

Bild-Gegen-Bild (noch bis 16.9.2012)

Und punktgenau zum 75. Jahrestag der Eröffnung:
Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937-1955 (noch bis 13.1.2013),
hieran angebunden das Symposium 75/20 (9./10.6.2012) unter Beteiligung illustrer Gäste wie Mike Bal, Hans Haacke, Alfredo Jarr, W.J.T. Michell oder Georges Didi-Huberman (Videos der Tagung hier)

Bild-Gegen-Bild untersucht die Interrelation von Bild und Krieg in dem Zeitraum nach 1990/1991, wie sie Mitchell 1994 in seiner Picture Theory hinsichtlich veränderter Bildpolitiken seit 1991 diagnostizierte. Mitchell verdeutlicht seine Bildtheorien eindrucksvoll mittels der Gegenüberstellung zweier medialer Ereignisse im Jahr 1991. Dieses Jahr startete mit dem kriegspopularisierenden CNN-Spektakel von ‚Desert-Storm‘ im Irak und endete mit einem kinematografischen Re-enactment der Ermordung Kennedys, dem Blockbuster ‚JFK‘ von Oliver Stone: 2 Ereignisse, die Mitchell als „America’s Culture Wars“ bezeichnet: „In short, for Americans who watch television news, 1991, was a year of war and publicity, not just the publicizing or representing of war, but the waging of war by means of publicity and representation.“

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NOT OUR MUSEUM … YOUR ACTION SPACE…

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…versprechen die Initiatoren (Artur Zmijewski zusammen mit Joanna Warsza) der 7. Berlin Biennale am Eingang der Kunstwerke und legen klare visuelle Spuren, in welchem Bedeutungsrahmen sie sich verorten wollen:

Zitiert wird aus Stephan Hessels Empört Euch! (2010), Revolutionsparolen sind auf die Wände aufgebracht, Julian Assange und Anonymous bild- und namentlich vermerkt, „Das Ende des Kapitalismus“ wird prognostiziert.

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Kunst in Verteidigung der Demokratie – Art in defence of democracy

„Ich will nicht innerhalb einer so genannten Demokratie Kunst herstellen. Ich will dazu beitragen, die Demokratie selbst zu gestalten“ sagt Jonas Staal und lädt im Rahmen der 7. Berlin Biennale zum „New World Summit“, einem zweitägigen Kongress am 4. und 5. Mai 2012 in die Berliner Sophiensäle ein.

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Das Parlament des „New World Summit“ soll, so Staal, eine demokratische Ergänzung der bestehenden politischen Ordnung bilden und einen öffentlichen politischen Raum schaffen, in dem das demokratische System selbst und zwar zugunsten der Idee einer fundamentalen Demokratie, des Ideals einer dauerhaften Bewegung, eines offenen Prozesses zur Diskussion steht.

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Murmel Murmel: Herbert Fritsch iszeniert Dieter Roth an der Berliner Volksbühne

Murmel Murmel schweizer Dichter, Grafiker, Aktions- und Objektkünstler Dieter Roth Murmel Murmel Murmel Murmel Gewürz-, Schimmel- und Schokoladenobjekte die als Eat-Art Murmel Murmel Murmel Murmel konkrete Poesie Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Theaterstück von 1974 für 11 Personen Murmel Murmel 176 Seiten auf gebräuntem Papier Murmel Murmel Herbert Fritschs Körpertheater Murmel Murmel Murmel Murmel Musik Ingo Günther und seine Percussioninstrumente Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel 11 Schauspieler Murmel Murmel Murmel Murmel Kostüme Victoria Behr Murmel Murmel Intertextualität zu Roths konkreten, monochromen Farbfeldmalereien in rot, gelb und grün Murmel Murmel Murmel Murmel surrealistische Referenzen Murmel Murmel Intermedialität bildende Kunst Murmel Murmel.

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„Zur Nachahmung empfohlen!“…

…überschreibt Adrienne Goehler die von ihr kuratierte Ausstellung mit dem Untertitel „Expeditionen in Ãsthetik und Nachhaltigkeit“. Wunderbar, den (kunsthistorischen und überwunden geglaubten) Aspekt des ‚Nachahmens‘ im Titel anklingen zu lassen und mit ‚Expeditionen‘ den prozessualen, experimentellen und betriebsamen Status zu betonen; Schade, dass auch Goehler keinen Alternativbegriff zu dem vernutzten der Nachhaltigkeit gefunden hat…

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Knapp 50 Künstler zeigen bis zum 10.10.2010 auf großzügigem Raum in den Uferhallen Berlin ihre künstlerischen Arbeiten und Praktiken, die im weitesten Sinne im Bereich der Ökologie angesiedelt sind, technische Erfindungen oder Politprojekte vorstellen (u.a. Jae Rhim Lees alternatives Begräbnissystem, Christoph Kellers Sonnenlicht-Reflektions-System fuer urbane, sonnenlose Räume), sich zum Klimawandel positionieren (u.a. Superflex‘ Apokalypse-Inszenierung in einem McDonald’s), ökologische Veränderungen dokumentieren (u.a. Cornelia Hesse-Honeggers Recherchen und Dokumentationen von radioaktiv verseuchten und mutierten Wanzen), partizipatorisch-aktionistisch intervenieren (u.a. Christin Lahrs 1-Cent-pro-Tag-Onlinebanking und Marx‘-Kapitaltransfer an die Bundesbank) oder alternative Handlungsansaetze anbieten (u.a. the Yes Men’s kapitalismuskritischen Neoaktivistenmethoden, Zwischenberichts ‚Berliner Schöpfung‘, einem Wasser aus der Berliner Panke, Gudrun F. Windloks Adoptionsservice für Europäer mit Bindungsängsten nach Afrika).

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Das große John-Bock-Wunderkammer-Imperium

…bis zum 31.08.2010 in der Temporären Kunsthalle Berlin mit dem Titel FischGrätenMelkStand.

In einem viergeschossigem Gerüstbau-Labyrinth zeigt die Ausstellung in Einzelkabinetten aus Stoffen, Sperrholz, Plexiglas, Campinganhängern oder Autoreifen mit so wundersamen Namen wie „Bonjour Tristess in der Kunstwohlfahrt“ oder „im Schatten der Made“, aber auch in Gerüstgängen und -auskragungen in die Höhe und Breite insgesamt etwa 150 Werke von über 60 Bock-Freunden und -kollegen wie Schlingensief, Kippenberger, Zobernig, Ackermann, Slominski oder Tiravanija.

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„Die Stadt gehört doch eigentlich uns allen…“

Letzter Termin ist vorerst der 16.4.2010 und zwar „mittendrin“ im praktizierten „Recht auf Stadt“ in Hamburg, das hier seit 2008 in Anspruch genommen wird. Christoph Schäfer, in Hamburg lebender Künstler, wird seine Publikation „Die Stadt ist unsere Fabrik“, ein Bildessay in 158 Zeichnungen (verlegt bei Spector Books Leipzig), im Hamburger Gängeviertel präsentieren, das seit August 2009 von 200 Künstlern besetzt wird.

In sechs Kapiteln erzählt Schäfer in unterschiedlichen Dichten und Geschwindigkeiten die Geschichte des Urbanen: Beginnend vor 60.000 jahren – vor 5.000 jahren dann die Erfindung der Stadt (als verdichtete Unterschiedlichkeit), Uchisar und Ischtar Tempel in Assur, über London, Paris und Kowoloon walled City… Angelehnt an Henri Lefebvres Theorie der Revolution der Städte (frz. 1970, dt. 1990), nach der Raum ein soziales Produkt sei und erst durch soziales Handeln entstehen würde, sich hieraus zwingend etwa das Recht der Anwesenheit oder das des Zugangs ergebe (Holm), zeichnet sich Schäfer mit Aquarellstiften vom Ur-Schlamm bis in die Hamburger „Recht auf Stadt“ Bewegung und versteckt nicht seine Abneigung der „glitschigen postfordistischen Verhältnisse“.

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Art & Climate Change, ab 31.10.2009 in Copenhagen

Vor zwei Jahren (2007) referierte ich auf einem Herbstteffen des tt30 des Club of Rome zum Thema Nachhaltigkeit der beiden Kunstereignisse des Jahres 2007, der documenta 12 und der Skulptur Projekte Münster 07, und stieß bei einigen Kollegen auf leichtes, aber doch verständliches Unverständnis. Hatte doch zu diesem Zeitpunkt die Kunstproduktion Nachhaltigkeit weder inhaltlich noch methodisch noch rezeptorisch für sich entdeckt. Meine Kritik an den beiden Großausstellungen fiel entsprechend massiv aus.

Umso mehr freut mich ein Ausstellungsvorhaben, das im Zusammenhang der UN-Klimakonferenz vom 6. bis 18.12.2009 nun in Kopenhagen umgesetzt wird:

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Transnational Republic lädt ein zu den Pre-Elections 2009

Bereits 2005 luden Vlado Velkov in Kooperation mit der Transnational Republic zur „Elections for Foreigners“ ein. In Fortsetzung dieser Idee fand nun vom 10. bis 25. September 2009 zwischen 10 und 18 uhr in den Räumen der APS (Artnews Projects), Brunnenstr. 190 in Berlin, die nächste Wahlgelegenheit, und zwar eine Pre-Election statt:

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Underground is overground.

Vom 26.08. bis 06.09.2009 fand am Strandkai der Hamburger Hafencity das Subvision Festival für internationale Gegenwartskunst statt, zu dem 31 Künstlergruppen, freie Projekträume, Off-Spaces und Research-Projekte aus 19 Ländern (>>) eingeladen waren, die sich ausserhalb etablierter Institutionen und ungeachtet kommerzieller Verwertbarkeit entwickelt haben sollten.

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(Hier ein Link zu weiteren 300 Künstlerinitiativen:
http://www.subvision-hamburg.com/blog/?p=720&language=de)

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picidae.net, II

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Eine – nein zwei Eingebungen führten Wachter und Jud zu ihrem hoch achtenswerten Kunstgriff picidae.net, blinde Flecke aufblitzen zu lassen und in der Folge auffüllen zu können – und dabei ganz nebenbei zu der Lösung eines konkreten und scheinbar unüberwindbaren Problems:

1. Take ya picture!
Ein mit Digicam ausgestattetes Konsumpublikum steht gegenwärtig ganz im Dienste dieses Slogans; das Bild ist aber auch Gegenstand und Reflexionsmedium der sich neu organisierenden Bildwissenschaft und Visual Culture. picidae.net aktiviert eine strukturelle Machtdimension des Bildes, wie es ihm kaum noch zuzuerkennen war.

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